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Biologe über die „Blume des Jahres“„Schön, selten und gefährdet“

Die Grasnelke ist die „Blume des Jahres 2024“. Der Hamburger Projektleiter und Tagungsorganisator André Palm erklärt, warum.

Ästhetisch ansprechend und gut im Umgang mit Trockenheit: Grasnelken Foto: dpa/dpa-Zentralbild | Christoph Soeder
Interview von Luisa Gohlke

taz: Nach welchen Kriterien wird eine Blume die Blume des Jahres?

André Palm: Ein wichtiger Faktor ist die Schönheit, weil die Blume des Jahres die Fahnenträgerin für unsere Umweltkampagne ist, die ein Jahr läuft. Seltenheit und Gefährdungsgrad und die letzten Vorkommen spielen auch eine wichtige Rolle. Anhand der Blume wird Umweltschutz betrieben, für die Blume selbst und den Lebensraum, in dem sie vorkommt.

taz: Sind andere Pflanzen zu hässlich, sodass Sie „nur“ eine Blume des Jahres statt einer Pflanze des Jahres küren?

Palm: Nein, aber einige Pflanzen sind für die breite Masse vielleicht etwas unspektakulär. Pflanzen haben allgemein das Problem, dass sie sich nicht bewegen können, nicht flauschig sind und keine Knopfaugen haben. Die Blume des Jahres soll daher ästhetisch ansprechend sein. Meistens wählen wir dafür eine spannende krautige, blühende Pflanze. „Blume“ gibt es als botanischen Begriff so nicht.

taz: Eine Besonderheit sind die Lebensräume verschiedener Grasnelken. Wie funktioniert deren Anpassung an nährstoffarme, salzige und sogar mit Schwermetallen belastete Böden?

privat
Im Interview: André Palm

Jahrgang 1988, Biologe, leitet für die Loki-Schmidt-Stiftung das Projekt „Blume des Jahres“.

Palm: Nährstoffarmut ist förderlich für die Artenvielfalt. Wenn zu viele Nährstoffe verfügbar sind, wachsen gewisse Pflanzen zu schnell. Dann ersticken sie die anderen Pflanzen, zum Beispiel die Grasnelke, denn die wächst sehr langsam. Mit wenigen Nährstoffen im Boden wachsen alle ein bisschen gemütlicher – oder die besonders hungrigen Pflanzen siedeln sich woanders an. Auf Salzwiesen an der Küste kann die Grasnelke auch wachsen. Das über das Wasser aufgenommene Salz schwitzt sie wieder aus. Mit ihrer tiefen Pfahlwurzel kann die Grasnelke sogar Trockenheit gut ab. Bleiwurzgewächse können Schwermetalle aus dem Boden filtern und in ihren Zellen ablagern. Dadurch wird ihr Stoffwechsel nicht beeinträchtigt.

taz: Die Gewöhnliche Grasnelke steht auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Was müsste sich ändern, damit der Bestand nicht weiter zurückgeht?

Palm: Vor allem müssten die Salzwiesen geschützt werden. Salzwiesen sind nicht so artenreich, aber eine ganze Menge Vogelvieh und andere Tieren leben von und auf ihnen.

taz: Und die Mager- und Trockenrasen?

Palm: Die dürften nur extensiv genutzt werden. Das größte Problem ist da der Nährstoffeintrag durch die Landwirtschaft. Wenn man regelmäßig und zum richtigen Zeitpunkt mäht und das Schnittgut von der Fläche trägt, werden Nährstoffe entfernt. Durch Mahd wird dann der Konkurrenzvorteil einiger Pflanzen zurückgesetzt.

taz: Kann die Grasnelke auf einem Hausdach die gleichen ökologischen Funktionen erfüllen wie im natürlichen Habitat?

Palm: Die Grasnelke blüht von Mai bis teilweise in den Oktober hinein. Sie versorgt also die Insekten mit Pollen und Nektar. Die Insekten sind wiederum Snacks für die Vögel. Ob die Insekten 20 Meter hoch auf ein Dach fliegen oder nicht, ist denen egal. Wahrscheinlich wären sie froh, dass überhaupt was zu essen da ist, weil die Stadt ja sonst ein komplett versiegelter Totraum ist.

Die Tagung

Fachtagung zur Blume des Jahres, „Auf dem Dach, da ist was los!“: 29. 8., 9.30 Uhr, DESY Hamburg, veranstaltet von der Loki-Schmidt-Stiftung.

taz: Was bräuchte es, damit Pflanzen keine Blume des Jahres mehr werden müssen, um Aufmerksamkeit zu bekommen?

Palm: Ich wäre dann auf jeden Fall arbeitslos… Der Mensch macht das, was er am besten kann: Mensch sein. Solange er Lebensräume schädigt, wird es immer Pflanzen geben, die bedroht sind. Solange werden wir weiterhin Umweltschutz machen.

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