Gedenken an Brechmittel-Folter: Warten aufs Mahnmal
15 Jahre nach dem Tod des Brechmittel-Opfers Laye Alama Condé gibt es immer noch keinen festen Gedenkort für ihn. 2020 könnte sich das ändern.
Heute wird seiner einmal mehr gedacht, mit einer Kundgebung vor dem Gerhard-Marcks-Haus, auf Einladung des dortigen Direktors Arie Hartog. Sechs Wochen lang wird der von der „Initiative in Gedenken an Laye-Alama Condé“ geschaffene mobile Gedenkort dann dort aufgestellt. In den vergangen Jahren war er bereits vor der Stadtbibliothek, dem Theater und der Schwankhalle platziert.
Condé, Zeit seines Lebens nicht vorbestraft, war im Dezember 2004 wegen des Verdachtes auf Drogenhandel vorläufig festgenommen worden. Im Polizeipräsidium fesselte man ihn und verabreichte ihm zwangsweise Brechmittel sowie mehrere Liter Wasser. Die Polizei wollte auf diese Weise an verschluckte Drogenkügelchen gelangen. Auch nachdem Condé das Bewusstsein verlor, wurde die Prozedur fortgesetzt – bis er ins Koma fiel. „Schwerstverbrecher“ müssten nun mal „mit körperlichen Nachteilen“ rechnen, sagte der damalige Innensenator und heutige CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp daraufhin. Wenige Tage später, am 7. Januar 2005, starb Condé an Sauerstoffmangel durch Ertrinken.
Zwischen 1991 und 2004 wurde in Bremen nach Angaben der Initiative in mehr als 1.000 Fällen Brechmittel an Menschen in Polizeigewahrsam verabreicht. „Das war Alltag, strafrechtlicher und beweissichernder Alltag“, hatte Alt-Bürgermeister Henning Scherf (SPD) 2013 dem Landgericht erklärt, und dass es seines Wissen „bis zu dem tragischen Unglücksfall keinerlei Probleme mit dem Einsatz von Brechmitteln“ gegeben habe. Vier Jahre später sagte er dann dem Kundenmagazin einer Versicherung: „Ich fühle mich schuldig, dass ich den Tod dieses Menschen möglich gemacht oder zumindest dieses Verfahren gerechtfertigt habe.“ Das sei „ein Fehler“ gewesen, so Scherf 2017.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte die Brechmittelvergabe bereits 2006 als „unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ eingestuft – die Praxis verstieß also gegen das Folterverbot, so die Richter*innen. Das Hanseatische Oberlandesgericht dagegen hatte die „Exkorporation“ 2000 noch ausdrücklich gebilligt, obwohl das Oberlandesgericht Frankfurt in der Vergabe von Brechmitteln schon 1996 einen Verstoß gegen die Menschenwürde und das Persönlichkeitsrecht sah.
Die Initiative fordert seit Jahren, dass die Stadt einen dauerhaften Gedenkort einrichtet, der an Condé erinnert. Im Koalitionsvertrag steht nun, dass sich SPD, Grüne und Linke „für die Errichtung eines Gedenkortes“ aussprechen, „um daran zu mahnen, dass niemand in polizeilicher Obhut nachhaltig zu Schaden oder ums Leben kommen darf.“ Aus Sicht der Grünen-Politikerin Kai Wargalla ist das schon „ein großer Erfolg“ – nun soll ein Antrag in der Stadtbürgerschaft den Senat bitten, den Beirat Mitte bei der Aufstellung eines solchen Mahnmals „zu unterstützen“, sagt Wargalla. Man wolle dem Stadtteilparlament „nicht vorschreiben, was richtig und würdig“ sei. Der Beirat Mitte wiederum wartet erstmal den Bürgerschaftsbeschluss ab, sagt die Ortsamtsleiterin.
Die Linke forderte am Montag eine Entscheidung über den Gedenkort „innerhalb eines Jahres“. Seit Jahren schon werde über den Gedenkort diskutiert – ohne Ergebnis. Bei der SPD-Fraktion hat man den Beschluss des Koalitionsvertrages „noch nicht aktuell aufgegriffen“, erklärt deren Kulturpolitiker Arno Gottschalk. Er gehe aber davon aus, dass das im Laufe des Jahres passiert und die Stadt dann auch für die Kosten des Mahnmals aufkommt. Über die richtige Form des Gedenkens sei aber zu diskutieren: Gottschalk findet, dass das „Missbrauchspotenzial“ dieses Denkmals „sehr groß“ ist.
Die Initiative freut sich, dass die Notwendigkeit des öffentlichen Gedenkens nun in der Politik angekommen sei. „Viele Menschen wissen, dass sie ein Recht darauf haben, dass dem Tod eines Menschen und der dafür verantwortlichen, menschenrechtswidrigen Politik gedacht wird“, sagte Gundula Oerter, die Sprecherin der Initiative.
Kundgebung zum 15. Todestag von Laye-Alama Condé: 17 Uhr, Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208
Der letzte, rot-grüne Senat hatte eingeräumt, dass es „falsche und ethisch kritisch zu bewertende Entscheidungen gegeben“ habe. Zugleich hatte er Forderungen nach Entschädigungen eine klare Absage erteilt. Juristisch ist der Fall aufgearbeitet: Der Polizeiarzt stand drei Mal wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Das dritte Verfahren wurde 2013 gegen eine Zahlung von 20.000 Euro an die Mutter des Opfers eingestellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“