„Black Mirror“ pausiert in Corona-Krise: Böse Geschichten für böse Zeiten
Die dystopische Netflix-Serie „Black Mirror“ macht Pause, weil die Wirklichkeit schon beängstigend genug ist. Ist das angemessen?
Was wäre, wenn Menschen einen Mikrochip trügen, der ihr Leben aufzeichnete und mit dem sie Erinnerungen beliebig wiedergeben könnten? Oder wenn eine Cartoon-Figur, gesteuert von einem Schauspieler, erfolgreich für das Parlament kandidierte?
Die britische Science-Fiction-Serie „Black Mirror“ spielt derartige Fragen seit 2011 in Panikattacken-artigen Episoden durch, oft sardonisch, selten subtil, immer aber sehr dystopisch. Jüngst nun ließ der Serienmacher Charlie Brooker in der Londoner Radio Times verlauten, man habe bei der Produktion einer neuen, sechsten Staffel pausiert: Er glaube nämlich nicht, dass die Leute gerade Geschichten sehen wollten, die vom „Zerfall der Gesellschaft“ handeln.
Ja aber wann denn bitte sonst? Braucht die Menschheit nicht gerade jetzt dystopischen Geschichten, die ja schon immer so etwas waren wie eine Einübung für die Imagination kommender Krisen? Zumal die einzelnen Folgen von „Black Mirror“ oft von Technologien handeln, die es längst gibt, und deren Missbrauch genüsslich auf die Spitze getrieben wird.
Es ist doch so: Wenn eine Dystopie der Realität nahekommt, hat sie alles richtig – und die Wirklichkeit hat alles falsch gemacht. Und was alles jetzt und heute falsch läuft in der realen Welt, wird für viele Menschen eben weniger durch chauvinistische Politansprachen oder antilibidinöse Gegenwartsanalysen als durch die Brille breitenwirksamer Dystopien sichtbar.
Die realen Risiken der Gegenwart
Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist George Orwells Roman „1984“, der bis heute als Chiffre für Totalüberwachung herhält – womit sich eine kritische Sichtweise auf das Thema schnell und effektiv kommunizieren lässt.
Von der technologiekritischen Serie „Black Mirror“ lässt sich in Coronazeiten zwar nicht unbedingt lernen, wie die Menschheit derzeit etwa mit den blühenden Verschwörungstheorien umgehen soll, aber womöglich, woher sie stammen: von der unkritischen Benutzung digitaler Medien in einer Welt, in der das Nervensystem ständig Überstunden macht – und in der Folge zu simplen Lösungen tendiert, weil alles andere zu anstrengend wäre.
In vielen „Black Mirror“-Episoden sind es eben gerade die abstoßenden Szenen, die Zuschauer:innen affektiv vereinnahmen und zur Reflexion über die Gegenwart einladen. Oder eine Zukunft, die schnell aus den Fugen geraten könnte, wenn Negativität ausgeblendet wird, um das Publikum zu verschonen.
Statt nur noch auf Plots mit Happy End zu setzen, müssten eigentlich vielmehr Geschichten erzählt werden, die die realen Risiken des Jetzt in fiktive Bedrohungen mit unschönem Ausgang transzendieren. Also her mit der neuen Staffel.
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