piwik no script img

Bochum nach dem Ende des OpelwerksFür immer Opelaner

Vor zwei Jahren lief der letzte Opel vom Band, das Werk in Bochum ist abgerissen. Nun versucht die Stadt, wieder attraktiver zu werden. Aber wie?

Wo früher das Werk stand, findet man heute braune Erde, Ruinen, Schrott (Archivbild 2015) Foto: dpa

Bochum taz | Weiße freistehende Container, zwei Herren stehen davor und schauen herüber. Hohe Bäume schirmen das Gelände ab. Ein Hinweis auf einem Schild, hier darf man keine Fotos machen. Michael Müller, einst Opelaner, 55, lichtes braunes Haar, steht an der Stelle, an der am Montag vor zwei Jahren der letzte Zafira vom Band lief. Dort, wo in Bochum früher die Opel-Neuwagen parkten, steht heute ein Containerpark für 400 Flüchtlinge. „Die Stadt hat sich verändert“, sagt Michael Müller.

Bochum, das war Opel, Autobau, ein Herzstück des Ruhrgebiets. In Bestzeiten arbeiteten in dem Werk 22.000 Menschen, am Ende waren es gerade 3.600.

Doch die Geschichte endete nicht ganz. Von den verbliebenen Mitarbeitern überführte man 2.600 in eine Transfergesellschaft, die nun nach zwei Jahren Befristung enden soll. Die Idee: Statt in die Arbeitslosigkeit entlassen zu werden, sollten die Arbeiter weitergebildet werden, sie bekamen 75 Prozent ihres alten Gehalts. Die Schirmherrschaft übernahm der TÜV Nord. Man sollte möglichst sanft zurück auf den Arbeitsmarkt. Die ernüchternde Bilanz: Gerade mal 900 konnten nach Auskunft des TÜVs Nord in neue Jobs vermittelt werden, 750 sind in einer Pensionsbrücke, weil sie keine Arbeit gefunden haben, die restlichen rund 1.100 Menschen werden zum Ende des Jahres arbeitslos.

Die IG Metall setzt sich derzeit für ein drittes Jahr für soziale Härtefälle ein, wie sie es im Sozialtarifvertrag vereinbart hatten. Was die Kriterien für diese Fälle sind, wird derzeit noch mit Opel verhandelt.

200 Fußballfelder

Michael Müller steht am Tor 4 des Werks I. Die Sonne scheint, Novemberkälte. Die Bagger brummen, auf der anderen Seite der Straße stehen kleine Einfamilienhäuser und ein gläsernes McDonald’s. Vor Michael Müller, hinter einem hohen Maschendrahtzaun des Tors: das Meer. Braune Erde, Schrott, Ruinen. 200 Fußballfelder passen auf das Abrissgelände; es ist eines der größten in Deutschland.

Michael Müller blickt auf. Weiter Blick auf einen Ort der Vergangenheit, an dem nichts mehr an jene erinnert. Dreißig Jahre lang arbeitete er hier, 15 Jahre lang fertigte er Getriebe, 15 Jahre lang war er freigestellter Betriebsrat. „Das war mein Leben“, er zeigt mit dem Daumen auf das Gelände. Zehn Jahre lang kämpften Michael Müller und seine Leute nicht nur für den Erhalt der Fabrikhallen und ihre Arbeitsplätze, vielmehr auch für einen Platz im Leben, sagt er. „Wir in Bochum haben das Wort ‚Opelaner‘ erst erfunden.“ Man identifizierte sich mit dem Unternehmen.

Nur wenige haben es wirklich geschafft

Michael Müller, Gewerkschafter

Ein alter Herr mit Schiebermütze steht zehn Meter entfernt an Tor 4, schaut ebenfalls auf das Schrottmeer, die Hände in der Jackentasche. Er lauscht dem Gespräch und fragt: „Sie waren auch bei Opel?“ Michael Müller nickt. Die beiden stellen sich mit ihrer Stammnummer vor, sie waren wohl im selben Gebäude unterwegs, wechseln sofort ins Du.

Zehn Jahre in der Schwebe

„Ich war der 420. Mitarbeiter im Werk“, sagt Gerhardt Hornberg. Der 82-Jährige gehörte zu den Ersten, als das Werk 1962 in Bochum eröffnete. „Das war die Rettung für die Stadt, in der gerade die alten Zechen schlossen.“ Strukturwandel schon damals, aber mit Ausweg: Opel.

Die beiden tauschen Geschichten aus, Anekdoten. Wie „die Ami-Kollegen von einem Tag auf den anderen abhauten“, während der Kubakrise, weil ihre Frauen zu Hause einen Krieg in Europa fürchteten. Oder die Streiks der „Rabauken aus Bochum“ in den 80ern, bei denen sich die Opel-Arbeiter tagelang in die Wiesen legten. „Wir leben das“, sagen sie, sprechen von „guten Zeiten“. Die Opel-Nostalgie.

„Das Volk sind wir“, und „Wir sind Opel“, stand 2004 auf ihren Transparenten. Viele nennen die „roten Tage im Oktober“ jenes Jahres rückblickend den Anfang vom Ende des Opelwerks in Bochum. „Für mich waren das die Tage meines Lebens“, sagt Michael Müller, der damals im Betriebsrat saß. Der Streik kostete das Unternehmen einen zweistelligen Millionenbetrag. Eine Machtdemonstration der Arbeiter.

Industriearbeitsplätze werden wohl nicht nach Bochum zurückkehren

Heute spricht Michael Müller von einem zehnjährigen Angstzustand, der darauf folgte: „Opel war krank. Das wussten wir alle.“ Ab 2004 wurde die Produktion in Bochum nach und nach zurückgefahren. Trotz Rettungsversuchen, Bürgschaften, Versprechen – die Finanzkrise gab dem Mutterkonzern General Motors den Rest.

Die Stammtischklause

Davon erzählt auch Norbert Spittka, schmales Gesicht, kleine Augen, akkurater Bart. Der Rentner sitzt gegenüber von Tor 4 in der „Bürger-Klause“, der wohl letzten Kneipe am Gelände, die die Werksschließung überlebt hat. Seit 56 Jahren wird hier hauptsächlich Bier und Schnaps über die Theke gereicht. Holztafeln, Vereinsgläser, Dunkelheit, Zigarettenrauch.

Norbert Spittka begrüßt Ausschenkerin Regina Schirmacher. „Ihr wollt zum Rudi?“, fragt die grauhaarige Dame mit dicken Brillengläsern erstaunt. „Vor drei Wochen verstorben.“ Sie zieht die Mundwinkel nach unten und nickt bedächtig. Ihr Mann Rudi Schirmacher bewirtete die Bürger-Klause sein ganzes Leben, noch immer hängt ein großes Bild von ihm mit Cowboyhut in der Kneipe.

Schon in den Morgenpausen hoben Hunderte Blaumänner hier die vorgezapften Bierkrüge. „Um die monotone Arbeit ein bisschen erträglicher zu machen“, sagt Norbert Spittka. Bis heute treffen sich hier die Stammtische, die sich von früher kennen.

„Ich hab den ganzen Untergang mitgemacht.“ Norbert Spittka arbeitete im Inventar, war als Projektkoordinator für die technische Umstellung zuständig. Mit der kleinen schwarzen Uhr an seinem Handgelenk kann er telefonieren und auch Musik hören, erklärt der Technikbegeisterte am Tresen und drückt zum Vorzeigen kurz drauf. In den 80ern bestellte er die ersten Computer für die Abteilungen. Daraufhin entließ man die Schreibkräfte. So ging es dann immer weiter. „Man kann den technischen Fortschritt ja nicht aufhalten.“

Der Kümmerer

Das sieht auch der ehemalige Betriebsrat Michael Müller ein. Er steht vor dem alten Werk II, rund 5 Kilometer entfernt von Tor 4 des Werks I. Ein Dutzend geparkte Lkws, ein großes graues Fabrikgebäude. Im Jahr 2015 erweiterte Opel hier das Ersatzteilversorgungszentrum, schuf 250 neue Arbeitsplätze.

Neben Michael Müller hält ein Opel, ein Herr lässt seine Fensterscheibe runter. „Kann ich Sie nicht noch mal sprechen?“, fragt er. Michael Müller arbeitet heute als beauftragter Projektsekretär der IG Metall. Sein Projekt: Opel, er ist ein „Kümmerer“ für Ex-Opelaner.

„In meinen Beratungsgesprächen höre ich alles“, sagt Müller. Die überwiegend männlichen Familienväter werden vielfach depressiv, auch die Spätfolgen der schweren Arbeit machen sich bemerkbar: Bandscheibenschaden, sogar Krebs. „Ihnen fehlt es vor allem an Struktur“, erklärt Müller. Zu Hause könnten sie einfach nichts so richtig mit sich anfangen.

Fehlende Orte der Integration

„Nur wenige haben es wirklich geschafft.“ Auch für jene, die einen Arbeitsplatz gefunden haben, verschlechterten sich meist die Konditionen. Sie sind heute Leiharbeiter, haben befristete Verträge, bekommen teilweise nur den halben Stundenlohn, den sie bei Opel bekommen haben. Müllers eigener Arbeitsvertrag ist bis Sommer nächsten Jahres befristet. „Sie haben nicht Angst vor dem Abstieg – sie sind abgestiegen.“

Immer mal wieder bekommt Michael Müller dabei auch von Einzelnen zu hören, was ihm selbst Kummer bereitet. „Für die Flüchtlinge machen die alles, für uns nichts.“ Er antworte dann immer, man solle nicht auf die Schwächeren schauen, sondern auf die Gehälter der „Bosse“. „14,4 Millionen Euro verdient Daimler-Chef Dieter Zetsche.“ Da kämen die meisten ins Grübeln. Die Diskussion über Abgehängte will er nicht hören, man solle sie nicht alle in einen Topf werfen.

Gegenüber von Werk II stand früher ein Hochhaus, erzählt Müller, „da haben die Gastarbeiter drin gewohnt“. Wenn gestreikt wurde, gab es keinen Unterschied. „Das Werk war auch Integrationsort. Wir sind alle Arbeiter.“ Solche Orte fehlen jetzt, findet er.

Ein alter Manta, das wär’s

Norbert Spittka trinkt einen Kaffee in der Kneipe der Opel-Stammtische. Am 3. März 2016 veröffentlichte der Rentner in dem Bürgerforum „Lokalkompass“ einen Artikel: Er rechnete vor, was eine Flüchtlingsfamilie für Geld bekommt, und schrieb, er denke darüber nach, der AfD beizutreten. Der Alt-Linke Spittka konnte von alten Freunden umgestimmt werden – die AfD sei der falsche Weg für ihn. Heute rudert er zurück: „Ich wollte die AfD nur provozieren.“

Bei einer Bildungsreise nach Berlin überzeugte ihn die Bundestagsabgeordnete Michelle Münterfering von einem Eintritt in die SPD, wo er sich nun engagiert. „Die AfD benennt ja nur Probleme, aber bietet keine Antworten.“

Auch für Bochum soll es Lösungen geben. Auf dem alten Gelände wird im kommenden Jahr ein DHL-Packzentrum entstehen, auch die Ruhr-Universität will hier bauen. Die Bochum Perspektive 2022 GmbH vermarktet das alte Opelgelände, erst kürzlich siedelte sich wieder ein neues Unternehmen an.

Für jüngere Generationen soll Bochum attraktiver werden, doch Industriearbeitsplätze werden wohl nicht in die Stadt zurückkehren, den ehemaligen Opelanern fehlt die Perspektive. Michael Müller fordert deshalb Projekte und Ideen für Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose.

Für Norbert Spittka spielt das keine Rolle mehr. Der Rentner sitzt an einem Schreibtisch, über den er ein Plakat von Opel gehängt hat. Von hier aus steuerte er über viele Jahre ein Opelforum im Internet, das zeitweise 600 Besucher am Tag zählte. Er beschäftigt sich viel mit Oldtimern. „Ein alter Manta, das wär’s.“ In seinem Bücherregal stehen Figuren von Mao Zedong und Lenin. „Von damals.“

Bei seinem letzten Stammtisch, den er organisierte, kamen nur sechs seiner alten Kollegen: „Die haben wohl langsam keine Lust mehr auf Opel.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • PS: Natürlich handelt sich dabei um ein anekdotisches Exempel, ich gönne jedem Opelaner noch ein 3., 4., 5., 10. Jahr in Ihrer Transfergesellschaft, würde mir im Gegenzug aber auch ein bisschen Demut von den von mir oben beschriebenen Zeitgenossen für einen mitunter jahrzehntelang saugut bezahlten Job wünschen, nach dessen Verlust diverse Maßnahmen getroffen werden, von denen andere Arbeitnehmer beim Jobverlust nur träumen können. Da wird dann aber lieber von den schlichteren Gemütern bzw. "Altlinken vorgerechnet wieviel eine Flüchtlingsfamilie bekommt"...

  • Ich habe bis Mitte des Jahres in Bochum gearbeitet und schenkt man den einheimischen Nicht-Opelanern Glauben heißt "Man identifizierte sich mit dem Unternehmen" übersetzt "Man bildete sich was darauf ein und hielt sich für was Besseres".

     

    Ich habe 3 Ex-Opelaner eingearbeitet und leider bestätigte sich dieses Klischee dort voll und ganz. Man erwartete offensichtlich, einen roten Teppich ob des ehemaligen Arbeitgebers ausgerollt zu bekommen, jeder Arbeitsablauf wurde mit "Aber bei Opel..." in Frage gestellt und die Arroganz war unerträglich. 2 sind nach wenigen Wochen einfach nicht mehr aufgetaucht (absolut verständlich, wenn man mehr Geld für´s zu Hause bleiben bekommt) und der 3. hat die Probezeit nicht überstanden, weil er überall rumposaunt hat, er würde den Job nur machen, um einen Fuß in die Tür zu bekommen, unter 4000€ brutto würde er normalerweise nichtmal aufstehen. Wie die Perspektive für jemanden ist, der als gelernter Tankwart heutzutage derartige Gehaltsvorstellungen hat, kann man sich ausmalen...

     

    Mein Mitleid hielt sich übrigens in Grenzen, denn allen 3 war eine widerwärtige, unverhohlene Ausländerfeindlichkeit gemein, Sprüche wie "Guck mal, ein BMW, und wat sitzt wieder drin, ein Schwarzfuß, typisch" waren an der Tagesordnung... Wenn man bedenkt, dass die Herren der Meinung waren, solche Äußerungen bei meinem damaligen Arbeitgeber, bei dem jede Rundmail und jedes Memo wegen der vielen nicht-deutschen Kollegen auf Deutsch und Englisch verfasst wurde, bedenkenlos äußern zu können, regt sich in mir der leise Verdacht, ob die im Artikel beschriebene Integration ("Wir sind alle Arbeiter") vielleicht nur innerhalb der Werksgrenzen galt?