Birkenstock könnte an Börse gehen: Latschen wecken Fantasien
Der deutsche Sandalenhersteller Birkenstock hat sich zur Designikone gewandelt. Jetzt wollen Finanzinvestoren die Firma offenbar zu Geld machen.
Dass die Information bekannt wurde, ist sehr wahrscheinlich Teil eines Plans, den die Haupteigentümer verfolgen. Die Finanzinvestoren L.Catterton und Financiére Agache wollen sehen, wie viel Interesse das Unternehmen erzeugt. Und sie wollen es natürlich ins Gespräch bringen. Hinter L.Catterton steht der französische Luxuskonzern LVMH, zu dem Dior, Louis Vuitton, Tiffany gehören. Financiére Agache ist die private Investmentgesellschaft von LVMH-Großeigner Bernard Arnault.
Der Börsengang ist angeblich nur eine Idee, die die Eigentümer durchspielen. Offenbar wollen sie nach zweieinhalb Jahren Geld sehen. Es geht um große Summen. Erst im Frühjahr 2021 hatten die Finanzinvestoren Birkenstock von Alexander und Christian Birkenstock gekauft. Die beiden halten noch einen Anteil. Der Preis wurde nicht genannt, in der Branche hieß es, das Unternehmen sei mit 4,9 Milliarden US-Dollar (damals etwas über 4 Milliarden Euro) bewertet worden. Knapp zweieinhalb Jahre später rechnen die Eigner offenbar mit bis zu 6 Milliarden Dollar. So berichtet es zumindest die Nachrichtenagentur Bloomberg.
Eine erstaunliche Wertsteigerung für ein mittelständisches Unternehmen, das vor der Übernahme angeblich knapp eine Milliarde Euro umsetzte und einen operativen Gewinn um die 150 Millionen Euro verzeichnete. Aber es geht nicht um das Ist, sondern um die Zukunft. Und dass da etwas möglich ist, hat Birkenstock in gut 250 Jahren Geschichte bewiesen.
Spießerding „Arizona“
Die Anfänge des Unternehmens aus dem rheinland-pfälzischen Linz am Rhein reichen bis 1774 zurück. Damals begann Johann Adam Birkenstock, Schuhe im hessischen Langen-Bergheim herzustellen. Konrad Birkenstock erfand dann in den 1920er Jahren das flexible Fußbett mit dem Material Kork. Die Sandale „Arizona“ gibt es seit 1963. Lange Jahre waren deutsche Touristen im Ausland an der für Modefans lange geradezu grauenhaften Kombination von kurzen Hosen, weißen Socken und „Arizona“ zu erkennen – der Inbegriff deutscher Spießigkeit. Die geschlossene Variante „Boston“ galt lange als Gesundheitsschuh, war bei Ärzten und medizinischem Personal beliebt. Und auch ein Visionär setzte damals schon auf die bequemen Teile: Apple-Gründer Steve Jobs war Fan.
2012 dann kopierte das Luxuslabel Celine eine Birkenstock-Sandale, als Obermaterial kam Fell zum Einsatz, nach innen gedreht. Plötzlich waren die praktischen, aber designerisch gewöhnungsbedürftigen Treter eine Provokation – und die liebt die Modebranche. Supermodel Kate Moss trug sie plötzlich, Heidi Klum wurde in ihnen gesehen, Designer kombinierten ihre neuen Kollektionen mit ihnen.
Kulttasche zu Birkenstocks
Zuletzt zerschnitt das New Yorker Designkollektiv MSCHF sogenannte Birkin Bags – Einstiegspreis für die ikonische Handtasche der Luxusmarke Hermès 5.000 Euro – und fertigte daraus Birkenstocks. Sie kosten mehrere Zehntausend Euro. Luxus-Designer Blahnik, bekannt für die hohen Absätze seiner Schuhe, verabschiedete sich für ein Sondermodell von diesen und versah Birkenstocks mit Samt. Da ist also viel Fantasie im Markt, wie es auch an der Börse gerne heißt.
Während die Modewelt Birkenstocks anzog, sanierte in Linz am Rhein Geschäftsführer Oliver Reichert das Unternehmen. Bevor er 2013 antrat, lief es nicht gut, vor allem Firmenpatriarch Karl Birkenstock hatte auch etwas gegen Gewerkschaften und Betriebsräte. Das hat sich geändert. Heute produziert Birkenstock immer noch in Deutschland, baut gerade im mecklenburg-vorpommerschen Pasewalk für 120 Millionen Euro eine neue Fabrik. Auch das Werk im sächsischen Görlitz hat das Unternehmen erweitert. Birkenstock ist größter deutscher Schuhhersteller. Inzwischen arbeiten 5.500 Mitarbeiter für die Firma, geliefert wird weltweit. Es gibt exklusive Serien der Schuhe. Im Programm sind inzwischen auch Gürtel, Taschen und Betten.
Reichert sprach 2021 davon, man suche einen Partner für die nächsten 250 Jahre. Der Geschäftsführer und die Birkenstocks verhandelten geschickt, spielten den Finanzinvestor CVC gegen L.Catterton und Financiére Agache aus. Im Blick hatten sie wahrscheinlich auch den Kölner Kofferhersteller Rimowa, den LVMH Ende 2016 von der Eigentümerfamilie übernommen hatte und auf Luxus trimmte. Reichert jedenfalls versprach sich von den neuen Eigentümern vor allem einen besseren Zugang zum wichtigen asiatischen Markt.
Aus den 250 Jahren sind nun möglicherweise nur 3 geworden. Andererseits heißt Börsengang nicht, dass die Investoren komplett verkaufen. Meist geht nur ein Teil der Aktien an die Börse. Und dann ist der Börsengang auch nur eine von verschiedenen Varianten, wie Bloomberg berichtete. Womöglich kommt er doch nicht. Dann hat das Thema aber immerhin die Marke im Gespräch gehalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen