Bremen-Tatort „Stille Nacht“: Die Grinchs sind da
Ein Mord an Heiligabend bei einem scheinbar friedlichen Familienfest. Leider möchte in diesem Krimi weder Spannung noch Weihnachtsstimmung aufkommen.
Als Weihnachtsliebhaberin hat man es nicht leicht in diesem Land. Die Straßen riechen angenehm nach Glühwein und Bratwurst, geschmückte Weihnachtsbäume auf den Straßen und Kerzen in den Fenstern trotzen dem winterlichen Grau. Es könnte alles so schön sein, wären da nicht die Menschen. Griesgrämig schlurfen sie durch die Gegend und jede Erwähnung des frohen Festes scheint ihre Gesichter noch mehr zu verdunkeln und sie beginnen sich zu beschweren: der Stress, die Familienbesuche, die Kalorien.
Und auch in Deutschlands beliebtestem Fernsehkrimi scheinen die Grinchs übernommen zu haben, wie der aktuelle „Tatort“ aus Bremen zeigt.
Es ist Heiligabend, das Ermittlerinnenduo Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) hat Feiertagsdienst und überbietet sich im Aufzählen aller furchtbaren Dinge, die für sie für Weihnachten stehen. „Einbrüche“, sagt die eine, „Häusliche Gewalt“, entgegnet die andere, nur um mit „Last Christmas“ übertrumpft zu werden.
Bremen-„Tatort“: „Stille Nacht“, So., 20.15 Uhr, ARD und in der ARD-Mediathek
Ganz anders sieht es bei der Familie Wilken aus. Dort feiert der Kapitän Hendrik mit seinem Ehemann, Kindern und Enkeln gemütlich mit Weihnachtsmannmützen auf den Köpfen und Geschenken unter dem Weihnachtsbaum. Auch ein philippinischer Matrose ist zu Gast, mit dem sie bis tief in die Nacht Karaoke singen. „Last Christmas“ natürlich, was sonst.
Es fehlen: Figuren mit Tiefe
Ein friedliches Fest könnte man meinen. Doch so etwas gibt es im deutschen Fernsehen nicht, weswegen natürlich alles deutlich weniger friedlich ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn am nächsten Morgen liegt Großvater Henrik erschossen in seinem Zimmer.
Moormann und Selb vermuten einen Raubmord – wie wir wissen, nehmen Einbrüche in der Weihnachtszeit zu –, doch dank der neuen Hightechkamera der Polizei lässt sich der schnell ausschließen. Der oder die Mörder_in muss sich also unter der kleinen Heiligabendgesellschaft befinden. Und so beginnt eine Art Kammerspiel, in der plötzlich jeder und jede verdächtig erscheint: Der Großvater, der aus Eifersucht handelt. Der Sohn, der sich immer ausgeschlossen fühlt. Die Tochter, die so große Probleme zu haben scheint, dass sie selbst mit Tabletten nicht in den Griff zu bekommen sind.
So albern und kitschig, wie die alljährlichen Weihnachts-„Tatort“-Folgen ist dieser zwar nicht, doch Spannung will in diesem Krimi auch nicht aufkommen. Das liegt einerseits an der geradeaus erzählten Geschichten, die auf doppelte Ebenen und unerwartete Wendungen verzichtet, andererseits an der schauspielerischen Leistung. Ängstliche Blicke und melodramatisches Hände-über-dem-Kopf-Zusammenschlagen gibt es hier zumindest reichlich. Figuren mit Tiefe dagegen weniger.
Und auch wenn Selb sich nach einer ausschweifenden Party doch für kurze Zeit dem „Last Christmas“-Ohrwurm hingibt, so richtige Weihnachtsstimmung möchte in diesem „Tatort“ nicht aufkommen. Wer den Grinchs entkommen möchte, muss eben doch auf die Hollywood-Klassiker („Home Alone“, „The Holiday“ oder „The Holdovers“) zurückgreifen. In diesen Märchengeschichten gibt es das nämlich noch: das schöne friedliche Fest mit geschmückten Weihnachtsbäumen, Glühwein und einem Happy End. Das hat für viele vielleicht wenig mit der Realität zu tun, aber wieso sollte man sich schon im Vorhinein die Stimmung vermiesen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Greenpeace-Vorschlag
Milliardärssteuer für den Klimaschutz
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen