Brandbrief der Umweltorganisationen: Da ist Fernwärme im Busch
Hamburgs rot-grüner Senat überlegt, namibisches Buschholz zu verfeuern, um die Fernwärmeversorgung klimaneutral zu machen. Das weckt Proteste.
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Mehr als 100 Jahre später könnte dieser Ort zu einem Beispiel der Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen der ehemaligen Kolonialmacht und den ehemals Kolonisierten werden. Das klingt zumindest an in einem Papier der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die als Werkzeug der Bundesregierung weltweit die nachhaltige Entwicklung fördern soll.
2019 präsentierte die GIZ einen Plan, der fast zu schön klingt, um wahr zu sein: Namibia könnte die wild wuchernden, dornigen Büsche seiner Savanne häckseln und als Brennstoff nach Deutschland verschiffen. Mit dem nachwachsenden Rohstoff könnten hierzulande quasi CO2-frei und damit klimaneutral Kraftwerke betrieben werden.
Namibia hätte damit die Chance, der immer weiter voranschreitenden Verbuschung und – so eine Lesart – faktischen Verwüstung weiter Landstriche Herr zu werden. Und Deutschland könnte einen stetigen Strom erneuerbarer Energie erwarten, mit dem sich Schwankungen bei Wind und Sonne ausgleichen ließen.
Zweifel an der Klimaneutralität
Eine besondere Dringlichkeit ist dabei in Hamburg gegeben, wo der Senat auf Geheiß der Bevölkerung die Netze für Strom, Gas und Fernwärme zurück gekauft hat. Ziel des Volksentscheids von 2013 war „eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“.
Umsetzen muss das der grüne Umweltsenator Jens Kerstan, der dafür das Kraftwerk Tiefstack am Elbe-Nebenfluss Bille von Kohle- auf Holzverbrennung umrüsten will, um klimafreundliche Fernwärme liefern zu können.
Doch seinen guten Absichten zum Trotz sieht sich der rot-grüne Hamburger Senat mit einer breiten Gegenbewegung konfrontiert. 40 Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus dem Bereich der Umwelt und der Entwicklungszusammenarbeit haben „Entwicklungshilfeminister“ Gerd Müller (CSU) dringend gebeten, das GIZ-Projekt „Bush Control & Biomass Utilization“ (BCBU) zu stoppen.
Die Verbrennung von Buschholz als klimaschützend zu kalkulieren, sei keine überzeugende Rechnung, heißt es von den Aktivisten. Durch die Abholzung werde in Namibia eine Kohlenstoffsenke zerstört. Auf die entbuschten Flächen würden Rinder zum Weiden geführt, deren Gedärmen wiederum Methan entweiche – ein Gas, das viel klimaschädlicher sei als Kohlendioxid.
Neokolonial oder ökoimperialistisch?
Nicht zuletzt trage das Vorhaben neokoloniale Züge, denn Deutschland könnte damit seine Klimabilanz entlasten, während die von Namibia belastet würde. Profitieren würden deutsche Maschinen- und Anlagenbauer, Geldgeber und große namibische Farmen – das alles zu Lasten der Namibier, die sich mit ein paar Rindern und dem Ernten von Holz über Wasser hielten.
Minister Müller hat den Aktivisten allerdings schon eine Abfuhr erteilt. Und auch in Namibia teilen nicht alle die Argumentation der Gegenbewegung. Die Namibia Nature Foundation (NNF) etwa würdigt zwar die Kritik der internationalen NGOs, warnt aber zugleich vor Öko-Imperialismus: Die ausufernde Verbuschung lasse den Namibiern immer weniger Land zum Bewirtschaften übrig. Den Namibiern wachse das Buschholz sozusagen über den Kopf – in so großen Mengen, dass es im Land bei Weitem nicht verarbeitet werden könne.
Dabei betonen die namibische Regierung, die GIZ und die Uno, dass es nicht um einen Kahlschlag, sondern nur um ein Ausdünnen des Buschs gehen könne. Darum, eine halboffene Savannenlandschaft wie vor 100 Jahren wiederherzustellen. Die Verbuschung sei auch deshalb ein Problem, da die Pflanzen dem Boden viel Wasser entziehen, das über die Blätter verdunstet. Der Grundwasserspiegel sinkt. Zudem ziehen sich viele Wildtierarten aus verbuschten Gebieten zurück.
Die Umweltorganisation Robin Wood, die grundsätzlich ablehnt, für den Klimaschutz Holz zu verbrennen, bezweifelt, dass ein Ausdünnen realistisch ist: Der Preisdruck werde eine quasi-industrielle Abholzung forcieren, zumal in einem Gebiet, das so groß sei wie Italien, kaum gewährleistet werden könne, dass nach nachhaltigen Regeln geholzt werde.
Lesen Sie mehr über den Buschholz-Streit in unserer gedruckten Wochenend-Ausgabe oder hier.
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