piwik no script img

Björn Kuhligks Buch über BerlinEr kennt und liebt die Stadt

Björn Kuhligks „Berlin-Beschimpfung“ fehlt jegliche Aggression. Es ist ein Fließtext, der schnell dahinströmt – poetisch, kenntnisreich und politisch.

Kuhligk kotzt ab über Gentrifizierung – zum Beispiel am Landwehrkanal Illustration: Jakob Hinrichs

Um es gleich vorwegzunehmen – der Titel „Berlin-Beschimpfung“ ist irreführend. In diesem Buch findet sich auch nach zweimaligem Durchlesen keine einzige Beschimpfung dieser der Bundeshauptstadt. Was der Rezensent der Süddeutschen Zeitung als „Anti-Berlin-Buch aller Anti-Berlin-Bücher“ ausmacht, ist ebendas nicht.

Autor Björn Kuhligk ist in Berlin geboren. Er kennt die Stadt, er liebt sie, woanders will er nicht sein. Er schimpft, mosert, meckert und lästert ab, und zwar nach Herzenslust. Doch be-schimpft er nicht, schreibt nicht, Berlin sei scheiße. Oder eine dumme Sau. Oder deine Mutter. Das wären Beschimpfungen, ziemlich blöde zwar, aber immerhin.

Zu schreiben, Berlin sei hässlich, Berlin sei arm, Berlin stinke – das sind keine Beschimpfungen, sondern Zustandsbeschreibungen: „Berlin ist der Olymp der miesen Laune, ein Kessel Hässliches. Wir kriegen alles klein, auch das Kleine.“ Hart- und Zartheit verschränken sich in Kuhligks Beschreibungen auf das Lakonischste.

Kuhligks Text fehlt also jegliche Aggression. Stattdessen macht er gute Laune. Die Dynamik ist hoch, es gibt keine Kapitel, keine Abschnitte. So sind die Zwischenüberschriften einfach Textzeilen, die hervorgehoben sind. Eine rein optische Maßnahme. Die „Berlin-Beschimpfung“ ist im besten Wortsinn ein Fließtext, der schnell dahinströmt, wohlformuliert ist, zuweilen poetisch, oft sarkastisch, immer kenntnisreich in der Sache, scharfsinnig in der Analyse und unbedingt subjektiv – und der sich gut weglesen lässt.

Viele Gründe zu schimpfen

Kuhligk schöpft aus dem Vollen. Gründe, über die Stadt zu schimpfen, gibt es mehr als gebürtige Berliner. Dabei entsteht ihm kein ahnungsloses Berlin-Bashing wie das irgendwelcher Provinzler oder sogenannter Expats, die nach einem halben Jahr des Aufenthalts in der Stadt meinen zu wissen, wie das hier läuft.

Das Buch

Björn Kuhligk: „Berlin-Beschimpfung“. Illustriert von Jakob Hinrichs. Favoritenpresse, Berlin 2024, 64 Seiten, 16 Euro

Kuhligk lässt nichts aus: Da ist der ewig lange Winter, der gewöhnliche Menschen in die Depression treibt, echten BerlinerInnen allerdings nur ein desinteressiertes Achselzucken abnötigte, spräche man einen oder eine darauf an. Is’ Wetter, wat soll’s. Da ist der öffentliche Nahverkehr, chaotisch und dysfunktional (von den Busfahrern wird noch die Rede sein).

Da sind die weder in der Zeit noch im Raum je enden wollenden Staus: „Überall Autos, nichts als Autos, ein stetes Rauschen, völlig irre.“ Die Baustellen, die im Weg sind. Die Touristen, die im Weg sind: „Das ganze Jahr ist Hauptsaison.“ Die schreckliche, neue Architektur (Hochhäuser am Alex, das Humboldt Forum). Die schreckliche, nicht mehr ganz so neue Architektur (Potsdamer Platz). Die Malls.

Ein Grauen in Beton: die neue Architektur am Alexanderplatz Illustration: Jakob Hinrichs

Die überall manifeste Kaputtheit: Junkies, Obdachlose, Menschen, die in Crocs rumlaufen (zugegeben, das mit den Crocs ist ausgedacht und steht nicht Buch). Hundescheiße. Kopfsteinpflaster. Die Politik. Die Döner-Preise. Und waren Sie schon mal auf dem Amt? Es ist ein Grauen.

Verschwundene Kiez-Idyllen

Kuhligk kotzt ab über Gentrifizierung, die nicht nur das Stadtbild verändert, sondern die Lebensrealität der Eingeborenen. Wobei es nicht um irgendwelche verschwundenen Kiez-Idyllen geht, sondern um das Recht auf ein anständiges Auskommen, zumutbaren Wohnraum und generell auf eine Existenz, die nicht permanent einer ökonomischen Vernutzung unterworfen und von Verdrängung bedroht sein will.

Kuhligk steigt tief hinein in die sozialen, historischen und kulturellen Dynamiken Berlins. „Der Name ist slawischen Ursprungs. Brl bedeutet so viel wie Sumpf oder Morast, die Endsilbe -in nichts anderes als Stadt. Berlin ist demnach die Stadt im Morast oder die Stadt im Sumpf. Ach ja, das ist schon nett. Doch ist so vieles nett, dass es auch schon wieder ein bisschen egal ist.“

Kuhligks Betrachtungen und seine präzis beschreibende Kritik sind zugleich supersimpel und hochkomplex. Die Zuneigung des Autors zu seiner Stadt ist in jeder Zeile evident: „Berlin gibt es weltweit 118-mal und natürlich leben wir im Original, auf der Höhe der Richtigkeit.“

Der mit knapp 60 Seiten recht schmale Band ist illustriert mit comicartigen Grafiken von Jakob Hinrichs, der ein gelernter Berliner ist. Seine Bilder illustrieren nicht passiv, sondern funktionieren als Zwischenspiele, die wie kleine, aus Papier gefaltete Schiffchen auf dem Textfluss treiben und jeweils eigene Geschichten erzählen.

Die Ausstattung des Buches unterstreicht, dass „Berlin-Beschimpfung“ bei allem Lament über Widersprüche, Ambivalenzen und Gegensätze der Metropole ein fröhlich machendes Buch ist, das der Berlinerin oder dem Berliner Freude bereitet und zugleich jene in ihrer Abneigung gegenüber Berlin bestätigt, die nicht hier leben, sondern ganz woanders. Irgendwo, wo eben nicht Berlin ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Autos? Mag sein, doch Radeln durch Berlin macht viel mehr Spass, und ist manchmal schneller.

  • "Da sind die weder in der Zeit noch im Raum je enden wollenden Staus: „Überall Autos, nichts als Autos, ein stetes Rauschen, völlig irre.“

    Ich finde es interessant, dass dieser Aspekt als charakterisierender Faktor Berlins hervorgehoben wird (so interpretiere ich jedenfalls die Auswahl gerade dieses Aspekts zwecks Erwähnung in diesem Artikel und im Buch).

    Ich empfinde diese Wahrnehmung als völlig verzerrt; der Berliner Verkehr ist durchaus vorhanden, aber verglichen mit anderen Großstädten auf der Welt eher ruhig. Keiner meiner Freunde aus anderen Teilen der Welt nimmt Berlin als sonderlich verkehrsreiche Stadt war; die Leute kommen, weil Berlin als ruhig und grün empfunden wird. Frage mich dann immer wie die Leute hier darauf kommen, sie würden in einem Moloch leben. Mangelnder Blick über den Tellerrand oder ist das politisches Framing um die Verkehrswende zu puschen (was ja nicht umlegitim wäre)? Das Gleiche empfinde ich übrigens beim Thema bauliche Nachverdichtung.

    • @LBH:

      Hm. Dass Leute aus einem schlimmeren Moloch es als ruhig empfinden, heißt nicht, dass es das ist. Schlechte Luft gibt es schon und sie wird nicht gut durch den Vergleich mit noch schlimmerer Luft.