Bildungsgewerkschaft über Lehrer*innenstreik: „Abwärtsspirale stoppen“
Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert kleinere Klassen – trotz Lehrermangel. Wie soll das funktionieren? Fragen an Geschäftsführer Markus Hanisch.
taz: Herr Hanisch, von Dienstag bis Donnerstag will die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW streiken: Tarifbeschäftigte Lehrkräfte, Sozialpädagog*innen und Schulpsycholog*innen sollen ihre Arbeit niederlegen – und das nicht zum ersten Mal. Was fordern Sie?
Markus Hanisch: Wir fordern einen Tarifvertrag für kleinere Klassen und dass mehr Schulsozialarbeiter*innen und -psycholog*innen eingestellt werden.
Sie beziehen sich bei Ihrer Forderung nach einem Tarifvertrag aufs gesundheitliche Wohlergehen der Lehrer*innen. Wie hängt das mit kleineren Klassen zusammen?
In einer Umfrage unter den angestellten Lehrkräften bei der GEW fragten wir: Was sind besondere Belastungsfaktoren und was würde entlasten? Große Lerngruppen wurden am häufigsten genannt. Kleinere Schulklassen könnten einem großen Teil der Belastungen entgegenwirken. Denn mit der Klassengröße gehen Lärm, Korrekturaufwand und das Verhalten von Schülern einher. Als Entlastung wünschen sich Lehrkräfte vor allem mehr Zeit – für Beziehungsarbeit und mehr individuelle Förderung. Lehrkräfte wollen ja gute Arbeit machen, aber die immer schlechteren Rahmenbedingungen machen das unmöglich.
Und warum ein Tarifvertrag?
Bisher kann der Senat per Verordnung die Klassengröße ändern. Das passiert in der Regel zum Schlechteren. In der Vergangenheit hat es immer wieder dazu geführt, dass Klassen zunehmend vergrößert wurden, wenn das Geld, das Personal oder die Räume fehlten. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben. Wir wollen mitsprechen und darin unsere Arbeitnehmerrechte als Gewerkschaft geltend machen. Mit einem Tarifvertrag könnten Betroffene in der Entscheidung der Klassengröße mit einbezogen werden, sodass nicht einfach von oben diktiert werden kann. Die Klassengröße ist kein Faktor, der einfach so entschieden werden kann. Sie hat direkten Einfluss auf die Gesundheit und pädagogische Arbeit der Lehrer.
Markus Hanisch
ist Geschäftsführer und Pressesprecher der Bildungsgewerkschaft GEW. Hanisch wurde im Dezember 2020 in die Geschäftsführung der Gewerkschaft gewählt.
Fordern Sie konkrete Größen für einen möglichen Tarifvertrag?
Wir haben einen Forderungsbeschluss, in dem konkrete Zielzahlen für Klassen stehen, die sich je nach Jahrgangsstufe und Schulform unterscheiden. Es geht uns aber vor allem darum, gemeinsam einen Weg zu bestreiten, der die verbindliche Verkleinerung zum Ziel hat.
Kürzlich gab es die Meldung, dass sich der Lehrermangel an Berlins Schulen stark verschärft hat, circa 1.500 Vollzeitstellen sind nicht besetzt. Die neue CDU-Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch sagte: „Die Klassengrößen können wir nicht so einfach verringern, solange wir nicht mehr Lehrkräfte haben. Das ist völlig illusorisch.“ Wie geht das für Sie zusammen?
Dann sollen sie mehr ausbilden und mit uns einen Fahrplan erstellen. Uns ist klar, dass nicht von heute auf morgen die Klassen komplett verkleinert werden können, sondern dass dies schrittweise passieren muss. Mit einem Tarifvertrag könnte man aber eine Verbindlichkeit schaffen, gemeinsam einen Weg zu beschreiten, wie die Klassen perspektivisch kleiner werden – auch im Interesse der Schülerinnen und Schüler von heute und morgen. Die Abwärtsspirale, in der wir uns befinden, muss endlich aufhören. Den Verweis, „Wir würden die Klassen gerne kleiner machen, aber uns fehlt das Personal“, hören wir jetzt schon seit Jahren. Dieses Spiel hat immer wieder dazu geführt, dass sich nichts verbessert hat.
Ab heute ruft die GEW Lehrkräfte, Sozialpädagogen und Schulpsychologen zu einem dreitägigen Warnstreik auf, es fallen Unterricht und Prüfungen aus. Die GEW fordert kleinere Klassen per Tarif. Der schwarz-rote Senat lehnt das ab.
Die Schülervertretung unterstützt den dreitägigen Warnstreik an den Schulen, übt aber auch Kritik an der Gewerkschaft GEW. „Wir finden problematisch, dass der Warnstreik an Prüfungstagen stattfindet. Das ist unsolidarisch“, sagte der Sprecher des Landesschülerausschusses, Paul Seidel.
34.000 Lehrer*innen gibt es in Berlin. Viele davon sind Angestellte und dürfen – anders als Beamte – streiken. An den bisherigen Warnstreiks beteiligten sich zuletzt jeweils zwischen 2.500 und 4.000 Lehrkräfte. (dpa)
Der Streik findet in der Prüfungszeit statt und soll erstmals drei Tage dauern. Was begründet Ihr Vorgehen?
Wir müssen den Druck erhöhen, weil der Senat auf unser berechtigtes Anliegen nicht reagiert. Seit 2021 haben wir Briefe und Handlungsaufforderungen an die verschiedenen Finanzsenatoren geschickt, um zu verhandeln. Das ist unser Recht als Gewerkschaft, sogar unsere Pflicht unseren Mitgliedern gegenüber, deren Arbeitsbedingungen immer schlechter werden.
Gab es dazu eine Rückmeldung?
Auf unsere Briefe wurde einfach nicht eingegangen, weil der Finanzsenator sagt, er dürfe nicht mit uns verhandeln, da er in einem Arbeitgeberverband, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), organisiert ist, der ihm das verbiete. Wir halten das Verstecken hinter der TdL für einen Vorwand, nicht mit uns in Tarifverhandlungen treten zu müssen. Im Wahlprogramm hat die Union sich für kleinere Klassen ausgesprochen. Wenn die offizielle Position der CDU Berlin stimmt – dass sie gerne mit uns verhandeln würden, aber nicht können –, dann könnte sie das Thema dennoch auf dem parlamentarischen Weg voranbringen und eine schulgesetzliche Regelung einführen.
Aber ohne die Zustimmung der TdL können keine Tarifverhandlungen über die Klassengröße aufgenommen werden. Sonst könnten die Berliner aus der Gemeinschaft fliegen, die nicht nur Schulen, sondern Verträge für den ganzen öffentlichen Dienst verhandeln. Ist das kein guter Grund?
Der TdL geht es darum, einheitliche Bedingungen zwischen den Ländern zu haben, damit man sich nicht gegenseitig die Arbeitskräfte abspenstig macht. Aber von einheitlichen Bedingungen kann ohnehin keine Rede sein. Es gibt diverse Sonderregelungen, und verschiedene Länder werben aktiv Personal ab. Berlin hat eine Reihe von Zulagen eingeführt, wie die Hauptstadt- oder Brennpunktzulage, die alle nicht TdL-konform waren – weil man das wollte und sich davon nicht beirren ließ. Andere Bundesländer machen das auch. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
In einem Gespräch mit der GEW vor rund einer Woche wollten Finanzsenator Evers und Bildungssenatorin Günther-Wünsch ausloten, inwieweit der Streik noch abgewendet werden könne, wie der Senat vorab ankündigte. Später hieß es aus der Senatsverwaltung, dass sie keine Möglichkeit eines Sondertarifvertrags für Lehrer sehen. Was bedeutet das nun für Ihren Streik?
Es war ein Kennenlerngespräch, keine Verhandlung. Mehrmals haben wir den Senat zu Tarifverhandlungen aufgerufen, aber darauf hat er nicht reagiert. Natürlich würden wir den Streik absagen, wenn es zu einer Verhandlung käme. In dem Gespräch hat der Finanzsenator aber vor allem seine Position wiederholt, deshalb halten wir auch am Streik fest. Aber wir begrüßen, dass der neue Senat gesprächsbereiter ist.
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