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Bremer Entnazifizierungsverfahren„Hochanständige“ Nazis

Der Historiker Hans Wrobel hat Hinweise gefunden, dass Bremer Sozialdemokraten Informanten der Gestapo waren und daher Kriegsverbrecher entlasteten.

Juden graben im Juli 1941 ihr eigenes Grab in Storow bei Lemberg. Bremens Gestapo-Chef Erwin Schulz war dabei Foto: Bundesarchiv/CC-BY-SA 3.0

Bremen taz | Der Bremer Gestapo-Chef Erwin Schulz soll ein „hochanständiger“ Mensch gewesen sein, sich „ausgesprochen menschlich“ gegenüber den Gegnern des NS-Regimes verhalten haben. Das hat ihm Bremens ehemaliger Bürgermeister Wilhelm Kaisen 1952 bescheinigt.

Dabei war Schulz in den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher verurteilt worden – dennoch haben sich führende Sozialdemokraten 1952 für seine vorzeitige Begnadigung eingesetzt. Warum? In der Parteigeschichte der Bremer SPD klafft bei dieser Frage eine Lücke. In einem Buch über „150 Jahre Sozialdemokratie in Bremen“ wird Kaisens Haltung zur Entnazifizierung von Schulz nur als „nachsichtig“ etikettiert. Der Zeitgeist war eben so, ist da zu lesen, und die Sozialdemokraten hätten die Verfolgung von Nazis nur zehn Jahre nach Kriegsende „vergessen“.

Der Bremer Historiker und ehemalige Mitarbeiter der Justizbehörde, Hans Wrobel, hat nun eine Frage aufgeworfen, die unter den Lokalhistorikern bisher nur hinter vorgehaltener Hand gestellt wurde: Kann es sein, dass einige der führenden Sozialdemokraten deswegen von der Gestapo „ausgesprochen menschlich“ behandelt wurden, weil sie als Gegenleistung in regelmäßigen Gesprächen bei der Gestapo wichtige Informationen zu geben versprachen? Setzten sie sich deshalb auch nach 1945 für die Begnadigung des Gestapo-Chefs ein, weil der belastendes Wissen über sie hatte?

Alfred Faust war einer der führenden Bremer Sozialdemokraten, bis 1933 Mitglied der Bürgerschaft und des Reichstags, Redakteur der bremischen SPD-Presse. Er wurde von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und im Konzentrationslager Mißler schwer misshandelt, bei einer nächtlichen Prügelvernehmung im Heizungskeller wurde er zusammengeschlagen.

Informanten der Gestapo?

Kann er das vergessen haben, als er 1947 im Entnazifizierungsverfahren den ehemaligen Innensenator und politisch Verantwortlichen für das KZ Mißler, Theodor Laue, entlastete? Und als er 1952 als Pressechef des Senats den aktiven „Leumundszeugen“ für den Gestapo-Chef Schulz spielte und für ihn die Begnadigungsbemühungen koordinierte?

Der Gestapo-Chef Schulz hat dafür gesorgt, dass Faust nach einem Jahr aus der Haft entlassen und mit seiner jüdischen Frau nach Berlin „ausgewiesen“ und bei dem Kaffee-Unternehmer Ludwig Roselius untergebracht wurde. Faust selbst erklärte 1951, er habe in Berlin „unter Gestapo-Aufsicht“ für den Roselius-Verlag gearbeitet.

Mit Dienstwagen reiste er immer wieder quer durch Deutschland und nutzte diese Reisen für Kontakte mit namhaften Sozialdemokraten. Das muss für die Gestapo interessant gewesen sein. Sollte Faust deswegen den Gestapo-Chef informieren, wenn er nach Bremen kam? In einem Brief an den in Landsberg als Kriegsverbrecher einsitzenden Schulz hat Faust am 3. August 1952 formuliert, Schulz habe ja damals „nicht nur aus Zweckmäßigkeit“ gehandelt, als er ihn nach Berlin gehen ließ. „Nicht nur“ – also auch aus Zweckmäßigkeit?

In die Gestapo gezwungen

Der Mann für die V-Leutearbeit im Gestapo-Stab von Schulz war Heinrich Herrlein. In seinem Entnazifizierungsverfahren erklärte er: „Die Personen, die für mich als Agenten oder Informanten gearbeitet haben, möchte ich nicht namhaft machen.“ Offenbar hat Herrlein Menschen mit brutalster Gewalt und Drohungen in den Agentendienst gezwungen. Er räumte zum Beispiel ein, „dass Frau N. N. und ihr Ehemann für mich gearbeitet haben.“ „Sie sind jedoch nicht freiwillig dazu gekommen, sondern sind von mir dazu veranlasst worden.“

Einen Namen nannte Herrlein doch, den des alten Kommunisten Hermann Osterloh. Osterloh kam aus dem Zuchthaus 1943 frei, er hatte 1935 die Höchststrafe in seiner Gruppe bekommen. Herrlein berichtete später, er habe ihn bei der AG Weser untergebracht. Er habe sich „jeden Mittwoch bei Herrlein melden“ müssen, erklärte Osterloh selbst.

Führende Sozialdemokraten und Sozialisten haben dem alten Gestapo-Chef, den sie fast liebevoll „unseren Staatspolizeimajor 33/34“ nannten, 1954 die weitere Festungshaft erspart. Und sie haben ihm eine ordentliche Pension in Bremen zugeschanzt. Nur der liberale Finanzsenator Wilhelm Nolting-Hauff war 1951 der Ansicht, dass die Rehabilitierung nicht so weit führen dürfe, dass „irgendwelche Pensionen an ehemalige Gestapo-Beamte gezahlt werden“. Er wurde im Kaisen-Senat mit 5:4 überstimmt.

Massenmord von Lemberg

Als einer der Massenmörder von Lemberg war Schulz vom US-Militärtribunal im „Einsatzgruppenprozess“ zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Einer der Untergebenen von Schulz in Lemberg, SS-Rottenführer Heinrich Lumm aus Bremen, berichtete nach dem Krieg bei seiner Vernehmung, Schulz habe als Leiter der Einsatzgruppe im Juli 1941 dort „auf dem Erschießungsplatz“ die Ermordung angeordnet.

Zum Beispiel seien alle jüdischen Männer, die sich nicht im Arbeitseinsatz befanden, als potentielle Gegner zu erschießen. Die Opfer mussten einen Graben ausheben und sich davor aufstellen. Schulz habe, so Lumm, die Exekutionen als Vergeltungsmaßnahme erklärt. „Die Angehörigen meines Kommandos (hatten) bei der harten Durchführung ihrer Aufgaben und der ihnen gegebenen Befehle kein Unrechtsbewusstsein“, versicherte Lumm. Im Herbst 1941 war Schulz nach Berlin in das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zurückgekehrt und wurde zum SS-Oberführer befördert – „wegen besonderer Verdienste im Einsatz“ in Russland.

Der Aufsatz

Der Aufsatz von Hans Wrobel „Auf bremisches Ersuchen begnadigt – Der Senat Kaisen und die Begnadigung des SS-Brigadeführers Generalmajor Erwin Schulz“ ist im Bremischen Jahrbuch 97/2018 des Staatsarchivs erschienen.

Die Bremer Sozialdemokraten hatten die Nürnberger Gerichtsakten, sie wussten, dass Schulz wegen der „Judenmetzeleien“ verurteilt worden war, wie Alfred Faust in einem Brief schrieb. Der Briefwechsel über die Begnadigung des verurteilten Kriegsverbrechers hat einen Tonfall, der völlig unangemessen erscheint. So erinnerte der ehemalige Gestapo-Chef in seinem Brief aus der Haft in Landsberg den ehemaligen KZ-Mißler-Häftling Alfred Faust daran, dass er dessen – jüdische – Frau „aus mancherlei Gesprächen“ kenne und schließt: „Ihre lieben Grüße erwidere ich auf das Herzlichste.“

War das Herrleins Ehepaar „N.N.“? Die Gestapo-Akten, die darüber Auskunft geben könnten, sind 1945 vernichtet worden. Die Morde von Lemberg scheinen jedenfalls für die Bremer Sozialdemokraten weniger bedeutsam gewesen zu sein als ihre Erinnerungen an Situationen, in denen einzelne von der Gestapo verschont wurden – möglicherweise auch „aus Zweckmäßigkeit“.

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10 Kommentare

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  • wilhelm nolting-hauff ...

    er selbst verfügte über 'einschlägige' erfahrung als verfolgter der rassenideolgie.

  • interessanter artikel ...

    ich werde den historiker und verleger helmut donat darauf ansprechen wollen.

  • Die Leute nach dem Krieg waren einfach nicht so bestrafungssüchtig wie die 68er (Wrobel, Wolschner etc.). Bestrafungssucht ist keine allgemein-menschliche Konstante - mehr eine generationelle Fehlhaltung.

    • @Rainer Möller:

      Was ist denn das für ein Revisionismus!? Die Nazis konnten doch froh sein, dass man sie nicht gelyncht hat. Ihr Leben zu schützen war verständlich, aber doch nicht ihre Privilegien! Was ist Sucht daran, wenn man Verbrechern 60% ihres unverdienten Geldes lässt statt 100%?

  • ... das passt dazu, dass Frau Dietrich nach dem Krieg in Westberlin ausgepfiffen wurde und Frau Leander gefeiert wurde...

    • @Gottfried Scherer:

      Sicher. Noch näher dran -

      “Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung sprach er „von einer Kraft, die uns leitet“, beschwor „den Willen, der uns eint“ und von Hitler als einem „Führer, der uns ruft, vergessend des Parteienhasses von gestern“. Am 1. Mai 1933 hielt er eine Rede auf den Führer, die in alten Zeitungen nachzulesen ist. Er trat 1933 der SA der Reserve bei und wurde 1935 zum Oberscharführer befördert. Er war Mitglied in der NS-Volkswohlfahrt, im NS-Reichskriegerbund und im NS-Rechtswahrerbund. 1938 trat er in die NSDAP ein.

      Während seiner Amtszeit ließ er zwei Straßen in „Adolf-Hitler-Straße“ und „Hermann-Göring-Straße“ umbenennen.



      Er wurde in seinem Entnazifizierungsverfahren 1947 als Minderbelasteter in die Kategorie 3 eingestuft. Wegen dieser Einstufung bekam er nur noch 60 % seiner Pension, und es wurde ihm verboten, öffentliche Ämter zu übernehmen. Er selbst nannte dies ein „schreiendes Unrecht“; er sagte: „Eine persönliche Schuld kommt bei mir nicht in Frage“. Er berief sich darauf, dass die Nazis ihn zwangspensioniert hätten. Er sei daher ein Nazigeschädigter.

      Sauvigny hatte mit seinen Protesten und Rechtfertigungen Erfolg. Zu den Opfern des nationalsozialistischen Terrors schwieg er sich allerdings in seinen Protestschreiben an den Berufungsausschuss aus. Er wurde 1948 in einem Berufungsverfahren als Mitläufer in die Kategorie 4 herabgestuft und erhielt wieder seine volle Pension. Die Begründung des Ausschusses lautete: „Sein Eintritt in die SA erfolgte unter Druck, da S. sonst seine Stellung als Bürgermeister verloren hätte. […] Innerlich stand er dem Nazismus ablehnend gegenüber.“

      Sauvigny war Großvater des CDU-Politikers Friedrich Merz.

      Sorry - ich zitier ja nur.



      Josef Paul Sauvigny * 4. November 1875 in Bestwig; † 4. Juli 1967 in Brilon war von 1917 bis 1937 Bürgermeister der Stadt Brilon, er gehörte zuerst der Zentrumspartei, dann der NSDAP an.



      de.m.wikipedia.org...osef_Paul_Sauvigny

      1967 - war Blackrock-Fritz - 12.

  • Vorweg - leider komme ich übers Inhaltsverzeichnis hinaus -



    Nicht an den Beitrag von Hans Wrobel ran.



    www.staatsarchiv.b...ches_jahrbuch-1588 S. 205



    & Danke für den link



    www.vorwaerts.de/a...eis-2015-spd-nazis

    So mal allein zu dem Beitrag hier.



    Die hier aufgezeigte Gemengelage halte ich für zutreffend.



    Bei den gezogenen Schlußfolgerungen wäre ich eher vorsichtig.

    Allgemein. Wie nach WK I - kannten sich - noch dazu in einem eher übersichtlichen Stadt-Staat wie Bremen - die Kontrahenten der verschiedenen Lager - durch die Bank - ziemlich gut.



    Ach gingen die politischen Verwerfungen quer durch Alter & Familien. Auch galt nicht umsonst für post Weimar & Nazizeit:



    "Die sind doch schon früher hinter roten Fahne herjeloofen.



    Als noch keen Hakenkeuz druff war.

    Oskar Maria Graf beschreibt es für München -"aufgebracht" von der SA-Staffel Hermann Göring mit Kradbeiwagen "..wir wissen, wo du wohnst.



    Hansestadt Lübeck - Willy Brandt zehn Jahre jünger als uns saalschlachtengestählt-deutschnationalen Ol*03 - aber das Flugblatt "Was geschah in der Hundegasse?" - bekannter



    Nazi-Fake Mordvorwurf - fand ich in seinen Unterlagen.



    Köln - Altkommunist: "Conny - du hest Angina pectoris!" "Ich? - dat wüßt ich ever! - bin kerngesund!" - "Egal - du mußt so machen!" & über Krhs. Hohenlind verschwand er mit Kardinal Frings ("fringsen" (c) nach Kloster Maria Laach.

    Soweit & Sojet halt. Aber - Däh! Die Schlußfolgerungen daraus -



    "....Kann er das vergessen haben, als er 1947 im Entnazifizierungsverfahren den ehemaligen Innensenator und politisch Verantwortlichen für das KZ Mißler, Theodor Laue, entlastete?.." & ff

    Ganz großes Glatteis. Kann sein - kann nicht sein.



    Als junger Richter war ich längere Zeit mit Kriegsfolgenrecht befaßt & die hier angezogenen Protokolle gehörten zum täglich Brot.

    ff

    • @Lowandorder:

      ff

      &



      Wichtig für meine Einschätzung hier!



      Hinzukam - daß die dortigen Angaben - dank des Archivs Kornelimünster (heutiges Bundesarchiv) - dank "preußischer" Aktenführung in den meisten Fällen "Gegengelesen" werden konnten.



      Ergebnis meistens: Selten soviel dreiste Lügen - Beschönigungen - Verdrehungen - Reinwaschungen gelesen - wie dabei.



      Deswegen ja auch Volkers Mund - Persilscheinverfahren.



      In der Tat. Und der sich abzeichnende Kalte Krieg tat ein übriges: Laxere Handhabung & geringere Prüftiefe.

      Während aber ggfls. in späteren gerichtlichen Verfahren dem betreffenden Kläger bei Anhörung selbiges vorgehalten werden konnte.



      Fehlt es hier an einem entsprechend Korrektiv - & zwar in beide Richtungen.



      Die erstellten Protokolle waren ja keine Wortprotokolle.



      Sondern regelmäßig zusammenfassende Diktate der Vorsitzenden der Entnazifizierungsausschüsse.



      Manche enthielten grobe Fehler - warum auch immer genau.



      &



      Entsprechendes gilt für die in der Tat grauenhaften Briefe & sonstigen schriftlichen Unterlagen.



      Befragen - Vorhalten - kann dazu frauman niemand mehr.

      kurz - mit Schlußfolgerungen - insbesondere der a.E. wär ich deswegen mehr als vorsichtig.

  • Ach ja, die SPD und die Nazis - scheint eine Hassliebe gewesen zu sein:



    www.vorwaerts.de/a...eis-2015-spd-nazis

    • @agerwiese:

      Ich vermute mal an den hohen Anteil von Nazis in der kommunistischen SED mit Spitzenwerten von 30% in Bezirk Erfurt kam die Nachkriegs-SPD nicht heran de.wikipedia.org/w...chlands#Mitglieder