Biodiversität als Plage: Im Zeichen der Blattlaus
Blattläuse sind ungeliebte frühsommerliche Gäste in Gärten und auf Feldern. Dabei sind die kleinen Insekten absolut faszinierende Lebewesen.
Früher waren es die Stare, dann die Mücken, danach die Wespen, zuletzt die Nacktschnecken und nun die Blattläuse. Den Klein- und Großgärtnern, Planzenzüchtern und -liebhabern bleibt keine Plage erspart. Nur dass einige es gelassen nehmen und die Blattläuse z. B. einzeln abpflücken oder gar nichts tun und abwarten oder auf Marienkäfer bzw. Junikäfer warten.
Einige Ahnungslose sehen derweil mit Freude Ameisen auf die Blattläuse an ihren Nutzpflanzen losmarschieren. Nur vertilgen diese sie nicht, sondern schützen sie, um ihre Ausscheidungen abzusaugen. Den sogenannten „Honigtau“, den wir selbst als „Waldhonig“ schätzen, allerdings nicht den von Ameisen, sondern von Bienen gesammelten.
Wenn keine Insekten kommen, um die Blattläuse von Honigtautropfen am After zu säubern, setzten sich nach kurzer Zeit Rußtaupilze dort fest, deren Schwärze die von den Blattläusen befallenen Blätter und Stengel an der Photosynthese hindert. Mit Saugrüsseln entnehmen die Blattläuse den Pflanzen nicht nur Nährstoffe, „sie können die Einstichwunden auch mit Viren infizieren, was vor allem in der Landwirtschaft erhebliche Schäden anrichten kann. Der Nabu erwähnt als Beispiele „die Strichelkrankheit der Kartoffel und der Gerstengelbverzwergungsvirus, der Weizen und Gerste schwächt“.
Die Wikipedia ergänzt: „Auf Fahrzeugen, die in der warmen Jahreszeit unter stark von Blattläusen besiedelten Straßenbäumen parken, ist Honigtau nach einigen Stunden als klebriger Film erkennbar.“ Das erinnert mich an die Barbesitzerin Erika Mayr; sie ist Vorsitzende des Imkervereins Charlottenburg/Wilmersdorf und hat ein Buch über „Stadtbienen“ geschrieben. Darin heißt es, dass sie Mitarbeitern der Berliner Grünflächenämtern erzählt habe, dass die Straßenbäume in Berlin nach 45 orientiert an Zeitpunkt und Dauer der Blütentracht gepflanzt wurden – vom Gärtner und Imker Karl Förster. Die für die Grünanlagen Verantwortlichen erwiderten, dass sie mittlerweile nur noch wüssten: „Birken verursachen Schmutz und Autos werden von den Blattläusen der Linden ganz klebrig.“
Gifte und Käfer
Es ist also klar: Gegen Blattlausbefall muss man was machen. Wenn man „Blattläuse“ googelt, kommen Hunderte von Mitteln zu ihrer Vernichtung, meistens handelsübliche Gifte, die mit einem Wirksamkeitsversprechen verbunden sind – z. B. „Damit werden auch alle Nissen und Eier der Blattläuse vernichtet. Ansonsten hat man schneller wieder Läuse, als man denkt.“ Ein anderes Mittel gibt hingegen zu bedenken: Passen Sie auf, dass Sie nicht nur diese „artenreichste Schädlingsfamilie“, sondern auch viele ‚Nützlinge‘ vernichten, verwenden sie die minimalste Dosis Pflanzenschutzmittel“ – wie dieses Gift auch beschönigend genannt wird.
Der taz-Ökoshop verkauft ein Mittel namens „Blattlausfrei“, das ich für einige Zierpflanzen auf der taz-Dachterrasse verwende. Ich halte es für relativ harmlos, jedoch zugleich stark genug, um die Blattläuse auf den jungen Trieben kurz und nahezu schmerzlos umzubringen. Will man die Läuse ganz biologisch statt chemisch bekämpfen, kann man neben Marien- und Junikäfern auch Ohrwürmer online bestellen, denn „Ohrwürmer lieben Blattläuse“, wie es da heißt – und zwar nicht wie die sie „melkenden“ Ameisen und Honigbienen, sondern eher so, wie wir Schweine lieben.
Die Blattläuse haben viele natürliche Feinde, oder andersherum gesagt: Viele Insekten, Spinnen und Vögel leben von Blattläusen, die wiederum von den Pflanzen leben, die wir essen wollen. Der südfranzösische Insektenforscher Jean-Henri Fabre, der sich ein halbes Leben lang mit den Insekten in seinem Garten und in der Umgebung beschäftigte, hat sich in so einem Konflikt immer für die Insekten, also die Blattläuse, entschieden und gegen seinen Salat oder Fenchel.
„Die Blattlaus ist wichtiger als der Hirsch“: Das hätte auch ein Gedanke aus seinen zehnbändigen „Erinnerungen eines Insektenforschers“ sein können, es ist aber ein Titel aus der Neuen Zürcher Zeitung. Ihr Beitrag zum Blattlauskomplex handelt davon, dass die Blattlaus im Verein mit anderen Kleininsekten fast wichtiger für ein funktionierendes Ökosystem ist als die großen Tiere. Bewiesen wurde die Wichtigkeit der Blattlaus mit einem Experiment der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Schweizerischen Nationalpark. Dazu zäunte man ein Gebiet mit mehreren jeweils verringerter durchlässigen Zäunen bis zur Mitte hin ein, wobei ein weitmaschiger Zaun ganz außen nur große Tiere wie Hirsche fernhielt, und der innerste sogar Blattläuse und ähnlich winzige Tiere – und das vierzehn Jahre lang. Im Ergebnis kam dabei heraus, „dass auch die kleinen wirbellosen Tiere sehr wichtig sind für das Funktionieren des Systems“.
Ökosystem mit Autor
Schön und gut, es wäre aber sicher übertrieben, bei den vor zwei Monaten dorthin verpflanzten Zierbäumen und -sträuchern auf der taz-Terrasse, die automatisch bewässert werden, von einem Ökosystem zu reden. Es sei denn, man nimmt mich dazu – mit der taz-„Blattlausfrei“-Sprühdose in der Hand, mit der man übrigens auch Zikaden, Weiße Fliegen und Spinnmilben töten kann, laut Verpackung. Weil die von Blattläusen befallenen Pflanzen noch nicht so lange auf der Terrasse in einem Topf stehen und es sehr windig dort ist, haben sich noch keine Marien- oder Junikäfer umgesehen.
Von der diesjährigen Blattlausfront auf den Balkonen wird berichtet, dass eine Hanfpflanze von Blattläusen befallen wurde, aber allein zwei Marienkäfer, die chinesischen (mit bis zu 19 Punkten), hätten sie in kürzester Zeit von der Plage befreit. Der Nabu berichtete im Frühjahr: Wo der deutsche Marienkäfer 50 Blattläuse am Tag schafft, frisst der chinesische „locker das Fünffache“. „Und wo der Siebenpunkt einmal im Jahr Nachwuchs zeugt, sind es bei dem Biszuneunzehnpunkt wenigstens zwei neue Generationen, je nach Witterung und Nahrungsangebot auch drei bis vier. Dabei stößt und zittert das asiatische Männchen beim Liebesakt nach Phasen der Ruhe immer wieder mal heftig, als sei es in einem früheren Leben ein Hase gewesen.“ Ein seltsamer Koitusvergleich, bei Blattläusen gibt es übrigens keine Männchen, nur Weibchen.
Auf die Geschichte mit der blattlausbefallenen Hanfpflanze folgte auf der taz-Terrasse eine kurze Diskussion, in der die Hanf-Propagandisten gegenüber den Nichtrauchern behaupteten, Blattläuse mögen keine Hanfpflanzen. Das sei ja gerade das Großartige an dieser Pflanze, sie wird nicht von Schädlingen befallen. Um so erstaunter waren sie, als der Spiegel aus dem Landgericht Wien berichtete: „580 Kilo Cannabis soll eine mutmaßliche Drogenbande, bestehend aus 19 Männern und eine Frau auf elf Plantagen, in Österreich angebaut haben“. Ihr Verteidiger zog sofort die auf Hochrechnungen beruhende Erntemenge in Zweifel. Es habe immer wieder schädlingsbedingte Ernteausfälle gegeben: „Der wirkliche Feind des Hanfbauern ist die gemeine Blattlaus“. So lautete dann auch die Überschrift des Prozessberichts, der letztlich darauf hinauslief, dass die Angeklagten nun auch noch ein schlechtes Gewissen als Gärtner haben müssten.
Das hat nämlich fast jeder Besitzer einer oder mehrerer Pflanzen, die von Blattläusen befallen sind – und man fühlt sich deswegen schuldig. Der Sprecher des Bundesverbandes Einzelhandelsgärtner, Olaf Beier, sagt es ganz unverblümt so: „Läuse sind immer ein Zeichen dafür, dass eine Pflanze schwächelt.“ Und warum schwächelt sie? Weil wir nicht gut genug aufgepasst haben. Und schon haben sich die Blattläuse „explosionsartig vermehrt“. Der Besitzer einer Pflanze mit Blattläusen hat keinen grünen, sondern einen braunen Daumen, denn er gibt laut Beier zu viel oder zu wenig Düngung, Licht oder Wasser oder es ist ihr zu kalt oder zu warm – auf jeden Fall schwächelt sie und Ausdruck dessen ist der Blattlausbefall. Oder andersherum: Wird die Pflanze gesund und stark erhalten, bleibt sie „blattlausfrei“.
Die japanische Blattlausforschung beobachtet das Insekt hingegen vorurteilsfrei und interessiert: „Blattläuse können ihre Farbe (von Rot auf Grün z. B.) ändern, indem sie eine Lebensgemeinschaft mit bestimmten Bakterien eingehen“, heißt es auf wissenschaft.de. Ja, sagt da der Nabu, „von Nahem betrachtet, sind Blattläuse zweifellos faszinierende Tiere …“ Und recht hat er.
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