Brandbrief von Asklepios Ärzt*innen: Mediziner*innen am Ende
Ärzt*innen der Asklepios-Klinik Hamburg St. Georg sehen ihre Patient*innen in Gefahr, weil nicht genug Personal da ist. Auch der Marburger Bund kritisiert die Situation.
Unterzeichnet haben den Brief fast 50 Mediziner*innen, die meisten arbeiten in den Abteilungen für Innere Medizin und Kardiologie. „Trotz intensiver Gespräche mit der Geschäftsführung und zahlreicher Gefährdungsanzeigen werden wir von den Verantwortlichen unzureichend gehört und beschwichtigt“, schreiben die Ärzt*innen. Sie fordern unter anderem fachliche Mindeststandards für die ärztliche Personalbesetzung und verlangen, dass medizinische Überlegungen Vorrang vor ökonomischen Zwängen haben müssten.
Die Ärzt*innen werfen Asklepios in St. Georg eine „desolate Organisationsstruktur“ vor. So würden erfahrene Mediziner*innen zum Teil durch Berufseinsteiger*innen ersetzt. Der Chefarztposten für die Innere Medizin sei drei Jahre lang unbesetzt gewesen. Und weil Fachärzt*innen fehlten, sei in diesem Jahr über „Zeiträume von bis zu einer Woche“ kein leitender Facharzt für Innere Medizin anwesend gewesen. Die Klinik habe „Berufsanfänger, ungeachtet ihrer limitierten klinischen Erfahrung, mit schwerstkranken Patienten betraut“. Und das „ohne Supervision“.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Asklepios-Klinik St. Georg in die Kritik gerät. Vor zwei Jahren berichtete der Spiegel über „das kranke Haus“ und den dafür verantwortlichen Konzern. Auslöser war ein Brief der Pflegekräfte der onkologischen Station an die Konzernleitung, in dem sie eine Gefährdung von Patient*innen anprangerten.
In diesem Jahr musste der internistische Teil der Notaufnahme mehrfach von der Versorgung abgemeldet werden, weil Personal fehlte. Dieser Teil wird auch von den Ärzt*innen besetzt, die den aktuellen Brief unterzeichnet haben. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) nannte die Sperrung im Sommer zwar inakzeptabel, sprach aber von einer Ausnahmesituation.
Asklepios wurde 1985 gegründet und macht mit gut drei Milliarden Euro im Jahr den zweitgrößten Umsatz aller privaten Klinikbetreiber in Deutschland.
Die Stadt Hamburg verkaufte unter der CDU-Regierung 74,9 Prozent ihrer Anteile am Landesbetrieb Krankenhäuser an Asklepios, obwohl die Hamburger*innen in einem Volksentscheid dagegen gestimmt hatten.
Der Deal steht bis heute in der Kritik. Die Stadt hält zwar 25,1 Prozent der Anteile, hat aber auf fast alle Mitspracherechte verzichtet.
Den größten Klinikverbund an einem Standort in Europa betreibt Asklepios nach eigenen Angaben in Hamburg und ist damit der größte Arbeitgeber der Stadt.
Mittlerweile ist Asklepios auch in die ambulante Versorgung eingestiegen und betreibt im Norden 15 medizinische Versorgungszentren, zwölf davon in Hamburg.
Die prekäre Personalsituation sei keine Ausnahme, sondern seit Längerem die Regel, schreiben die Ärzt*innen aus St. Georg nun. Für Honorarärzt*innen, die Asklepios bei Personalengpässen einstellt, gebe es trotz langfristiger Planung kein Einsatzkonzept. Sie hätten teilweise kein Telefon, keine Stationsübersicht und keine Kontaktdaten. „Dies führt zu unnötigen Reibungsverlusten und schlimmstenfalls in Notfallsituationen zur völligen Handlungsunfähigkeit“, schreiben die Ärzt*innen.
Asklepios sagt, man nehme Hinweise von Mitarbeitern zu drohenden Arbeitsüberlastungen oder einer Gefährdung der Patientenversorgung grundsätzlich sehr ernst. „Aufgrund der Hinweise in den vergangenen Monaten wurden jeweils unmittelbare Maßnahmen eingeleitet sowie die Voraussetzungen zu einer strukturellen Änderung geschaffen“, sagt ein Unternehmenssprecher.
Das ärztliche Personal in der Abteilung für Innere Medizin sei in den vergangenen Monaten aufgestockt worden. Außerdem sei für dieselbe Abteilung ein neuer Chefarzt sowie ein ärztlicher Leiter für die zentrale Notaufnahme eingestellt worden. Einen generellen Sparkurs gebe es nicht.
Christine Löber, HNO-Ärztin in der Notaufnahme in St. Georg, bestätigt, dass neue Mediziner*innen eingestellt wurden. Jedoch seien das weniger, als zuvor die Klinik verlassen hätten. Außerdem habe Asklepios erst mit deutlichem Zeitverzug auf das Problem reagiert. „Die erste Gefährdungsanzeige aus der Inneren Medizin stammt vom November 2017“, sagt sie. „Dann ist erst einmal gar nichts passiert. Es wird erst reagiert, wenn der Druck am höchsten ist.“
Pedram Emami, erster Landesvorsitzender des Marburger Bundes, bestätigt, dass die Personallücke in St. Georg wohl kleiner werden wird. Aber auch er habe aus den Abteilungen gehört, dass Asklepios versuche, qualifizierte Stellen mit Jungärzten zu besetzen, weil diese günstiger seien. Die Ärzt*innen aus St. Georg schreiben, dass es weiterhin zu einer unzulänglichen Personalbesetzung komme, die eine sichere Patientenversorgung nicht zulasse.
Auch Beschlüsse des Hamburger Arbeitsgerichts sprechen eine eindeutige Sprache. Seit 2015 musste der Konzern mehrfach Ordnungsgelder bezahlen, weil Dienstpläne in St. Georg ohne die notwendige Zustimmung des Betriebsrats angewandt wurden. Mittlerweile verhängt das Gericht für jeden Fall die maximale Strafe, zuletzt im August waren 50.000 Euro fällig. Es ging um die Dienstpläne der Ärzt*innen der Kardiologie. Auch wenn Asklepios durch die Umsetzung der Dienstpläne Personalengpässe ausgleichen wollte, heißt es in der Begründung des Gerichts, würden „solche Engpässe in der Regel nicht gänzlich unvorhergesehen eintreten, sondern mit einer vorausschauenden Personalplanung gelöst werden können“. Laut Asklepios ist die Situation, die zu dem Ordnungsgeld führte, inzwischen „bereinigt“.
„Dass Asklepios schon so viele Strafen gezahlt hat, zeigt, welche Geisteshaltung dahintersteckt“, sagt Emami. „St. Georg ist sehenden Auges ins Messer gelaufen.“ Es sei rechnerisch teurer, vier bis fünf Ärzt*innen ein Jahr lang zu beschäftigen, als die Strafen wegen Dienstplanverstößen zu zahlen.
Die Hamburger Gesundheitsbehörde habe im Oktober den Hinweis auf einen „kurzfristigen“ personellen Engpass in der Inneren Medizin in St. Georg erhalten und sei diesem nachgegangen, sagt ein Sprecher auf taz-Anfrage. „Der Träger hat uns daraufhin mitgeteilt, dass dieser Engpass krankheitsbedingt war und durch zusätzliches ärztliches Personal aus anderen Bereichen kurzfristig ausgeglichen werden konnte.“ Die aktuellen Vorwürfe waren der Behörde jedoch noch nicht bekannt. Man wolle die Angelegenheit prüfen, wenn das Schreiben der Behörde zugänglich gemacht würde, so der Sprecher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren