Bremens Senat hält Gutachten zurück: Angst vor der Tierversuchs-Debatte
Bremens Senat hat Andreas Kreiters Tierversuche nicht genehmig, will die Begründung dafür aber für sich behalten. Wozu die Geheimniskrämerei?
S chon am 14.10.2023 hat der Bremer Senat beschlossen, den Antrag des Neurobiologen Andreas Kreiter auf Fortsetzung seiner Primaten-Experimente nicht zu genehmigen. Seit 2008 ist das die Haltung der Bremer Landesregierung. Immer wieder hat aber der Hirnforscher erfolgreich dagegen geklagt – mit Verweis auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit. Seit dem neuesten Beschluss wüsste man gern: Ist die Ablehnung diesmal besser begründet? Oder will der Senat nur die Genehmigung dem Gericht überlassen, um selbst mit moralisch sauberer Weste dazustehen?
„Affen gehören nicht in Labore“, hat der Tierschutz-Sprecher der Grünen, Philipp Bruck, dazu erklärt. So schlicht ist diese ethische Haltung allerdings grundgesetzwidrig. Wenn das die Haltung des Bremer Senats ist, dann wäre das Gericht schnell fertig. Das Grundrecht auf Tierschutz muss mit dem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit abgewogen werden. Ist der Landesregierung in einer Universitätsstadt die Wissenschaftsfreiheit wurschtegal?
Der Senat hat vier Gutachten zu der Frage des Tierleidens erstellen lassen und erklärt, der „regelmäßige Wasserentzug“ und die „Fixierung im sogenannten Primatenstuhl“ seien als schwerwiegendes Tierleiden zu werten.
Und dann heißt es in der Presseerklärung: „Auch im Rahmen der Grundlagenforschung ist zu fordern, dass für die Rechtfertigung eines Tierversuchs ein klinischer Anwendungsnutzen des zu erwartenden Erkenntnisgewinns in zeitlicher Nähe wahrscheinlich ist.“ Seit 1998 wird in Bremen an Makaken-Affen geforscht, um zu ergründen, wie Seh-Reize im Gehirn verarbeitet werden. Bahnbrechende Erkenntnisse gibt es offenbar nicht – aber Grundlagenforschung ist eben Forschung, bei der es nicht um gezielte Erkenntnisse geht.
Fadenscheinige Begründung
Wie wird das Tierleiden gewichtet in den Gutachten, wie wird die Einschränkung der Grundlagenforschung begründet? Wir wissen es nicht. Mit Hinweis auf das „laufende Verfahren“ will der Senat die Gutachten nicht veröffentlichen.
Diese Begründung ist fadenscheinig: Würde sich die Rechtsposition des Senats verschlechtern, wenn auch die Öffentlichkeit informiert würde und nicht nur die Anwälte der Gegenseite? Die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit wird vom Senat als eine Sache angesehen, die die Öffentlichkeit nichts angehen soll. 1998 hatte es 45.000 Unterschriften gegen die Affenversuche gegeben. Seit dem Jahr 2008 hat der Bremer Senat mehrere Prozesse in dieser Sache verloren. Wozu die Geheimniskrämerei? Hier zeigt sich eine Arroganz der rot-rot-grünen Macht.
Die ethische Abwägung hat immer vor Gericht eine Rolle gespielt. Gibt es dazu nun neue Argumente? Der Forscher hatte vor einem Jahr vor Gericht erklärt, er habe sehr wohl wichtige Grundlagen-Ergebnisse erzielt. Das Gericht hatte die Senatsvertreter gefragt, ob sie dazu etwas zu sagen hätten. Hatten sie nicht. Gibt es diesmal dazu ein Gutachten? Auch solche unnötige Intransparenz ist demokratiefeindlich und damit grundgesetzwidrig.
Offenbar will der Senat keine öffentliche Debatte um das Thema – weil er ahnt, dass seine juristischen Argumente schwach sind? Rechnet der Senat damit, auch diesen Prozess wieder zu verlieren? Will man nur seine Hände in Unschuld waschen, um am Ende „Wir wollten es nicht!“ in die Kamera sagen zu können?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau