Biologe über Herkunft des Coronavirus: „Wir sind Teil des Tierreichs“
Frettchen und Nerze können Wirte für das Coronavirus sein. Sie können es auf Menschen übertragen, sagt der Chef des Friedrich-Loeffler-Instituts Thomas Mettenleiter.
taz: Herr Mettenleiter, das Coronavirus springt offenbar nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch von Mensch auf Tier – und wieder zurück. Die Niederlande, wo solche Fälle in Nerzfarmen aufgetreten sind, wollen nun die Pelztierproduktion verbieten. Wie verheerend sind die Folgen, sollte sich herausstellen, dass auch landwirtschaftliche Nutztiere sich infizieren – und dann womöglich Menschen zurückanstecken?
Thomas Mettenleiter: Bislang handelt es sich meist um Einzelfälle. Wir kennen einzelne Berichte über Haustiere, die durch Menschen angesteckt worden sind. Weltweit sind es nicht viele, aber es gibt eine zunehmende Zahl an Katzen und Hunden und eben auch an Nerzen, die in Farmen in den Niederlanden, in Dänemark, in Spanien und in den USA infiziert worden sind. In einigen Fällen ist es offenbar dann auch in den Niederlanden zu Rückinfektionen von Menschen gekommen. Coronaviren sind im Tierreich weit verbreitet; manche lösen Atemwegserkrankungen aus, andere Durchfall, wieder andere können zu tödlichen Erkrankungen führen. Von daher ist die Tatsache, dass Coronaviren sich auch über Artgrenzen ausbreiten können, nichts grundsätzlich Neues.
Aber hier geht es um eine Pandemie, die in vollem Gange ist und die nun möglicherweise auf Tiere übergreifen könnte. Klingt für Sie nicht nach Unheil?
Willkommen im Reich der Zoonosen! Selbstverständlich rufen uns Infektionskrankheiten, die gleichermaßen bei Tieren und Menschen vorkommen, auf den Plan. Wir am Friedrich-Loeffler-Institut haben zwei Missionen, die eine betrifft den Schutz des Menschen vor Infektionen, die zwischen Tier und Mensch übertragbar sind, und die andere die Gesundheit und das Wohlergehen lebensmittelliefernder Tiere. Aktuell interessiert uns also auch, ob Sars-CoV-2 für Nutztiere gefährlich werden kann.
Und? Kann es?
Wir haben im Frühjahr die Empfänglichkeit von Schweinen und Hühnern für Sars-CoV-2 getestet; die Viren dazu stammten aus dem ersten deutschen Infektionscluster aus München. Die Tiere bekommen das Virus in die Nase gesprüht, womit wir versuchen, den normalen Infektionsweg nachzuahmen. Unsere Untersuchungen zeigten, dass Hühner und Schweine sich unter unseren experimentellen Bedingungen nicht infizieren lassen. Inzwischen sind diese Versuche weltweit in anderen Laboratorien bestätigt worden: Vögel scheinen außen vor zu sein, Schweine auch. Unsere Versuche an Rindern haben kürzlich ergeben, dass sie nur sehr wenig empfänglich für Sars-CoV-2 sind. Damit sind die wichtigsten landwirtschaftlichen Nutztiere untersucht.
Bleiben noch die Nerze.
Und nicht nur sie! Frettchen, Marderhunde, Fledermäuse – es gibt mehrere Tierarten, die ein Reservoir für das Coronavirus sein oder werden könnten.
Was bedeutet Reservoir?
Es sind die eigentlichen Wirtstiere. Sie können sich mit dem Virus infizieren, sie vermehren es, scheiden es aus und stecken andere Tiere an, aber sie selbst werden nicht krank. Dies haben wir an Nil-Flughunden getestet, von denen wir seit einigen Jahren eine Kolonie auf Riems haben, die sich bei uns sehr wohl fühlt. Nun sind Flughunde wahrscheinlich nicht das eigentliche Reservoir für Sars-CoV-2, aber sie gehören zu den Fledertieren und sie stehen den Hufeisennasenfledermäusen nahe, die als Reservoir diskutiert werden.
Was ist herausgekommen?
Unsere Flughunde lassen sich infizieren. Sie vermehren den Erreger im oberen Atmungstrakt, bekommen vielleicht einen leichten „Schnupfen“, aber mehr nicht. Und sie geben das Virus weiter. Das Gleiche gilt für Frettchen, die den Nerzen ähnlich sind, sowie für Marderhunde, die wir ebenfalls getestet haben. Die Frettchen spiegeln die asymptomatischen Verläufe beim Menschen sehr gut wider.
Warum ist es wichtig zu verstehen, was in Wirtstieren passiert?
Wir erforschen beispielsweise Impfstoffe an ihnen, mit denen wir später Menschen schützen wollen. Die Frettchen etwa helfen uns dabei zu sehen, ob der Impfstoff die Empfänglichkeit, die Virusvermehrung, die Ausscheidung und die Übertragung reduzieren kann. An Goldhamstern, die sich übrigens ebenfalls infizieren lassen, aber im Gegensatz zum Frettchen auch erkranken, testen wir Substanzen, die die Krankheit lindern oder heilen sollen. Daneben geht es um Grundsätzliches. Wir wollen wissen, was sich bei der Infektion zwischen Erreger und Wirt abspielt. Und wir wollen natürlich auch wissen, welche Erreger sich draußen so befinden. Wir brauchen einen Überblick über das Universum der Viren.
Um Risiken einschätzen zu können?
Ja, aber auch zum Verständnis der biologischen Vielfalt. Derzeit ist es schwierig zu sagen, welcher Erreger möglicherweise zoonotisches Potenzial hat – und welcher nicht. Bei den Coronaviren etwa ist unklar, was den Ausschlag gibt, ob das Virus auf den Menschen übergeht oder ob es schwerwiegende Erkrankungen hervorruft.
Aber dass Sars-CoV-2 seinen Ursprung im Tierreich hat, ist gesichert?
Es ist naheliegend, aber es gibt Unbekannte. Wir wissen weder, wo es passiert ist, noch wie noch wann genau. Andererseits ist auch dank der Untersuchungen unserer chinesischen Kollegen klar, dass in Fledermäusen sehr viele sehr unterschiedliche Coronaviren zirkulieren, und dass der nächste Verwandte zu Sars-CoV-2, wenn man das Gesamtgenom betrachtet, ein Virus aus der Hufeisennasenfledermaus ist, das 2013 in China identifiziert wurde. Das ist das heißeste Indiz, das wir haben. Andere Möglichkeiten sind deutlich unwahrscheinlicher.
63, ist seit 1996 Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts, des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit. 1997 wurde der Biologe und Virologe zum Professor an der Universität Greifswald ernannt, seit 2000 ist er Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Warum?
75 Prozent aller neuen Infektionskrankheiten beim Menschen kommen aus dem tierischen Bereich. Es spricht also viel dafür, dass auch Sars-CoV-2 dazugehört.
Drei Viertel aller Infektionen haben ihren Ursprung in Tieren?
Ja, und das liegt schlicht daran, dass der Mensch biologisch Teil des Tierreichs ist. Erregern, die im Tierreich zirkulieren, ist es, salopp gesagt, egal, ob sie einen Menschen oder irgendein anderes Tier befallen. Es gibt keine besondere Barriere zwischen Tier und Mensch, die es nicht zwischen unterschiedlichen Tierarten auch gäbe. Die Schweinegrippe, die Vogelgrippe, BSE, HIV, Ebola – alle diese Erreger kamen von Tieren. Von daher ist der Umstand, dass jetzt eine neue Seuche aufgetreten ist, für uns eine interessante, aber nicht außergewöhnliche Situation.
Ist es inzwischen gelungen, eine Hufeisennasenfledermaus zu fangen, die nachweislich mit Sars-CoV-2 infiziert war?
Leider nicht. Der Erreger, wie wir ihn jetzt beim Menschen finden, ist bisher noch nie bei einem anderen Tier in freier Natur ohne Verbindung zu infizierten Menschen nachgewiesen worden. Er war bis Dezember letzten Jahres völlig unbekannt. Deswegen müsste man wahrscheinlich noch viele Fledermäuse untersuchen und hätte dann eventuell einen Glückstreffer. Das Problem ist, dass Sars-CoV-2 inzwischen so weit verbreitet ist, dass man, selbst wenn man es in einem Wildtier finden würde, genau prüfen müsste, ob es vorher schon dort vorgekommen ist, oder durch den Menschen zurückgespiegelt wurde in die Natur.
