Bremen: Stadtentwicklung konkret: Der Verlust der Vorstadt

Warum Hastedt so hässlich und herrlich zugleich ist: ein Streifzug zu Planungssünden, zerschnittenen Wohnquartieren – und spannenden Relikten.

Ziemlich grün, 1930: Blick vom Hastedter Osterdeich auf die Schule Auf der Hohwisch. Im Vordergrund Bremens damaliger Botanischer Garten. Foto: Edition Temmen

BREMEN taz | Kirschgärten. Wer verbindet Hastedt, den von hässlichen Mehrspurern zerfurchten Stadtteil im Bremer Osten, mit Kirschgärten? Diethelm Knauf tut das. Weil ihm alte Hastedter davon berichtet haben, wie herrlich grün und baumbestanden ihr Viertel früher gewesen sei.

Knauf ist eigentlich ein Mann des bewegten Bildes, er ist Bremens Filmarchivar. Nun aber bewegt ihn etwas anderes: die Zerstörung eines Stadtteils mit den Mitteln der Verkehrsplanung. „Schauen Sie sich das an“, er deutet auf die Stresemannstraße, die fast an den Backsteinsockel der Alt-Hastedter Kirche kratzt: „Diese Straße ist eine von mehreren, die die Struktur des Quartiers willkürlich zerschneiden.“ In Hastedt könne man „auf geradezu klassische Weise“ studieren, wie rücksichtslos das Paradigma der „autogerechten Stadt“ exekutiert wurde. Ein Satz, der fast im Lärm anfahrender Autos untergeht.

Für ein Hastedt-Buch, das nun in der Edition Temmen erschienen ist, hat Knauf Gemarkungskarten aufgestöbert, auf der die gewachsene Struktur des ehemaligen Dorfes zu rekonstruieren ist: Hauptstraße war die mittlerweile entzwei geschnittene Hastedter Heerstraße, auch die Benningsenstraße, der wirtschaftlich wichtige Verbindungsweg zur Hastedter Feldmark, wurde durch den vierspurigen Bau der Stresemannstraße abgehängt. Der Ausbau von Maler- und Pfalzburger Straße zu Autobahnzubringern hat Hastedt ebenfalls segmentiert, ganze Wohnquartiere vom eigentlichen Ortskern getrennt. Doch wenn man mit Knauf in Hastedt unterwegs ist, findet man noch immer Überreste der alten Strukturen.

Die Tischlerei Kracke zum Beispiel – Meisterbetrieb in der fünften Generation und von der großformatigen Bausubstanz her einer der letzten Bauernhöfe, dessen Spuren nicht unter Autohäusern verschüttet ist. Oder ein kleines Zigarrenmacher-Häuschen, für Knauf ein wichtiges Zeugnis sozialer Umwälzungen: „Die ,Häuslinge‘ waren die ersten Lohnarbeiter“, sagt der Historiker, Mitte des 19. Jahrhunderts brachten sie ein neues Milieu ins Bauerndorf. Knauf hat zahlreiche Fotografien gesichtet, viele aus dem Archiv des Schulmuseums Auf der Hohwisch, die starke Momente von sich wandelnder Arbeit und Geselligkeit transportieren: Schweineschlachten, Gewichtestemmen, Industrie-Ansiedlungen.

Und Bandenkriege: Die Kinder aus Klein-Mexiko keilten sich immer wieder mit dem Nachwuchs aus den Häuserblöcken des Focke-Wulf-Werks, davon reden die alten Hastedter heute noch. Wer genau hinsieht, findet an einer Hauswand noch einen verwitterten Hinweis auf die Hintergründe: 1933 musste die Gewerkschaft die Gebäude an die Deutsche Arbeitsfront (DAF) abtreten, die 1935 die Gewoba gründete und den Komplex mit den charakteristischen grünen Holzfensterläden weiter ausbaute. Wer seinerzeit hier wohnen durfte, fand es möglicherweise nicht verkehrt, wenn der Nachwuchs die „Kommunistenbrut“ aus der anderen Siedlung vermöbelte.

Bereits 1937/38 wurden in den Kellern der Gewoba-Häuser Bunkertüren eingesetzt, hat Knauf herausgefunden – ein lokaler Hinweis, zu welchem Zeitpunkt das NS-Regime bereits mit einem Luftkrieg rechnete.

Manchmal möchte Knauf fluchen: Beim Anblick des Hansa-Carree an der Malerstraße etwa – was man gut versteht, nachdem er ein Foto der vorher hier stehenden Goliath-Werke aus der Tasche gezogen hat: Eine trotz ihrer Größe fast filigran ausgeführte Industriearchitektur, die 1998 ohne Not dem Bagger weichen musste. Die Zerstörung der Vorstadt, das zeigt das Beispiel Hastedt, ist keineswegs nur ein Werk von Kriegs- und Nachkriegszeit.

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