Boom bei Elektrorädern: Zwei Räder weniger

Längst sind Pedelecs mehr als nur kraftsparende Fortbewegungsmittel für Senioren. Für junge Familien ersetzt das Pedelec gern das Auto.

Ein Elektrorad in Betrieb

Flotte Sohle mit geringerem Muskeleinsatz. Foto: dpa

BERLIN taz | Die Ampel wird grün, Katharina Mydla tritt in die Pedale, langsam und kraftvoll. Das Fahrrad setzt sich eher widerwillig in Bewegung, zu schwer wiegt der knallbunte Anhänger nebst darin untergebrachtem Nachwuchs. Aber ebendieser muss in den Kindergarten gebracht werden. Also greift die junge Frau mit den kurzen Haaren an den rechten Lenker und dreht die kleine Scheibe, die sich kaum von einer Gangschaltung unterscheidet. Mit einem leisen Schnurren springt der Motor an. Plötzlich bewegt sich das Fahrrad leichter. Die dreifache Mutter muss kaum noch strampeln, das Rad gleitet auch unter leichten Tritten schnell über die Kreuzung.

Katharina Mydla ist Mutter einer fünfköpfigen Familie. Als sie zum dritten Mal schwanger war, wurde der Zweitwagen der Familie zu klein für Einkäufe und Ausflüge. Statt einen neuen zu kaufen, entschlossen sie und ihr Mann sich zu einem Experiment: Sie schafften sich ein Pedelec an, ein Fahrrad mit Trittkraftunterstützung.

Seitdem erledigen sie Wege in einem Radius von etwa fünfzehn Kilometern mit dem Fahrrad, transportieren Lasten mit dem Anhänger und legen die Strecke zur Arbeit auf zwei Rädern zurück – alles mit elektrischer Unterstützung. Wie zufrieden die Familie mit dem motorisierten Fahrrad ist, kann man leicht sehen, wenn man vor ihrem Haus steht: Der Zweitwagen, dessen Rolle das Pedelec übernommen hat, parkt dort nicht mehr.

Das Elektrorad ist auf dem Vormarsch. Das Bundesministerium für Verkehr verzeichnete für das Jahr 2014 einen Anstieg der Verkaufszahlen um 17 Prozent. Insgesamt gut 480.000 E-Bikes und Pedelecs kauften die Deutschen. 2009 waren es nur ein Drittel so viele. Damit haben 12 Prozent der verkauften Fahrräder einen Elektromotor. Deutschland ist E-Rad-Meister: Ein Drittel der Elektroräder in Europa wird in Deutschland verkauft.

Wasilis von Rauch, VCD

„Es macht einfach Spaß, die Dinger zu fahren“

Kein Wunder also, dass die Pedelecs und E-Bikes auch auf Europas größter Fahrradmesse, der Eurobike, eine entscheidende Rolle spielen. Von Mittwoch bis Sonntag wird sich in dieser Woche in Friedrichshafen alles um das Fortkommen auf zwei Rädern drehen. „Seit Jahren werden Elektroräder bei uns immer wichtiger“, sagt Stefan Reisinger, der die Messe organisiert. „Alle großen Marken haben diesen Trend erkannt und darauf reagiert.“ Die Fortschritte sind auf der Eurobike von Jahr zu Jahr erkennbar: längere Akkulaufzeiten, bessere Leistung und eleganteres Design.

Das Image des Pedelec als „Rehamobil“ für ältere Menschen verblasse immer mehr, sagt René Filippek vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC). Stattdessen zeigen sich neue Anwendungsbereiche, vom Urlaub auf dem Fahrrad über das Mountainbiking bis hin zu alltäglichen Einkäufen. Dass Menschen den Zweitwagen abschaffen und ihn durch ein Pedelec oder E-Bike ersetzen, wie es Familie Mydla gemacht hat, ist der Wunschtraum der Fahrradindustrie. Stefan Reisinger von der Messe Friedrichshafen ist sich sicher: „Ein Elektrorad kann anstelle eines Autos funktionieren, und das ist auch der Anspruch der Branche.“

Fahrräder von Autokonzernen

Nicht nur Privatpersonen, auch Unternehmen richten ihre Blicke in letzter Zeit auf das Pedelec. Seit 2012 kann eine Firma ihren Mitarbeitern – analog zum Dienstwagen – ein Dienstfahrrad zur Verfügung stellen. Unternehmen wie der Softwarehersteller SAP nutzen diese Möglichkeit bereits, auch bei der Deutschen Bahn läuft ein Test. Mehrere Unternehmen bieten Fahrradleasing für Firmenkunden an.

Auch die Autoindustrie hat inzwischen erkannt, welches Potenzial es im Markt der elektrischen Fahrräder gibt. So stellen viele große Hersteller von Kraftfahrzeugen, unter anderem BMW, Ford und Opel, inzwischen eigene Modelle her, meistens mit ausgefallenem, markentypischem Design und im hochpreisigen Sektor.

Das Pedelec trete, wie im Fall von Familie Mydla, „mehr in Konkurrenz zum Auto als zum klassischen Fahrrad“, glaubt Wasilis von Rauch, Vorstand des Verkehrsclubs Deutschland VCD, zu erkennen. Viele Menschen, vor allem junge Familien, nutzen ein Pedelec in der Freizeit für Ausflüge, aber auch für größere Einkäufe oder den Weg zur Arbeit. „Es macht einfach Spaß, die Dinger zu fahren“, sagt von Rauch, selbst aktiver E-Radler. Außerdem ist es, trotz der elektrischen Unterstützung, immer noch eine Form von Sport.

Auch der Umweltaspekt spiele für viele Menschen ein Rolle: Wegen des notwendigen Aufladens des Akkus kommt das Pedelec zwar nicht ganz ohne Energieverbrauch und Schadstoffproduktion aus, aber die Klimabilanz ist im Vergleich zum Auto eine ganz andere: Stößt der Verbrennungsmotor eines Neuwagens im Durchschnitt 130 Gramm CO2 pro Kilometer aus, sind es beim Pedelec-Akku auf derselben Strecke nur 5 Gramm.

2 Cent pro Kilometer

Außerdem ist das elektrische Fahrrad deutlich günstiger im Unterhalt. Zwar schlagen zum Beispiel Akkus, die nach etwa 500 bis 1.000 Aufladungen ausgewechselt werden müssen, je nach Modell mit 200 bis 800 Euro zu Buche, dafür ist das Fahren an sich sehr viel günstiger: Je nach Benzinpreis und Verbrauch zahlt man bei einem Auto pro gefahrenen Kilometer inklusive Verschleiß mindestens 25 Cent. Bei einem Pedelec kommt man, wenn man den Preis eines neuen Akkus auf die Kilometer umrechnet, auf etwa 2 Cent pro Kilometer. Und natürlich wird bei der Anschaffung nochmals gespart.

Spaß am Fahren, Gesundheit, Umweltverträglichkeit, Preis – und auf kurzen Strecken oft sogar bessere Zeiten: Diese Argumente scheinen zu fruchten. Sowohl Wasilis von Rauch vom VCD als auch René Filippek vom ADFC haben viel positives Feedback von Menschen bekommen, die sich ein elektrisches Fahrrad gekauft haben. Laut einer nicht repräsentativen Umfrage des VCD bereuen 99 Prozent der Befragten ihren Kauf nicht. Außerdem gaben fast 75 Prozent der Befragten an, mit dem Pedelec Autofahrten zu ersetzen. Und der eine oder andere zieht daraus seine Konsequenz: René Filippek haben mehrere Leserbriefe von Käufern erreicht, die den Zweitwagen durch ein Pedelec ersetzt haben.

So wie Katharina Mydla und ihre Familie. Inzwischen ist das Elektrorad ein fester Bestandteil ihres Lebens geworden: Die Kinder werden damit zum Kindergarten kutschiert, die Mutter fährt zur Arbeit. Am Wochenende werden motorisiert Ausflüge unternommen. Nur wenn der Winter kommt, wenn es regnet und friert, dann siegt doch der innere Schweinehund und der Erstwagen wird aus der Garage geholt. „Aber meistens überwiegt der Spaß am Radeln“, sagt Katharina Mydla.

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