Bildungspolitik in Berlin: Senat verschiebt Einschulung
Künftig werden kaum noch Fünfjährige eingeschult: Stichtag soll statt 31. Dezember der 30. September sein. Senatorin rechnet weiter mit vielen Rückstellungsanträgen.
Kinder müssen künftig drei Monate älter als bisher sein, um als schulreif zu gelten. Nach einer Gesetzesänderung, die der rot-schwarze Senat am Dienstag erstmals diskutiert hat, sind zum Schuljahr 2017/18 all jene Kinder schulpflichtig, die bis zum 30. September sechs Jahre alt werden. In der aktuellen Regelung reicht dieser Zeitraum bis zum 31. Dezember. Die rot-schwarze Koalition hatte das auf Drängen der CDU bereits vor Monaten vereinbart. Auch Grüne und Linkspartei hatten sich für eine spätere Einschulung ausgesprochen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hingegen ließ erkennen, dass sie selbst nicht hinter der Änderung steht.
Die derzeit gültige Berliner Regelung, bei der Kinder in dem Kalenderjahr zur Schule müssen, in dem sie sechs werden, rührt aus der Diskussion um die Pisa-Studie. Im Trend lagen fortan frühere Einschulung und kürzere Ausbildungszeit. Eine zunehmende Zahl von Eltern empfand aber ihr Kind als noch nicht reif für die Schule – laut Scheeres vor allem in bürgerlichen Stadtteilen. Sie beantragten, dass ihr Kind ein Jahr später eingeschult – im Amtsdeutsch: zurückgestellt – würde. Nach Darstellung der Senatorin passierte das gerade in jenen Elternschichten, die zuvor am meisten nach früherer Einschulung riefen. Scheeres nannte dabei den Bezirk Pankow als Beispiel.
Für das laufende Schuljahr wurden auf diesem Weg 6.000 Kinder zurückgestellt, was rund einem Fünftel des Jahrgangs entspricht. 2014 waren es 5.000 – für die CDU-Fraktion eine „dauerhafte Rückstellungsorgie“. Für eine solche Einschulung ein Jahr später ist bislang eine entsprechende Einschätzung der Kita und von Schulpsychologen nötig. Für das kommende Schuljahr, in dem der künftige Einschulungszeitraum noch nicht gilt, soll das einmalig anders sein: Da soll der bloße Antrag auf Rückstellung ausreichen.
Senatorin Scheeres geht aber nicht davon aus, dass es durch einen um drei Monate nach hinten geschobenen Einschulungszeitraum keine Rückstellungen mehr gibt. „Das ist Quatsch“, sagte sie zu solch einer Annahme und belegte das mit Zahlen aus anderen Bundesländern, in denen bereits der 30. September Stichtag ist.
CDU-Landeschef und Innensenator Frank Henkel, bislang nicht sonderlich als Bildungsexperte aufgefallen, war da deutlich euphorischer: „Wir haben hier einen wichtigen bildungspolitischen Erfolg erzielt, der Eltern und Kinder stärkt“, sagte Henkel, „es ist gut, dass die Früheinschulung endlich zurückgenommen wird.“ Gültig ist die Gesetzesänderung erst, wenn – nach einem für Dezember geplanten endgültigen Senatsbeschluss dazu –, auch das Abgeordnetenhaus zustimmt.
Da die Kinder wegen der späteren Einschulung länger in der Kita bleiben, soll es dort mehr Plätze geben. Laut Senatorin Scheeres soll das über 10.000 zusätzliche Plätze beziehungsweise rund 40 Millionen Euro abgedeckt sein, die im Entwurf des Landeshaushalts der nächsten beiden Jahre vorgesehen seien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins