Bis ins intimste Detail ausspioniert: „Eine Freundschaft, die es nie gab“
Was ist das für ein Gefühl, wenn rauskommt, dass man jahrelang eine Spitzelin getroffen hat? Über eine vermeintliche Freundschaft mit Maria B.
Ich habe Maria B. nachts auf der Straße kennengelernt. Das war 2008, wir standen beide vor einem Konzertclub und kamen ins Gespräch. Ich war neu in Hamburg und sie angeblich auch. Wir haben Nummern getauscht und einen Monat später hat sie sich dann bei mir gemeldet.
Anfangs war der Kontakt rein privat, wir haben uns häufig in der Kneipe getroffen. Aber sie wirkte immer politisch interessiert. Ich kenne sie eigentlich auch nur in schwarzen Klamotten, also Black Block Dress. Aber wir haben viel über Persönliches geredet, intime Sachen wie Beziehungen, Freundschaften, Probleme und was bei uns im Leben gerade so passiert.
Sie hat erzählt, das sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht hat, irgendwo in Süddeutschland. Dass sie aus Halle kommt und bei ihrer Tante aufgewachsen ist. Ihre Mutter war angeblich tot und ihr Vater weg, alles war ziemlich tragisch, hat sie signalisiert. Da bohrt man dann ja auch nicht nach, wenn jemand nicht darüber reden will.
Später hat sie erzählt, dass sie ihren Vater in Frankreich ausfindig gemacht hat. In Le Havre in Frankreich. Niemand kennt Le Havre, weil das ne hässliche Stadt ist, wo alles gleich aussieht. Da gibt‘s auch nicht viel. Aber ich kannte es zufällig. Ich hab sie gefragt, wo ihr Vater genau wohnt, aber da ist sie nicht drauf eingegangen. Sie meinte, ihrem Vater tue alles sehr leid, dass sie ohne ihn aufwachsen musste und so. Er hatte ne neue Familie in Le Havre, alles sehr schmerzvoll, wie sie es erzählt hat. Deshalb überweise er ihr monatlich Geld. Später hat sie ab und zu erzählt, ihn besuchen zu fahren.
Alles auf Spesen
Angeblich hatte Maria eine halbe Stelle in der persönlichen Assistenz. Ich arbeite auch als persönlicher Assistent, da hab ich sie natürlich gefragt, bei welchem Träger sie ist – da gibt‘s in Hamburg nämlich nicht viele. Sie sagte, sie arbeite bei einer dementen Frau und sei direkt über die Familie angestellt.
Im Nachhinein ist das ziemlich unwahrscheinlich. Sie sagte, sie würde nur 400 Euro verdienen. Ich hatte auch wenig Geld, aber ich dachte, „sie hat noch weniger“ und hab dann öfter mal das Bier bezahlt. Jetzt kam raus, dass sie offenbar ganz gut verdient hat und alles, was sie im Alltag so konsumiert hat, als Spesen abrechnen kann. Vor allem, wenn sie in die Kneipe ging.
Ich hab sie auch vielen Leuten vorgestellt, da haben sich viele Kontakte entwickelt. Es war einfach für sie, Anschluss zu finden, weil sie total nett war. Sie hat alle immer sehr herzlich begrüßt, mit Umarmung und „hey Süße, hey Süßer“ und so.
Sie hat mich auch zu ihrem Geburtstag eingeladen – wahrscheinlich war das gar nicht ihr Geburtstag. Ich hab auch Freunde von mir mitgebracht, in ihre Wohnung nach Wilhelmsburg. Wir haben uns zusammen betrunken, was man halt so macht auf ner Geburtstagsparty.
Ich habe vor Kurzem ein Foto von dem Geburtsgag gefunden, wo ich sie umarme und ihr gratuliere. Das war ganz komisch, dieses Foto wiederzufinden: Ich lache auf dem Bild, sie lacht auch und die umstehenden Leute sehen sehr glücklich aus. Im Nachhinein zu denken, diese Person gab es gar nicht, ist sehr befremdlich. Und ein harter Übergriff auf meine Privatsphäre.
Sie war auch mal bei meinem Geburtstag da, ich hab sie natürlich eingeladen. In meiner Wahrnehmung war sie ja ne enge Freundin. Sie hat mir ein T-Shirt geschenkt, da stand drauf „Bleiberecht für alle“. Das hab ich immer noch und hab es auch immer noch gern.
Einsatz im Ausland
Als wir uns ein halbes Jahr kannten, sind wir zusammen zum Protest gegen den Nato-Gipfel nach Frankreich gefahren. Das war ein ziemlich krasses Erlebnis. Wir waren an einem Camp in Straßburg und es war sofort deutlich, dass die Polizei gewaltbereit und aggressiv war. Frankreich ist wieder in die Nato eingetreten, dafür wurde eine Brücke gebaut, auf der ne Zeremonie mit Merkel, Obama und Sarkozy geplant war. Vom Camp aus sollte es eine Friedensdemo gegen Krieg und Gewalt geben, die von der Nato ausgehen.
Am Tag davor gab‘s viele Vorbereitungsplena im Camp. Es war ein anstrengender Tag, es waren sehr viele Plena, aber Maria hat sich angeboten, überall hinzugehen. Sie hat viele Aufgaben übernommen. Die Friedensdemo wurde nicht genehmigt, deshalb sollte es eine Fünffingertaktik geben. Das letzte Plenum ging bis zwei Uhr nachts, und um vier Uhr morgens sollte schon wieder Abmarsch aus dem Camp sein. Ich hatte ein Zelt dabei und habe das mit Maria geteilt. Als wir uns schlafen gelegt haben, sind Helikopter über dem Camp gekreist, sehr tief und ohne Licht.
Alle waren verängstigt, wir hatten Angst, dass das Camp nachts geräumt wird. Wenn man dann aus dem Tiefschlaf gerissen wird und alle panisch durcheinander rennen – da hat man natürlich Angst, überhaupt einzuschlafen. Wir haben darüber geredet, Ohrstöpsel zu benutzen oder nicht. Ich hab gesagt, ich schlaf auf jeden Fall ohne Ohrstöpsel, sonst kriegen wir vielleicht nicht mit wenn das Camp geräumt wird und werden von der Polizei überrannt oder zusammengeschlagen. Sie war ganz unbesorgt, hat sich Ohropax in die Ohren gestopft und geschlafen. Im Gegensatz zu allen anderen Leuten in dem Camp, die alle sehr aufgeregt waren, war sie ganz ruhig und entspannt.
Wie im Weltuntergangs-Actionfilm
Um vier Uhr sind wir aufgestanden und los gelaufen. Wir waren ungefähr 1.000 Leute in dem Finger. Es war dunkel, alle waren müde, angespannt, und komplett still. Irgendwann haben wir am Ende einer langen Straße gesehen, dass da was glänzte. Es waren die Visiere an den Helmen der Polizei, die man ansonsten nicht gesehen hat. Sie waren komplett in schwarz. Wir haben in 200 Meter Entfernung gestoppt und überlegt was wir machen, aber in dem Moment hat die Polizei uns schon aus einer anderen Straße heraus beschossen.
Sie schossen mit Tränengasbomben. Das sind so Kartuschen, die sie über die Häuser hinweg abgefeuert haben. In der Luft explodieren die und raus fallen fünf kleine Tränengaspäckchen. Die brennen und die Luft füllt sich sofort mit Tränengas. Es war eine einzige Wolke und man sah nicht mal die Polizei von der es kam. Unser Finger hat sich aufgeteilt und ist in verschiedene Richtungen weiter gelaufen.
Über uns flogen Hubschrauber, die man aber nicht sah, weil sie keine Positionslichter anhatten. Plötzlich machte es „knack“ und ein Scheinwerfer ging über uns an – der Helikopter war direkt über uns. Und man sah auch die anderen Helikopter, die über den anderen Fingern waren und wusste deshalb plötzlich, wo die anderen sind. Das sah aus wie in einem Weltuntergangs-Actionfilm: der ganze Himmel voll mit Polizeihubschraubern, die auf die Aktivistinnen leuchten.
Ab da hat‘s immer wieder geknallt, die Polizei hat sofort mit Tränengas geschossen, wo sie auf AktivistInnen gestoßen ist. Sie haben auch mit Gummigeschossen geschossen, wenn man näher an sie rangekommen ist. Das ist sehr beängstigend, wenn jemand dich sieht, ein Gewehr auf dich anlegt und schießt.
Sie haben uns den ganzen Tag beschossen. Tränengas ist ziemlich perfide. Wenn man in so einer Wolke ist, kommt man da so leicht auch nicht raus, es brennt auf der haut und in den Augen, man sieht nicht, kann nicht atmen, hat Erstickungsanfälle. Die Leute fallen um wie die Fliegen, können sich nicht bewegen, können nicht mehr denken, sondern schreien eigentlich nur noch.
Wir sind gemeinsam durch den Tränengasnebel gelaufen. Es war sehr unübersichtlich und die Luft war irgendwann so voll mit Tränengas, dass es immer brannte. Wenn wir Leute gesehen haben, die in einer Wolke auf dem Boden lagen, sind wir rein gerannt und haben sie raus gezogen. Die waren für Worte nicht mehr empfänglich, man hält sie dann nur fest und spült ihnen die Augen aus.
Wer sind die Guten, wer die Bösen?
Was ich mich frage ist, wie man so was erleben kann und es einen nicht dazu bringt, die Polizei infrage zu stellen. Zu keinem Zeitpunkt waren Leute näher als 50 Meter an der Polizei dran und es wurde immer sofort geschossen. Es war ne Friedensdemo, die mit so ner brutalen Gewalt auseinander geschlagen wurde – das hatte schon fast Symbolcharakter. Ich kann nicht verstehen, wie man so aggressives Verhalten der Polizei erleben kann und es einen nicht das Ganze in Frage stellen lässt.
Wir sind den ganzen Tag da durch gerannt und beschossen worden. Einmal sind wir gelaufen und waren in einer Wolke, die vom Wind mit uns mitgetragen wurde. Wir haben die Augen zugemacht und sind einfach gerannt, um aus der Wolke zu kommen. Aber irgendwann muss man ja atmen. Dann holt man Luft und alles brennt und man kann sofort nicht mehr weiterlaufen und fällt um. Wir konnten nichts mehr machen und waren sofort ausgeknocked. Man hat auch Panikattacken, kann nicht mehr denken, sich nicht sagen „Es ist gleich vorbei“.
Irgendwann war Maria nicht mehr mit uns unterwegs. Wir haben uns abends im Camp wieder getroffen, da hatten wir alle total viel Redebedarf, auch sie. Das ist ein Erlebnis, was total zusammenschweißt, wenn man so ner brutalen Polizeigewalt ausgesetzt ist.
Es war eine der krassesten Sachen die ich je in meinem Leben erlebt habe. Am nächsten Tag wollte ich nur noch weg.
Insgesamt war ich so drei, vier Jahre mit ihr befreundet. Im letzten halben, dreiviertel Jahr hatte sie dann immer weniger Zeit. Sie hat auch andere Leute kennengelernt und mehr mit denen gemacht. Angeblich hat sie dann den Arzt der Rentnerin kennengelernt, die sie gepflegt hat, und mit ihm ne Affäre gestartet. Da hat sie auch erzählt, dass dieser ganze Politkram sie depressiv macht und sie frustriert – das hab ich auch verstanden.
Irgendwann war sie dann halt gar nicht mehr da. Über Bekannte hab ich erfahren, dass sie ausgestiegen ist und erstmal ne Beziehung führt und ne happy Kleinfamilie gründet oder so. Ich hab mich dann immer mal wieder bei ihr gemeldet aber sie ist nicht mehr rangegangen und hat nicht zurückgeschrieben.
Das letzte Mal hab ich‘s vor zwei Monaten versucht. Sie war ja ne gute Freundin, dachte ich, da fragt man sich ja was aus der Person geworden ist und was die so macht. Ich hatte ein ehrliches Interesse an ihr als Mensch und wollte wissen, wie es ihr geht. Es war ziemlich tragisch, zu erfahren, dass sie mich und viele andere nur benutzt hat, um Strukturen auszuspionieren. Und ich selbst hab so viel Energie reingesteckt, in eine Freundschaft die es nie gab, in eine Person, die nie existierte.
Den ganzen Schwerpunkt zu verdeckten Ermittlerinnen lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der taz.nord oder in unserem E-Kiosk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom