Bremer Entnazifizierungsverfahren: „Hochanständige“ Nazis
Der Historiker Hans Wrobel hat Hinweise gefunden, dass Bremer Sozialdemokraten Informanten der Gestapo waren und daher Kriegsverbrecher entlasteten.
Dabei war Schulz in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilt worden – dennoch haben sich führende Sozialdemokraten 1952 für seine vorzeitige Begnadigung eingesetzt. Warum? In der Parteigeschichte der Bremer SPD klafft bei dieser Frage eine Lücke. In einem Buch über „150 Jahre Sozialdemokratie in Bremen“ wird Kaisens Haltung zur Entnazifizierung von Schulz nur als „nachsichtig“ etikettiert. Der Zeitgeist war eben so, ist da zu lesen, und die Sozialdemokraten hätten die Verfolgung von Nazis nur zehn Jahre nach Kriegsende „vergessen“.
Der Bremer Historiker und ehemalige Mitarbeiter der Justizbehörde, Hans Wrobel, hat nun eine Frage aufgeworfen, die unter den Lokalhistorikern bisher nur hinter vorgehaltener Hand gestellt wurde: Kann es sein, dass einige der führenden Sozialdemokraten deswegen von der Gestapo „ausgesprochen menschlich“ behandelt wurden, weil sie als Gegenleistung in regelmäßigen Gesprächen bei der Gestapo wichtige Informationen zu geben versprachen? Setzten sie sich deshalb auch nach 1945 für die Begnadigung des Gestapo-Chefs ein, weil der belastendes Wissen über sie hatte?
Alfred Faust war einer der führenden Bremer Sozialdemokraten, bis 1933 Mitglied der Bürgerschaft und des Reichstags, Redakteur der bremischen SPD-Presse. Er wurde von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und im Konzentrationslager Mißler schwer misshandelt, bei einer nächtlichen Prügelvernehmung im Heizungskeller wurde er zusammengeschlagen.
Informanten der Gestapo?
Kann er das vergessen haben, als er 1947 im Entnazifizierungsverfahren den ehemaligen Innensenator und politisch Verantwortlichen für das KZ Mißler, Theodor Laue, entlastete? Und als er 1952 als Pressechef des Senats den aktiven „Leumundszeugen“ für den Gestapo-Chef Schulz spielte und für ihn die Begnadigungsbemühungen koordinierte?
Der Gestapo-Chef Schulz hat dafür gesorgt, dass Faust nach einem Jahr aus der Haft entlassen und mit seiner jüdischen Frau nach Berlin „ausgewiesen“ und bei dem Kaffee-Unternehmer Ludwig Roselius untergebracht wurde. Faust selbst erklärte 1951, er habe in Berlin „unter Gestapo-Aufsicht“ für den Roselius-Verlag gearbeitet.
Mit Dienstwagen reiste er immer wieder quer durch Deutschland und nutzte diese Reisen für Kontakte mit namhaften Sozialdemokraten. Das muss für die Gestapo interessant gewesen sein. Sollte Faust deswegen den Gestapo-Chef informieren, wenn er nach Bremen kam? In einem Brief an den in Landsberg als Kriegsverbrecher einsitzenden Schulz hat Faust am 3. August 1952 formuliert, Schulz habe ja damals „nicht nur aus Zweckmäßigkeit“ gehandelt, als er ihn nach Berlin gehen ließ. „Nicht nur“ – also auch aus Zweckmäßigkeit?
In die Gestapo gezwungen
Der Mann für die V-Leutearbeit im Gestapo-Stab von Schulz war Heinrich Herrlein. In seinem Entnazifizierungsverfahren erklärte er: „Die Personen, die für mich als Agenten oder Informanten gearbeitet haben, möchte ich nicht namhaft machen.“ Offenbar hat Herrlein Menschen mit brutalster Gewalt und Drohungen in den Agentendienst gezwungen. Er räumte zum Beispiel ein, „dass Frau N. N. und ihr Ehemann für mich gearbeitet haben.“ „Sie sind jedoch nicht freiwillig dazu gekommen, sondern sind von mir dazu veranlasst worden.“
Einen Namen nannte Herrlein doch, den des alten Kommunisten Hermann Osterloh. Osterloh kam aus dem Zuchthaus 1943 frei, er hatte 1935 die Höchststrafe in seiner Gruppe bekommen. Herrlein berichtete später, er habe ihn bei der AG Weser untergebracht. Er habe sich „jeden Mittwoch bei Herrlein melden“ müssen, erklärte Osterloh selbst.
Führende Sozialdemokraten und Sozialisten haben dem alten Gestapo-Chef, den sie fast liebevoll „unseren Staatspolizeimajor 33/34“ nannten, 1954 die weitere Festungshaft erspart. Und sie haben ihm eine ordentliche Pension in Bremen zugeschanzt. Nur der liberale Finanzsenator Wilhelm Nolting-Hauff war 1951 der Ansicht, dass die Rehabilitierung nicht so weit führen dürfe, dass „irgendwelche Pensionen an ehemalige Gestapo-Beamte gezahlt werden“. Er wurde im Kaisen-Senat mit 5:4 überstimmt.
Massenmord von Lemberg
Als einer der Massenmörder von Lemberg war Schulz vom US-Militärtribunal im „Einsatzgruppenprozess“ zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Einer der Untergebenen von Schulz in Lemberg, SS-Rottenführer Heinrich Lumm aus Bremen, berichtete nach dem Krieg bei seiner Vernehmung, Schulz habe als Leiter der Einsatzgruppe im Juli 1941 dort „auf dem Erschießungsplatz“ die Ermordung angeordnet.
Zum Beispiel seien alle jüdischen Männer, die sich nicht im Arbeitseinsatz befanden, als potentielle Gegner zu erschießen. Die Opfer mussten einen Graben ausheben und sich davor aufstellen. Schulz habe, so Lumm, die Exekutionen als Vergeltungsmaßnahme erklärt. „Die Angehörigen meines Kommandos (hatten) bei der harten Durchführung ihrer Aufgaben und der ihnen gegebenen Befehle kein Unrechtsbewusstsein“, versicherte Lumm. Im Herbst 1941 war Schulz nach Berlin in das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zurückgekehrt und wurde zum SS-Oberführer befördert – „wegen besonderer Verdienste im Einsatz“ in Russland.
Der Aufsatz von Hans Wrobel „Auf bremisches Ersuchen begnadigt – Der Senat Kaisen und die Begnadigung des SS-Brigadeführers Generalmajor Erwin Schulz“ ist im Bremischen Jahrbuch 97/2018 des Staatsarchivs erschienen.
Die Bremer Sozialdemokraten hatten die Nürnberger Gerichtsakten, sie wussten, dass Schulz wegen der „Judenmetzeleien“ verurteilt worden war, wie Alfred Faust in einem Brief schrieb. Der Briefwechsel über die Begnadigung des verurteilten Kriegsverbrechers hat einen Tonfall, der völlig unangemessen erscheint. So erinnerte der ehemalige Gestapo-Chef in seinem Brief aus der Haft in Landsberg den ehemaligen KZ-Mißler-Häftling Alfred Faust daran, dass er dessen – jüdische – Frau „aus mancherlei Gesprächen“ kenne und schließt: „Ihre lieben Grüße erwidere ich auf das Herzlichste.“
War das Herrleins Ehepaar „N.N.“? Die Gestapo-Akten, die darüber Auskunft geben könnten, sind 1945 vernichtet worden. Die Morde von Lemberg scheinen jedenfalls für die Bremer Sozialdemokraten weniger bedeutsam gewesen zu sein als ihre Erinnerungen an Situationen, in denen einzelne von der Gestapo verschont wurden – möglicherweise auch „aus Zweckmäßigkeit“.
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