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Brechmittel: „Falsche Entscheidungen“Folter-Opfer werden nicht entschädigt

Bremens Senat antwortet auf eine Grünen-Anfrage zur jahrelangen „Brechmittel-Praxis“ in Bremen: Rassistisches Handeln gab es nicht, Entschädigungen gibt es nicht.

Kein Denkmal, keine Entschädigung: In Bremen bleibt noch viel zu tun Foto: dpa

Bremen taz | Bremens Senat hält die jahrelange Praxis der Brechmittelvergabe in Bremen für ein damals „rechtlich nicht zu beanstandendes Verfahren“. Gleichwohl habe es „falsche und ethisch kritisch zu bewertende Entscheidungen gegeben“. Das geht aus einer Vorlage hervor, mit der der Senat auf eine Anfrage der Grünen antwortet und die voraussichtlich am Dienstag beschlossen werden soll.

Von 1992 bis 2004 war die Brechmittelvergabe in Bremen Praxis, um bei vermeintlichen Dealern verschluckte Drogenkugeln zu sichern. Betroffen waren vor allem Männer mit schwarzer Hautfarbe. Am 7. Januar 2005 war der Sierra Leoner Laye-Alama Condé nach zwangsweiser Brechmittelvergabe in Polizeigewahrsam gestorben.

Sein Tod sei „vermeidbar“ gewesen, heißt es nun: „Der Senat äußert sein Bedauern darüber, dass es nicht bereits vor dem tragischen Todesfall von Herrn Condé zu einer Anwendung alternativer Verfahren kam.“

Nachhilfe aus Straßburg

Rechtlich problematisch geworden sei die Praxis aber erst mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Der hatte im Juli 2006 die Brechmittelvergabe als „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ eingestuft. „Eine Bewertung, nach welcher der zwangsweise Brechmitteleinsatz während der gesamten Laufzeit der Maßnahme als unrechtmäßige staatliche Gewalt anzusehen sei, liegt dem Senat nicht vor“, heißt es in der Vorlage. Gestoppt hätten der Innen- und der Justizsenator die Zwangsvergabe auch nicht aufgrund des EGMR-Urteils, sondern bereits nach Condés Tod.

Deutlich wird in den Antworten, dass die Prozedur vom Senat, den Behörden, der Polizei und der Ärztekammer immer wieder befürwortet oder akzeptiert wurde. „Mit einer Entscheidung vom 19. Januar 2000 billigte das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen die Exkorporation ausdrücklich“, heißt es dort.

Auch die Bremer Ärztekammer hatte ihre Haltung innerhalb eines Jahres angepasst. Im August 1996 erklärt sie, dass die Gabe eines Brechmittels zu Beweissicherungszwecken – „nur unter ärztlicher Aufsicht und nur bei qualifizierter Notfallbereitschaft“ – dennoch mit dem ärztlichen Berufsethos vereinbar sei.

Dort, wo es für den Senat oder einzelne Beteiligte konkrete Konsequenzen hätte, werden keine Fehler eingeräumt

Matthias Güldner, Die Grünen

Der Brechmitteleinsatz sei laut Senat immer wieder Gegenstand von Erörterungen im Justizressort gewesen – und kontroverser Debatten in der Bürgerschaft. Eine davon war 2001, nachdem der Nigerianer Achidi John in Hamburg an der Prozedur gestorben war. Der Bremer Grünen-Abgeordnete Matthias Güldner warnte damals, dass es auch in Bremen irgendwann zu einem Todesfall kommen könne. Unter Verweis darauf, dass John wegen einer Vorerkrankung an Herzversagen gestorben war, hielt man in Bremen aber an der Praxis fest.

„Diesen Umstand bewertet der Senat als tragische und bedauerliche Fehlentscheidung“, heißt es nun. Für Güldner ist dies eine der positiven Stellen der Vorlage: „Es ist das erste Mal, dass so klar eingeräumt wird, dass der Senat hier einen Fehler gemacht hat und der Tod eines Menschen hätte vermieden werden können.“

Nur Männer mit schwarzer Hautfarbe betroffen

Mehr Selbstreflexion hätte sich Güldner allerdings über das Zustandekommen und die Auswirkungen von Racial Profiling gewünscht. Dazu, dass faktisch nur Männer mit schwarzer Hautfarbe von der Brechmittelpraxis betroffen waren, erklärte der Senat, er weise die Unterstellung rassistischen Denkens und Handelns der Strafverfolgungsbehörden „entschieden zurück“.

„Diese Debatte ist damit nicht zu Ende“, sagt Güldner. „Insgesamt merkt man den Antworten des Senats an, dass hier Kompromisse gefunden werden mussten.“ Einerseits gebe es den ernsthaften Versuch, das Geschehen aufzuarbeiten, aber: „Dort, wo es für den Senat oder einzelne Beteiligte konkrete Konsequenzen hätte, werden keine Fehler eingeräumt und auf ein jederzeit korrektes Verfahren verwiesen.“.

Eine klare Absage erteilt der Senat den Forderungen, Entschädigungen an die Brechmittel-Opfer zu zahlen. Die Bremer „Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé“ hatte das angestoßen, Linksfraktion und Grüne schlossen sich an. Vom Senat heißt es nun: Er sehe „keine Veranlassung“ dazu.

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8 Kommentare

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  • Ärzte, die solche Taten zu verantworten haben, sind weiter an höchster Stellung engagiert:

     

    Prof. Klaus Püschel, Chef der Hamburger Uni-Rechtsmidizin, dem die Brechmitteleinsätze in HH unterstanden https://www.uke.de/kliniken-institute/institute/rechtsmedizin/team/püschel_arztprofil.html

     

    Seine Mitarbeiterin Prof. Ute Lockemann, die am Brechmitteleinsatz an Achidi John direkt beteiligt war https://www.medizin.uni-muenster.de/rechtsmedizin/schmeling/agfad/die-arbeitsgemeinschaft/vorstand/

    https://www.uke.de/allgemein/arztprofile-und-wissenschaftlerprofile/arztprofilseite_ute_lockemann.html

  • Da liegt der Bremer Senat aber daneben. Wenn der EGMR etwas für unzulässig erklärt, dann gilt das nicht erst mit dem Urteil, sondern ex tunc. Einzelne Bediensteten, die das in gutem Glauben an die Rechtmäßigkeit, bestätigt durch ärztliche Gutachten, gemacht haben, sind deshalb vielleicht nicht strafbar, sondern handelten möglicherweise in einem entschuldbaren Verbotsirrtum. Die Maßnahme war aber trotzdem rechtswidrig. Wer durch eine rechtswidrige Polizeimaßnahme Schmerzen erleidet, hat möglicherweise einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Meistens sind da die Gerichte eher knauserig und sprechen eher symbolische Summen zu. Trotzdem wäre dies ein Zeichen.

    • @Velofisch:

      Ich weiß, welche Instanz ein Gericht ist und dass der Staat Urteile dieser Behörde durchsetzt. Aber mir passt das Urteil vom EGH nicht! Es geht mir so sehr zuwider, dass ich mich dafür eher schäme! Wenn jemand Drogen auf diese Weise schmuggeln will, dann darf ihm das Zeugs abgenommen werde. Und es geht hier nicht um zu legalisierende Drogen, die zwar schädlich sind, aber das zumindest viel weniger als Alkohol und Nikotin. Sie bringen diese harten Drogen und nehmen dafür in Kauf, dass die Konsumenten auf Raten sterben werden!. Das nehmen sie billigend in Kauf. Dass sie sich während der Wirkung des Brechmitteln ein wenig unwohl fühlen, das ist eine Nebenwirkung, die ich für gering halte.

      • @fvaderno:

        Die Brechmittelgabe ist teilweise lebensgefährlich und ein bloßes Abwarten ergibt den gleichen Effekt. Jemand der Festgenommen wird gilt als unschuldig. Stellen Sie sich vor, sie gehen nichtsahnend im Park, lutschen ein Bonbon und schlucken dies vor Schreck herunter als sie die Polizei des Drogenhandels verdächtigt. Die Polizei nimmt sie dann mit auf die Wache um dies aufzuklären. Fänden Sie es dann auch in Ordnung, wenn Sie Brechmittel über eine Magensonde verabreicht bekommen? Gut, Sie haben keine Drogen verschluckt - aber wie sollen die Polizisten das wissen? Ach so, Sie sind weiß und gehören nicht zur Gruppe aus einem bestimmten afrikanischem Land, die den Drogenhandel in dem Stadteil für sich beanspruchen? Mag sein - aber was sagen Sie Ihrem Geschäftspartner, der Sie besuchen kommt, der dunkle Hautfarbe hat und sich wundert, dass die Polizei ihn zum Kotzen bringt?

        Es ist ein wichtiger Grundsatz unserer Rechtsordnung, dass Verdächtige als Unschuldige gelten und keine Behandlung eines Verdächtigen unnötig Strafcharakter haben darf. Bestraft darf erst nach einem Richterspruch werden. Sonst haben wir Zustände wie bei #metoo, wo es bereits reicht, wenn ein Mann einer Frau den falschen Wein eingeschenkt, um als Sexualverbrecher zu gelten, der nie mehr eine Stelle findet.

      • @fvaderno:

        Sie wissen schon,dass diese Menschen ebenfalls in Kauf nehmen,dass sich diese Pakete in ihrem Magen auflösen, und sie dann an einer Überdosis ganz jämmerlich verrecken?Tun die das, weil die so ne Freude an ihrem job haben,was denken sie?

        Sie wissen auch,dass viele Menschen freiwillig harte Drogen nehmen, ohne dazu von den ach so gemeinen Drogenhändlern gezwungen worden zu sein?Die bedienen doch nur eine bereits ewig vorhandene Nachfrage.Und auch ein Drogendealer hat Menschenrechte.

  • Alles klar. „Unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ ist demzufolge "ein rechtlich nicht zu beanstandendes Verfahren", zumindest nach der Auffassung des Bremer Senats, wenn die Berichterstattung zutreffend ist.

     

    Doch ab wann wäre denn etwas eindeutig rechtlich zu beanstanden? Vielleicht dann, wenn jemand dem Bremer Senat Untergrabung der Rechtsstaatlichkeit vorwirft?

    • @wxyz:

      Das muss nicht heißen, dass das Verfahren nicht zulässig ist.

       

      Die Rechte von Menschen dürfen zur Durchführung von Zwangsmaßnahmen eingeschränkt werden.

      • @Sorsha:

        @SORSHA

        Maßgeblich ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Wo dies keine Rolle mehr spielt, da ist das Grundgesetz allenfalls noch für hinterlistige Zwecke brauchbar.