Wie ist der Übersprung erfolgt?
Wir wissen nicht, ob der Erreger direkt auf den Menschen gegangen ist oder ob ein Zwischenwirt eine Rolle gespielt hat. Bei Sars-CoV-1, das den Sars-Ausbruch 2002/2003 verursacht hat, war es der Larvenroller, eine Schleichkatze, der als Zwischenwirt fungiert hat. Beim Mers-Coronavirus, das seit 2013 schwere Atemwegsinfektionen vor allem im Mittleren Osten auslöst, ist es das Dromedar. So einen Zwischenwirt könnte es bei Sars-CoV-2 auch gegeben haben.
Könnte das Virus aus einem Labor stammen?
Solange wir nicht genau wissen, wie und wo der Erreger auf den Menschen übergesprungen ist, sind solchen Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Aber dass das Virus im Labor konstruiert worden wäre, darf wohl ausgeschlossen werden. Dafür passt es zu sehr in die Viruswolke, die wir aus dem Fledermausreservoir ohnehin kennen.
Sie sind eines von weltweit drei Instituten, die mit Viren und Bakterien der höchsten Sicherheitsstufe, S4, an Großtieren forschen dürfen. Wie schließen Sie aus, dass ein Erreger nicht doch einmal versehentlich aus Ihrem Hochsicherheitslabor entweicht?
Es gibt den menschlichen Faktor, keine Frage, und auch Technik kann versagen. Daher halten wir alle wichtigen technischen Anlagen doppelt vor. Aber schlussendlich sind es Managementfragen: Wie gehe ich mit Proben aus dem Feld um? Wo versuche ich, das Virus zu isolieren? Wie schütze ich mich selbst und die Umwelt? Die Insel Riems ist Tierseuchensperrbezirk, das Schild werden Sie gesehen haben, als Sie über den Damm auf die Insel gefahren sind. Nun ist es nicht mehr so wie zu Friedrich Loefflers Zeiten vor mehr als 100 Jahren, als man aus Biosicherheitsgründen auf eine Insel ausweichen musste. Aber dank unserer geografischen Lage können wir den Bezirk, sollte es nötig sein, schnell abgrenzen und sichern. Ich schlafe deutlich besser, wissend, dass das Institut hier auf der Insel ist.
Ist nie etwas passiert?
Zu DDR-Zeiten hat es in der Umgebung immer wieder Maul- und Klauenseuche-Ausbrüche gegeben, die auf die Arbeit des Instituts zurückzuführen waren, den letzten 1982 in den Bezirken Rostock und Neubrandenburg. Dazu gibt es auch eine Stasiunterlage, und es gab internationale Verwicklungen, denn das Virus hatte bis nach Polen und Dänemark gestreut. Im Jahr 1990 wurde ein modernes Isolierstallgebäude in Betrieb genommen. Wir haben es bis 2016 genutzt. Seither sind wir in unserem Neubau – mit einem weltweit hervorragenden Sicherheitsstandard. Aber um auf Sars-CoV-2 zurückzukommen: Es gibt keine konkreten Hinweise darauf, dass aus einem Labor – in China oder sonst wo – das Virus versehentlich entwichen sein könnte.
Die Pandemie kennt keine Schuldigen?
Das ist Biologie! Schuldzuweisungen sind unangebracht. Wir können versuchen, die Übersprünge von Tier zu Mensch zu minimieren, indem wir den Kontakt mit möglichen Reservoiren gering halten. Aber wir müssen davon wegkommen zu sagen, es sind nur Tiere in Afrika oder Asien, die derartige neue Erreger mit sich herumtragen. Es kann auch die Maus in Ihrem Berliner Garten sein.
Seuchen sind Schicksal?
Seuchen sind Teil der Geschichte. Wichtig ist die awareness. Aufmerksam zu sein, lokale Infektionscluster schnell zu entdecken und sofort einzugreifen, mit Quarantäne zum Beispiel.
In China hat man zu Beginn der Pandemie offenbar wertvolle Zeit verstreichen lassen. Daten sollen auf Druck der Regierung zurückgehalten, medizinische Erkenntnisse vertuscht worden sein.
Das ist aus der Distanz und retrospektiv schwer zu beurteilen. Wir diskutieren über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen. Keine Frage, zwei bis drei Wochen sind in der Pandemie viel Zeit. Und natürlich sollte man, wenn ein neues Krankheitsbild lokal gehäuft auftritt, schnell und transparent kommunizieren und internationale Kollegen einbinden. Richtig ist, dass wir in dieser Anfangszeit nicht involviert waren, aber …
… dies ist verzeihlich?
Zur Einschätzung einer pandemischen Gefahrenlage sind zwei Wochen kein langer Zeitraum. Die Prognose, wie sich die Infektionssituation in China und darüber hinaus weiterentwickeln würde, konnte Ende Dezember keiner belastbar stellen. Da war unsere Kristallkugel nicht klarer als die der anderen.
Hätte die Weltgesundheitsorganisation mehr Druck auf China ausüben müssen?
Ach, Frau Haarhoff! Diese Frage kommt immer. Wird zu schnell gehandelt, redet man von Panikmache. Zu langsam ist aber auch nicht gut. Da ist es auch schwer für die WHO, den richtigen Weg zu finden. In unserem Bereich der Forschung geht es nach meinem Eindruck recht transparent zu. Wir haben einmal pro Woche eine Videokonferenz, die die WHO organisiert. Dort schalten sich alle interessierten Wissenschaftler, die mit Tierversuchen und Sars-CoV-2 zu tun haben, zusammen.
Es gibt Einzelvorträge und Präsentationen von Forschungsgruppen, Instituten und Laboratorien, die ihre Ergebnisse miteinander diskutieren. Das ist sehr transparent und sehr informativ. Bei diesen Konferenzen sind selbstverständlich auch chinesische Wissenschaftler, ebenso wie Kollegen aus den USA dabei. Unsere Wissenschaftsethik ist sehr ähnlich. Das Problem ist eher, dass Forschungsdaten immer frühzeitiger kommuniziert werden, oft ohne begutachtet worden zu sein. Es ist also weniger die Informationsweitergabe denn die Informationsfülle, die uns derzeit zu schaffen macht.
Jetzt kommt der Herbst, und viele befürchten steigende Infektionszahlen oder gar einen zweiten Lockdown. Sie auch?
Auch hier wage ich keine Vorhersage. Was aber derzeit fehlt, ist vor allem die zentrale Koordination. Bei der Rede der Bundeskanzlerin am 18. März, deren Datum ich mir auch deswegen so gut merken kann, weil sie auf meinen Geburtstag fiel, war klar: Es gibt einen Lockdown für alle. Und alle haben das verstanden. Seither wird weniger auf die Wissenschaft gehört. Und dann kommt es zu Demonstrationen von Coronaleugnern wie in Berlin.
Welchen Anteil hat die Wissenschaft daran, dass sie suboptimal Gehör findet?
Es ist der Öffentlichkeit schwer verständlich zu machen, dass Wissenschaft ein dynamischer Prozess ist. Wissenschaft ist nicht Unfehlbarkeit, sondern Wissenschaft heißt, ich glaube heute etwas zu wissen, und wenn ich morgen eine andere Erkenntnis habe, dann muss ich meine Hypothese und Sichtweise ändern.
Wie könnte ein Ausweg aussehen?
Wir müssen Wissenschaft anders erzählen. Vor 100 Jahren wusste jeder aus eigener Erfahrung: Wer sich die Hände nicht wäscht, dem drohen schreckliche Krankheiten. Wenn wir heute von Hygiene sprechen, denken die Leute bestenfalls ans Zähneputzen. Masken zu tragen, Abstand zu halten, darin erkennen viele bloß eine Einschränkung ihrer Freiheitsrechte. Dabei sehen wir: Weil jetzt alle Masken tragen und auf Hygiene achten, sinken zugleich die Magen-Darm-Infektionen, gehen die Erkältungen zurück. Das müssen wir hervorheben: Auf Hygiene zu achten, ist keine Zumutung, sondern zahlt sich für jeden aus – weit über das Sars-CoV-2-Geschehen hinaus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr