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Braunkohle-Blockaden in NRWNach der Straße das Loch

Um Braunkohle abzubauen, sollen fünf bewohnte Dörfer weichen. An einer Landstraße haben Anwohner*innen und Aktivist*innen Abrissarbeiten blockiert.

Demonstranten blockieren die Straße L277, um deren Abriss zu verhindern Foto: Roberto Pfeil/dpa

BERVERATH taz | Etwa 60 Menschen sitzen auf der Erde und den Hügeln aus Betonstücken, wo am Wochenende noch Landstraße war. Sie blockieren die Abrissarbeiten von RWE. Die Polizei ist vor Ort, die Arbeiten ruhen. Der Schaufelbagger schaufelt nicht mehr: Er dreht sich unablässig um sich selbst wie eine im eigenen Schwung gefangene Ballerina. Niemand soll hinaufklettern und den Bagger besetzen können. Nicht schon wieder.

Seit Montag, den 20. Juli, laufen die Abrissarbeiten von RWE an der L277 in Nordrhein-Westfalen. Seit Sonntag gibt es jeden Tag Proteste, Blockaden, besetzte Maschinen. Am Mittwoch, den 22. Juli, beteiligen sich erstmals auch Anwohner*innen der betroffenen Dörfer an der Blockade. Für sie alle sei die L277 die rote Linie, sagt Tina Dresen. Sie wohnt mit ihrer Familie im Dorf Kuckum auf einem denkmalgeschützten Bauernhof. Am Mittwoch ist sie als Zuschauerin dabei. „Die L277 ist die einzige Grenze, die wir noch haben, zwischen Tagebau und Dörfern“, sagt sie. „Die einzige Mauer sozusagen, die unsere Heimat von diesem Loch trennt.“

In den nächsten Jahren soll der Braunkohle-Tagebau Garzweiler erweitert werden: Die fünf Dörfer Berverath, Ober- und Unterwestrich, Keyenberg und Kuckum sollen dafür weichen. Nur wollen viele nicht weg. Im Dorf Kuckum sind es etwa zwei Drittel, die bleiben wollen. Dass ihnen Zwangsenteignung droht, damit Braunkohle abgebaut werden kann – das sei vor allem in der heutigen Zeit nicht nachzuvollziehen, sagt Dresen. „Es ist schwierig zu verkraften.“ Aber die Unterstützung gebe ihr Hoffnung. „Mittlerweile haben wir von Fridays for Future bis zu Ende Gelände alle Leute hinter uns stehen. Alle setzen sich für die Dörfer ein.“

Es geht um Solidarität

Die Pressesprecherin der Mittwochsaktion „Keinen Meter der Kohle“ nennt sich Mira. „Wenn die L277 weg ist, graben die Tagebau-Bagger direkt vor den Dörfern“, sagt sie. Bei der Aktion gehe es vor allem um Solidarität. „Wir wollen ein klares Zeichen setzen, dass alle Dörfer bleiben und dass wir an der Seite der Menschen hier vor Ort stehen.“ Außerdem sei Ziel, auf Unrecht aufmerksam zu machen. „RWE plant, dass das hier mal Tagebaugelände wird“, sagt Mira und schaut auf die Felder, die bis zum Horizont reichen. „Wir sehen das anders. Dieser Protest wird sich ziemlich sicher zuspitzen.“

Die Polizei Aachen zeigt an diesem Tag viel Ausdauer. Gegen 8 Uhr beginnt die Blockade, gegen 14 Uhr ist sie geräumt. Dazwischen liegen unzählige Gespräche, Ansagen, Bitten, Vermittlungen. Beamt*innen in Uniformen schwitzen sich stundenlang durch die Mittagssonne. Die Polizei Aachen tut, was eine Polizei macht, wenn sie mit gewaltlosem Protest umzugehen hat, und unnötige Gewalt vermeiden möchte: Kommunikation statt Schlagstock, Geduld statt Pfefferspray.

Tina Dresen sagt, ihr Verhältnis zur Polizei habe sich in den letzten Jahren eher negativ geändert. Aber vor allem die Politik habe sie verloren. Ihre Heimat sei für die Bundes- wie Landesregierung bedeutungslos, sagt Dresen. „Wir haben mit so vielen Leuten gesprochen, mit so vielen Politikern. Keiner interessiert sich wirklich für die Heimat. Hinterrücks planen sie weiter den Abriss und versuchen uns rauszudrängen.“ Aber Dresen sagt auch: Es gehe weiter. „Wir werden alles dafür tun, um nicht umgesiedelt zu werden“, sagt sie. „Wir sind fest überzeugt, dass wir das schaffen.“

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3 Kommentare

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  • "Die Polizei Aachen tut, was eine Polizei macht, wenn sie mit gewaltlosem Protest umzugehen hat, und unnötige Gewalt vermeiden möchte [...]"

    Na, scheint doch zu gehen. Dafür meinen ausdrücklichen Dank. Wenn sich jetzt noch herumspricht, dass friedlicher Protest und Polizei ein gemeinsames Ziel haben, das prioritär sein sollte: niemanden zu verletzen und selber gesund und heile (schilesslich) nach Hause kommen.

    Man kann ja so seine Probleme mit der Institution Polizei, wie sie hier und jetzt ist (ich habe sie), aber schliesslich sind auf beiden Seiten Menschen, und gegenseitiger Respekt und Wertschätzung ist m.E. fndamental.

    Solche Signale sind mir eine Freude.

    • @tomás zerolo:

      ...im Gegensatz zu solchen [1].

      Dabei geht es mir gar nicht um den "einzelnen" Polizeibeamten, der "ausrastet" (obwohl die Folgeschäden oft entsetzlich sind). Sondern um das Verhalten der Institution Polizei dazu.

      Statt sich dieser Fälle anzunehmen und darüber nachzudenken, was besser geht (psychologische Betreuung, weniger Arbeitsbelastung, manche Menschen gar nicht in solche Situationen zu schicken) baut sie ein Bollwerk der Leugnung davor auf -- in einem Überbietungswettbewerb mit manchen (meist innen-) Politikern.

      "Fehler? Machen wir keine."

      [1] taz.de/Polizeigewa...er-Forst/!5695542/