Bildungspolitik in Österreich: Wen würden unsere Kinder wählen?
Österreich wählt am Sonntag den Nationalrat. Deswegen werden gerade mal wieder Bildungsreformen gefordert. Kennen wir eh.
E s ist Wahlkampf in Österreich. Die Zeit, in der Politiker*innen, die seit Jahren im Amt sind, plötzlich Versprechen abgeben, bei denen man sich fragt, wieso sie nicht längst eingehalten wurden. Was die Bildungspolitik betrifft, herrscht seit Jahrzehnten Stillstand, verantwortlich dafür: die Interessenunterschiede der zwei großen politischen Lager.
Das eine fordert eine Gesamtschule für alle 10- bis 14-Jährigen, das andere setzt auf separierende Bildungspolitik, aktuell in Form von extra Deutschförderklassen und einem Verbot von Kopftüchern für Schülerinnen und Lehrerinnen.
Andere religiöse Symbole dürfen übrigens bleiben. Als kürzlich wegen Renovierungsarbeiten die Kreuze in einer Volksschule in Niederösterreich abgehängt wurden, beschwerten sich Eltern prompt beim Bürgermeister. Norbert Hofer, Spitzenkandidat der rechten FPÖ, die laut Umfragen trotz Ibiza-Affäre Zweite werden könnte, kritisiert in seiner Rede am Parteitag, dass in Lesebüchern für Kinder ein Junge namens Mehmet an Spielplätzen und Moscheen, aber an keiner Kirche vorbeigehe. „Es gibt in dieser Welt, in die unsere Kinder hineingesetzt werden, in Volksschulen in Wien keine Kirchen mehr, es gibt nur Moscheen.“
Altkanzler Sebastian Kurz, der laut Umfragen bei der Nationalratswahl am Sonntag vorne liegt, will zudem ein neues Unterrichtsfach einführen: „Staatskunde“. Laut eigenen Angaben sollen den Schüler*innen „die Grundzüge unserer Verfassung, des Rechtsstaates und welche Werte und Traditionen uns prägen, gelehrt werden“.
Gesamtschule? Ja woher denn?
Ich finde ja, dass die Idee von einem solchen Fach nicht neu ist, sondern seit Jahren unter dem Begriff „Politische Bildung“ von Pädagog*innen eingefordert wird. Philipp Mittnik, Hochschulprofessor für Geschichts- und Politikdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Wien, der auch das Zentrum für Politische Bildung leitet, kritisiert die Idee von der „Staatskunde“ in einem Kommentar als eine „Art Leitkulturschulung durch die Hintertür“.
Der Bildungsteil in den Wahlprogrammen der anderen Parteien geht dagegen völlig unter und wirkt, als hätte man ihn einfach aus dem letzten Wahlkampf übernommen. Jo eh, wie man in Wien sagen würde, die Forderung nach einer Gesamtschule ist berechtigt, aber gleichzeitig ein leeres Wahlversprechen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Gesamtschule in den nächsten fünfzig Jahren nicht umgesetzt wird, weil in Österreich politische Parteien an Schulen noch immer viel zu großen Einfluss haben und die Sozialdemokraten und die Volkspartei einander in dem Punkt nichts schenken.
Muslimische Kinder als Wahlkampfsujet auf der einen Seite und realitätsferne Konzepte auf der anderen – einen greifbaren Mehrwert für Schüler*innen und Pädagog*innen erkenne ich nirgends. „Wen würde das Klima wählen?“ plakatieren die Grünen aktuell in ganz Österreich – „wen würden die Kinder wählen?“, frage ich mich gerade.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen