Brasiliens politisierte Justiz: Hickhack um Lula da Silva
Die politische Lage vor der Präsidentschaftswahl in Brasilien ist dramatisch. Das verdeutlicht die Justizposse um den inhaftierten Ex-Präsidenten Lula.
Seit Anfang April verbüßt Lula dort eine zwölfjährige Haftstrafe wegen Korruption. Die Episode zeigt jedoch, wie fragil Brasiliens Rechtssystem inzwischen geworden ist. Gut 100 Tage vor der nächsten Präsidentschaftswahl am 7. Oktober ist es höchste Zeit, die Frage einer Kandidatur des ehemaligen Gewerkschafters zu klären.
Völlig überraschend verfügte der diensthabende Richter Rogério Favreto am Sonntag Lulas sofortige Entlassung. Die Haft nach zweiter Instanz, aber vor einer endgültigen Verurteilung, verletze Lulas Grundrechte und seine Meinungsfreiheit. Favreto verwies darauf, dass der 72-jährige in allen Wahlumfragen mit großem Abstand in Führung liegt.
Die PT-Abgeordneten, die den Antrag auf Haftverschonung stellten, hatten sich den Tag gut ausgesucht. Favreto gilt als PT-nah, der im Berufungsgericht für den Korruptionsprozess zuständige Richter war nicht im Dienst, und der Korruptionsrichter Sérgio Moro, der Lula in erster Instanz verurteilte und seinen Haftbefehl ausstellte, war im Urlaub.
Plötzlich ist Lulas Inhaftierung wieder auf der Agenda
Es folgte eine Serie sich widersprechender Entscheidungen verschiedener Richter für und gegen eine Haftverschonung, bis am Abend Gerichtspräsident Carlos Eduardo Thompson Flores Lenz ein Machtwort sprach und die Fortsetzung von Lulas Haft verfügte. Sogar die Präsidentin des Obersten Gerichts, Cármen Lúcia Rocha, sah sich genötigt, die Kontrahenten zur Mäßigung aufzurufen.
Die nächste Runde ist bereits eingeläutet: Gegen Favreto wurden mehrere Dienstaufsichtsbeschwerden eingereicht, und Moro wurde angezeigt, da er sich trotz seines Urlaubs in einer offiziellen Stellungsnahme für die Fortsetzung von Lulas Haft aussprach.
Eine Niederlage für die PT war die Justizposse allerdings nicht. Die Inhaftierung Lulas ist plötzlich wieder auf der politischen Tagesordnung. Und es wurde deutlich, dass es offenbar vom jeweiligen Richter abhängt, ob ein Urteil für oder gegen den Angeklagten ausfällt. Gerade im brisanten Fall Lula ist dies ein Armutszeugnis.
Auch die These, dass es nicht nur um Korruption, sondern auch um Politik geht, wurde anschaulich demonstriert: Ein PT-naher Richter lässt Lula frei, während Moro, der der konservativen Unternehmerpartei PSDB nahesteht, ihn unbedingt hinter Gitter und nicht auf Wahlkampfbühnen haben will.
Kaum jemand glaubt noch, dass Lula kandidieren kann
Es ist unwahrscheinlich, dass die Justiz in den drei Monaten bis zur Wahl die vielen Streitfragen im Fall Lula klären wird. Strittig ist nicht nur die Verurteilung wegen Korruption, bei der es um ein Strandappartement geht, das der Baukonzern OAS Lula als Gegenleitung für politische Gefälligkeiten überlassen haben soll. Für die Revision vor dem Obersten Gericht gibt es noch keinen Termin.
Ebenfalls strittig ist die Inhaftierung bereits nach einer Verurteilung in zweiter Instanz. Während sich das Oberste Gericht zuletzt mit fünf zu vier Stimmen dafür aussprach, setzten einzelne Oberste Richter zuletzt mehrere wegen Korruption Verurteilte wieder auf freien Fuß, da sie die Unschuldsvermutung höher bewerten als die Mehrheitsmeinung.
Jenseits der Haftfrage muss die Justiz auch noch über eine Kandidatur Lulas befinden. Er selbst unterzeichnete einst ein Gesetz, dass zweitinstanzlich Verurteilten eine Kandidatur für öffentliche Ämter untersagt. Bislang hält die PT an seiner Kandidatur fest, doch kaum jemand glaubt noch ernsthaft daran, dass sein Name auf dem Wahlzettel stehen wird.
Wild spekuliert wird über den Namen, den Lula unterstützen würde, wenn er nicht selbst antritt. Sein Kandidat hätte beste Chancen, den zweiten Wahlgang zu erreichen. In Wahlumfragen ohne Lula führt derzeit der rechtsradikale Jair Bolsonaro, der schon ankündigte, mehrere Militärs in sein Kabinett zu bitten.
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