Böhmermann und Schertz im HKW: „Man sollte mehr Gnade walten lassen“
Jan Böhmermann und Christian Schertz diskutieren im HKW über die Frage, was Satire darf. Sie beklagen, dass die Räume des Sagbaren geschrumpft sind.
Die Frage dürfte Böhmermann derzeit umtreiben. Der ZDF-Moderator geriet im Zuge der HKW-Ausstellung, die „die Korridore des Sagbaren“ weiten sollte „anstatt sie zu verengen“, in einen Shitstorm. Böhmermann ist bekannt dafür, Grenzen zu testen – und gelegentlich auch zu überschreiten. Man erinnere sich an Böhmermanns Schmähgedicht (laut Schertz: „künstlerische Gesamtperformance“) gegen den türkischen Präsidenten 2016, das kurzerhand eine Staatsaffäre auslöste.
Der Satiriker hat schon den einen oder anderen Rechtsstreit geführt, mal gewonnen, mal verloren. Er sei „kein masochistischer Typ“, aber er habe Spaß daran, unklare Rechtsfragen auszuloten, sagt er am Abend in der Schwangeren Auster. „Ich habe gelernt, das Wort Prozess zu lieben.“
Christian Schertz wiederum ist bekannt für die Kompromisslosigkeit, mit der er Prozesse führt. Mit Ausnahme von AfD-Abgeordneten vertritt er sie alle: Till Lindemann, MeToo-Opfer, Günther Jauch oder eben Jan Böhmermann. Sein Hauptgegner: die Bild-Zeitung. Sein Anspruch: „Ich versuche immer auf der richtigen Seite zu stehen.“
Die Aussage sorgt im Saal für Aufruhr. Eine empörte Zuschauerin will wissen, wie sein Anspruch mit dem Fall Till Lindemann vereinbar ist, gegen den Missbrauchsvorwürfe erhoben wurden. Dass er diesen vertrete und sich zeitgleich als „Me Too-Vorreiter“ bezeichne, sei „verlogen“, ruft sie. Schertz kontert nüchtern: „Ich habe ihn verteidigt, weil es unzulässige Verdachtsberichterstattung war.“ Seine Kanzlei war gegen den Spiegel vorgegangen, der Lindemann ohne Beweise unterstellt hatte, Frauen mit K.O.-Tropfen betäubt zu haben.
Verrohte Debattenkultur
Dann wird Schertz grundsätzlich: Wir würden in einer „Dauerempörungsgesellschaft“ leben. Die Debattenkultur sei inzwischen „derartig verroht“, dass Politiker*innen und andere Menschen kaum noch etwas sagen könnten, weil sofort der „moralische Zeigefinger erhoben“ werde. Sein Appell: „Man sollte mehr Gnade walten lassen.“
Davon hätte auch Böhmermann profitieren können. Er hatte für den 7. Oktober den Rapper Chefket ins HKW eingeladen. Der Kulturstaatsminister Wolfgang Weimer (CDU) forderte ihn auf, den Rapper wieder auszuladen. Weimer hatte ein Instagram-Post Chefkets, auf dem er ein Shirt trägt mit der Aufschrift „Palestine“ und zwei Emblemen mit den Umrissen Israels, aber in Form von arabischen Kalligrafien, als antisemitisch gewertet. Böhmermann sagte daraufhin das für den 7. Oktober mit Chefket geplante Konzert per Pressemitteilung ab. Für das Einlenken wurde er scharf kritisiert.
Im HKW heißt es am Montag dann plötzlich vonseiten Böhmermanns: „Es wurde keiner ausgeladen.“ Und weiter: „Alle reden miteinander.“ Wie ist dann zu erklären, dass alle anderen Künstler*innen ihre Konzerte im HKW daraufhin aus Solidarität mit Chefket absagten? Unklar. Wird das Konzert von Chefket nachgeholt? „Warten wir es ab“, sagt Böhmermann gewohnt spitzbübisch. Dem Publikum rät er: „Glauben Sie nicht alles, was in der Zeitung steht.“
„Ich finde das Trikot von Chefket scheiße“
Was der Staatsminister sagt, sei für seine Bewertung der Sachlage „komplett irrelevant“, sagt Böhmermann. Er habe selbstkritisch erkannt, dass es nicht richtig sei, die jüdische Perspektive am Jahrestag des Übergriffs der Hamas nicht zu berücksichtigen. Chefket am 7. Oktober nicht auftreten zu lassen, sei eine „Frage von Pietät und Mitgefühl“ gewesen.
„Ich möchte, dass wir lernen, so etwas auszuhalten und zu diskutieren“, sagt Böhmermann. „Ich finde das Trikot von Chefket scheiße, kann und will es nicht verteidigen.“ Aber: „Who am I to judge?“ Er wolle niemanden wegen eines „fucking Insta-posts“ einen Persönlichkeits-, geschweige denn einen Antisemitismusstempel aufdrücken. Denn: „Alles ist problematisch: Jan Böhmermann, Wolfgang Weimer, Christian Schertz, diese Zeit, Deutschland.“
Auch er kritisiert die zunehmende Polarisierung. Er sieht die Ursache jedoch weniger in der Gesellschaft selbst als in technischen Strukturen. „Wir sind konfrontiert mit einer Gesprächskultur, die ausschließlich durch Algorithmen gesteuert wird“, sagt Böhmermann. Den Schlüssel zur Entspannung dieses überhitzten Diskurses sieht er in einer stärkeren Regulierung der Plattformbetreiber.
Böhmermann sorgt sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn: „Satiriker sind die Kanarienvögel im Rektum der Demokratie. Wir merken es, bevor andere es merken“. Und er warnt: „Es wird kälter und es wird weniger ausgehalten.“ Seine moralische Grenze bei Satire: „Alles, was dazu führt, dass wir uns weiter auseinander bewegen.“
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