Boßeln und Schnaps: Ein Wurf und dann einen Asbach Uralt
Beim Boßeln wirft man Kugeln, läuft ein bisschen und trinkt. Schnaps, Bier, Tee mit Rum. Das ist Kult im Norden. Aber auch für andere amüsant.
K ennen Sie Boßeln? Macht nichts, ich habe auch erst vor kurzem das erste Mal mitgemacht. Bis dahin hatte ich noch nicht einmal das Wort gehört. Aber jetzt weiß ich: Boßeln ist ein Riesending. In kurz erzählt geht das so: Man läuft über ein verschneites Feld, wirft mit Kugeln und trinkt. In lang erzählt sind dabei: zwei Teams, zwei Kugeln, in etwa so groß und so schwer wie eine Bowlingkugel für Kinder, eine Stange, um die Kugeln aus den Wasservertiefungen am Wegesrand zu fischen, und jede Menge Alkohol.
Als die taz-Nord-Redaktion kürzlich über eine vermatschte Wiese am Stadtrand von Bremen boßelte, führte sie mit sich: Timm’s Saurer, Kakao mit Brandy, Asbach Uralt, Tee mit Himbeergeist, Tee mit Kandis und Rum, Bier, Schierker Feuerstein, Mampe Halb und Halb, Senator-Korn, Asbach Uralt-Schnapspralinen, Mozartkugeln Falco Edition.
Die taz-Nord-Redaktion besteht aus den Büros Hamburg, Bremen und Hannover. Boßeln gehört bei ihnen zum winterlichen Ertüchtigungsprogramm. Egal, ob die Wiese und die Kanäle links und rechts von der Wiese, auf denen die Kolleg:innen seit Jahren boßeln, zugefroren sind oder – infolge des Klimawandels – eine matschige Angelegenheit. So wie diesmal. Kalt ist es im Februar so oder so. Deshalb braucht man Schnaps. Unbedingt. Kalt oder warm, Hauptsache hochprozentig.
Boßeln ist vor allem im Norden beliebt. Manche Boßler:innen nennen es auch Klootschießen. Ich finde das Wort, nun ja, etwas anrüchig – und bleibe lieber auf der Sachebene. Auf Eiderstedt, einer Halbinsel an der Nordseeküste, gehört Boßeln zur nordfriesländischen Identität. Auf Eiderstedt lernt ein Kind erst Laufen und dann Boßeln. So jedenfalls bewirbt der Unterverband Eiderstedter-Boßler seinen Heimatsport.
Von den Eiderstedter:innen lernt man, dass es Boßeln dort schon seit dem 16. Jahrhundert gibt und 1886 zwei Vereine gegründet wurden, die es heute immer noch gibt: den Boßelverband Garding und den Boßelverband Heverbund. Der Unterverband Eiderstedter Boßler existiert auch schon seit 1921 und organisiert 14 Männervereine. Vielleicht sollte man den Eiderstedter:innen aber mal sagen, dass es absolut nicht mehr zeitgemäß ist, auf Mitspieler:innen zu setzen, die sich in erster Linie durch eine hohe Konzentration an Testosteron auszeichnen.
Bekloppte Amis bei der Boßel-EM
Mittlerweile gibt es Europameisterschaften im Boßeln. Da machen – neben den Ost- und Nordfriesen – auch Boßler:innen aus Irland, Italien, Schottland, den Niederlanden und den USA mit. Die USA zählen vielleicht territorial nicht zu Europa, mental beim Boßeln aber schon. Jedenfalls hat Esther Geisslinger, unsere Korrespondentin in Schleswig-Holstein, das amerikanische Team vor Jahren mal begleitet. Wenn also jemand weiß, wie boßelig-deutsch die Amis in Wirklichkeit sind, dann Esther.
Etwas bekloppt sind die Amis allerdings schon, wenn sie etwa aus dem wohltemperierten Kalifornien an Deutschlands diesig-feuchte Küsten reisen, um Boßelkugeln einen Weg entlang möglichst weit zu werfen. Denn jenes Team, das die wenigsten Würfe braucht, um nach vielen Stunden, aber wenigen Kilometern am Ziel zu sein, hat gewonnen. Es dauert so lange, weil man dabei quatscht, lacht, versucht zu schummeln. Das alles geht besser, wenn man trinkt. Timm’s Saurer, Kakao mit Brandy, Tee mit Himbeergeist … siehe oben.
Manchmal rollt eine Kugel ins Wasser, dabei kann es schon mal passieren, dass derjenige mit dem Kescher und dem ambitionierten Versuch, die Kugel aus dem Wasser zu holen, selbst ins Wasser rutscht. Das musste ein mitboßelnder Kollege erleben, dummerweise schon zum zweiten Mal. Seinen vom Schlamm umhüllten Wanderschuh und die pitschnasse Jeans möchten Sie nicht gesehen haben. Schon gar nicht wollen Sie wissen, wie man so durchtränkt weiterboßeln muss. Aber nun weiß der Kollege, sagt er selbst, dass er beim nächsten Boßeln nicht nur frische Socken einpacken muss, so wie er das in weiser Voraussicht diesmal getan hat, sondern auch ein zweites Paar Schuhe. Und eine weitere Hose. Am besten auch eine alte Jacke, die dem Schlamm trotzen kann.
Ich sehe noch vor mir, wie er – um die frische Socke wenigstens bis zum Ende der Boßelstrecke halbwegs trocken zu halten – eine Plastiktüte zwischen Strumpf und Schuh gezogen hatte. Notfalls hätten wir den Schnaps auch zum Einreiben seiner Füße verwenden können. Das machten doch Omas früher so, wenn jemand fast erfroren war? Schnaps, das zeigt sich hier wieder mal, ist viel besser als sein Ruf.
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