Blockchain-Technologie: Mittelsmänner raus!
Blockchain setzt auf Dezentralität und kann menschliches Versagen verhindern. Doch kann man der Technologie vertrauen?
Vor wenigen Wochen wurde im Auktionshaus Christie’s in New York ein Gemälde für 69 Millionen Dollar versteigert. Die Collage „Everydays: The First 5000 Days“ des Künstlers Mike Winkelmann, besser bekannt als Beeple, ist das drittteuerste Gemälde eines lebenden Künstlers. Wertvoller als ein Richter oder Picasso. Doch das Kunstwerk existiert gar nicht physisch, sondern rein digital – als Datei. Um seine Rechte an dem Bild nachzuweisen, hat der neue Eigentümer einen Non-Fungible Token, kurz NFT, erworben.
Dahinter verbirgt sich ein fälschungssicheres Zertifikat, das auf einer Blockchain hinterlegt ist. Die Blockchain ist eine Art dezentrales Buchhaltungssystem, das aus digitalen Datenblöcken besteht. In jedem Block sind Daten zusammengefasst, etwa Transaktionsdaten bei Kryptowährungen wie Bitcoin. Da steht dann zum Beispiel: „A hat B 1 Bitcoin bezahlt.“ Man kann es sich ein wenig wie das Kinderspiel „Ich packe in meinen Koffer“ vorstellen – nur dass Computer viel weniger vergesslich sind.
Die Besonderheit der Blockchain besteht darin, dass die Protokolle nicht auf einem zentralen Server, sondern dezentral verteilt auf verschiedenen Rechnern ausgeführt und gespeichert werden. So kann jeder Teilnehmer die Korrektheit der Ketten nachvollziehen. Wer einen Datenblock manipulieren möchte, müsste dies auf allen Rechnern tun – was nahezu unmöglich ist. Das macht die Technik für verschiedene Anwendungsbereiche interessant, beispielsweise für Logistiksysteme, Finanzpapiere oder Zeugnisse. So hat der Bundesstaat New York in Kooperation mit IBM kürzlich einen digitalen Impfpass (Excelsior Pass) entwickelt, der auf der Blockchain läuft. Bürger können sich den Gesundheitspass auf einer App herunterladen und damit in teilnehmenden Geschäften ausweisen.
In Estland können Bürger schon seit einiger Zeit Verwaltungsleistungen über ein Blockchain-gestütztes Dokumentationssystem in Anspruch nehmen – zum Beispiel einen neuen Ausweis beantragen oder eine Firma anmelden. In Schweden können Immobilientransaktionen wie etwa Grundstückskäufe in ein digitales Blockchain-Grundbuch eingetragen werden. Und auch in Deutschland hält die Technologie Einzug in die öffentliche Verwaltung. So experimentiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit einer Blockchain-Lösung, die den Ablauf des Asylprozesses dokumentiert: vom Antrag bis zum Bescheid.
Cutting out the middleman
Das Versprechen des verteilten Registers ist es, Verfahrensabläufe zu automatisieren und transparent zu machen. Anträge, Urkunden, Transaktionen – alles ist in den Datenblöcken gespeichert und für jedermann einsehbar. Keine Behörde mehr, die Verfahren in die Länge zieht, keine Bank, die Finanzierungszusagen zurücknimmt, kein Notar, der eine Urkunde verweigert.
Die Blockchain-Technologie soll intermediäre Akteure überflüssig machen. Cutting out the middleman, lautete der Schlachtruf der kalifornischen Gegenkultur. Heute heißt es: Banken sind böse! Intermediäre gelten in den Augen cyberlibertärer Entrepreneure als Kostentreiber, als träge Autoritäten in einem intransparenten System. Zwischenhändler? Berufskammern? Behörden? Weg damit!
„Die Begeisterung für die Blockchain-Technologie entspringt zum Teil einem tiefen Misstrauen in private, staatliche und internationale Institutionen“, erklärt Michael Kolain. Der Rechtswissenschaftler arbeitet am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, wo er sich mit Digitalisierungsprozessen in Staat und Gesellschaft beschäftigt. Er sagt: „Es ist kein Zufall, dass Bitcoin im Anschluss an die Banken- und Staatsschuldenkrise 2008/2009 aufkam. Statt auf Menschen zu vertrauen, die potenziell korrumpierbar und fehleranfällig sind, können versierte Informatiker:innen ihre Problemlösungsmaschinen innerhalb ihrer digital organisierten Community selbst bauen und testen.“
Kolain hegt durchaus Sympathien für den Versuch der Krypto-Community, Staat und digitale Gesellschaft neu zu denken. Die Nachvollziehbarkeit und Vorwegnahme bestimmter Entscheidungsmuster durch eindeutigen Code und die manipulationsresistente Dokumentation über einen Zeitstempel habe ihren Reiz. Bloß: Kann man Vertrauen durch Technik herstellen?
Der Profit von Menschen
Ereignisse lassen sich auf der Blockchain fälschungssicher dokumentieren. Und insofern, als der Wegfall zentraler Stellen den Missbrauch von Markt- oder politischer Macht reduziert, profitieren Menschen. So nutzt das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen die Blockchain-Technologie, um die Lieferketten von Nahrungsmitteln nachzuvollziehen. Allzu oft sind in der Entwicklungshilfe die middlemen korrupte Regierungen. Und die auszuschalten, dürfte wohl auf allgemeine Zustimmung stoßen.
Doch wie so mancher Kryptoaktivist die Disruption des Staates herbeiredet, meint man darin auch demokratiefeindliche Tendenzen zu erkennen. Der flagrante Antiinstitutionalismus, der der Technik immanent ist, ist anschlussfähig an autoritäre Strömungen in der Gesellschaft, die – aus ganz anderen Motiven – die Axt an staatliche Einrichtungen legen wollen.
Der Medienwissenschaftler David Golumbia hat in einem Aufsatz dargelegt, dass die Idee der Kryptowährung Bitcoin der Antibankrhetorik der rechtsradikalen Liberty Lobby und John Birch Society in den USA entstammt, die gegen jedwede Form staatlicher Regulierung opponieren. Dass Bitcoin auch unter den Anhängern der staatsfeindlichen Alt-Right-Bewegung viele Unterstützer findet, ist nicht verwunderlich.
Die Extremismusforscherin Julia Ebner nannte Bitcoin die „Währung der extremen Rechten“: Neonazis, Identitäre und Dschihadisten teilen mit den Libertären das „Anti-Establishment-Gefühl“, schrieb sie in einem Gastbeitrag für den Guardian. Die Kryptoanarchisten könnten mit ihrer disruptiven Technologie nun das vollstrecken, was sich die neurechte Bewegung schon immer erträumte – den „tiefen“ Staat zu zerschlagen. Eine gefährliche ideologische Allianz scheint sich hier aufzutun.
Die Potenziale der Technik sind groß
Blockchain-Experte Kolain warnt jedoch davor, die Technik zu verdammen: „Nach meiner Wahrnehmung wollen viele Blockchain-Communitys in Kooperation mit Staat und bestehenden Institutionen gemeinwohlorientiert arbeiten“, sagt er. „Die dogmatischen Kryptoanarchisten sind nur diejenigen, die oftmals am lautesten schreien.“
Womöglich tut man der Technik unrecht, wenn man sie pauschal als Vollstreckerin einer totalitären Ideologie verunglimpft. Nur weil jemand ein Werkzeug missbraucht, heißt das nicht, dass niemand es nutzen sollte. Die Potenziale der Technik sind groß, etwa im Bereich der Entwicklungshilfe, wo sich kein Kleptokrat mehr ungeniert bereichern kann.
Ob man dem System vertraut, ist letztlich auch eine Frage der Kultur, findet Kolain. Für die einen erwecke ein menschlicher Sachbearbeiter, gegen dessen Entscheidung man Widerspruch einlegen und vor Gericht ziehen kann, mehr Vertrauen als ein Open-Source-Computerprogramm.
Für die anderen sei es leichter, die Vorgänge einer Software nachzuvollziehen als die bürokratische Logik des Rechtsstaats. Das Vertrauen in die Technik – und dazu zählt auch die juristische (Fallbearbeitungs-)Technik – steht und fällt mit der Transparenz und Nachvollziehbarkeit ihrer Prozesse. Und die kann am Ende keine Maschine, sondern nur der Mensch schaffen.
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