Bildungsministerin Karin Prien: Rhetorischer Eskapismus
Bildungsministerin Karin Prien erklärt Kita-Investitionen zur „Schicksalsfrage für Deutschlands“. Das verkennt die wahren Probleme im Bildungsbereich.
S chicksalsfrage scheint ein Lieblingswort von Bildungsministerin Karin Prien zu sein. Schon 2018 erklärte die CDU-Politikerin, damals Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, dass Bildung, nun ja, eine Schicksalsfrage sei – jetzt ist es die frühkindliche Bildung, die über Deutschlands Zukunft entscheidet. Da hat sie nicht ganz unrecht: Aus doofen Kindern werden nun mal nur selten schlaue Erwachsene. Aber wie Prien das Problem, dass Bildung in Kitas und Schulen vielfach mit ungenügend bewertet wird, aufgreift, verdient auch keine Eins.
Den Geburtenrückgang als „demografische Rendite“ zu bezeichnen und damit von anderen Qualitätsmängeln in Kitas abzulenken – Stichworte hier unter anderem: zu große Gruppen, Erzieher:innen am Rande des Nervenzusammenbruchs, fehlende Plätze in nicht wenigen Regionen, dafür Platzüberschuss in anderen Ecken der Republik –, ist schon ein ausgebuffter rhetorischer Kniff.
Denn es geht um viel mehr als nur um frühkindliche Bildung. Beispielsweise um Entlastung und bessere Bezahlung des Kitapersonals, Gleichbehandlung aller Kinder und eben keine zu kurz gedachte Migrationsquote in Schulen (Prien-Idee in diesem Sommer), mehr Sportangebote und – ja, natürlich – mehr spielerische Lernangebote in Vor- und Grundschulen. Diese und andere langjährige Forderungen von Kita- und anderem Bildungspersonal umzusetzen, ist dezidierte Aufgabe einer Bildungsministerin.
Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Ausgebuffte Rhetorik ist Priens „Schicksalsfrage“ aber vor allem, weil sie suggeriert, dass Wirtschaft und Demografie des Landes einzig und allein von den Jungen und ganz Jungen abhängen – und nicht etwa von aktueller Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Wie wäre es denn, jungen Menschen neben ausreichender Bildung Angebote zu machen, die sie wenigstens ein bisschen sorgenfreier in die Zukunft schauen lassen: beispielsweise soziale Absicherung, bezahlbare Wohnungen, echte Klimamaßnahmen, eine Politik, die Familien mit Kindern unterstützt und nicht die Ehe an sich – das sind wahre demografische Renditen.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!