Böllerverbot in Berlin: Der Knalleffekt bleibt aus
Mit einem Großaufgebot konnte die Polizei Verbotszonen für Feuerwerk durchsetzen. Gewonnen ist damit nichts. Krieg gespielt wurde halt woanders.
S ilvester, gegen 18 Uhr, ist es in der Weisestraße im Neuköllner Schillerkiez kurz still. Bis ein von einem Balkon geworfener Polenböller vor einem beleuchtetem Fenster mit Spitzengardinen explodiert. Rumms. Zeitgleich tritt ein Vollhorst, äh Mann, vor die Haustür eines Mehrfamilienhauses, zückt eine Schreckschusspistole und feuert in schneller Abfolge Schüsse in die Luft. Pengpengpengpengpengpeng. Blitzschnell verschwindet er wieder im Hauseingang. Riesenspaß.
Nicht nur das Herz der Oma, die mutmaßlich hinter den Spitzengardinen wohnt, schlägt in diesen Sekunden wohl fast im selben Takt wie die Schüsse – Adrenalinlevel normales Silvester in Neukölln halt. Von Böllerverbotszonen und einer woanders gefühlten Mäßigung nach Feinstaub-Shaming und neuem Umweltbewusstsein bei Privatfeuerwerk ist hier ernüchternd wenig zu spüren.
Erstaunlich bleibt immerhin, dass die Böllerverbotszonen in Schöneberg Nord und am Alexanderplatz laut Polizei erfolgreich waren und dort tatsächlich keine ritualisierten Straßenschlachten stattgefunden haben. Nur: Richtig was gewonnen ist damit nicht. Leute, die in der Sicherheitszone böllern wollten, wurden von einer Übermacht Polizisten mit echten Knarren und Brokdorf-Equipment weggeschickt – und haben dann halt fünf Meter weiter geil Krieg gespielt.
Bilder von Polizisten, die im Raketenhagel untergehen, und Übergriffe auf Rettungskräfte gab es 2019 genauso wie in den Jahren zuvor. Die Feuerwehr vermeldet mehr Brände als im Vorjahr. In der Neuköllner Sanderstraße sollen ein paar Leute sogar versucht haben, die Fahrzeugkabine eines Feuerwehrautos zu öffnen und mit Schreckschusspistolen reinzuballern.
Dass die Verbotszonen knallerfrei geblieben sind, zeigt also vor allem: Mit ein paar Hundertschaften Polizei und unzähligen Absperrgittern lässt sich ein kleiner Bereich halten – und alles andere wunderbar verdrängen. Die Straßen Neuköllns jedenfalls bleiben bis auf Weiteres eine Verbotszone für Menschen mit Überlebenswillen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!