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Bildungs- und Teilhabepaket „BuT“Bildungspaket wird wenig genutzt

Rund 1,5 Millionen Menschen nutzen Bildungs-Leistungen nicht, obwohl sie Anspruch darauf hätten. Gründe dafür gibt es viele.

Hefte, Stifte, Etuis – Schüler brauchen viele Materialien. Die Kosten häufen sich Foto: imago/photothek

Berlin taz | Die eigentliche Nachricht verbirgt sich hinter der Meldung. Im Februar 2018 erhielten 1.006.163 SchülerInnen Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) des Bundes. Das meldet die Passauer Neue Presse, in Bezug auf eine Anfrage der Linken im Bundestag. Auffällig ist: Bei der Zahl der LeistungsempfängerInnen steht Nordrhein-Westfalen (NRW) mit 300.000 Schulkindern an der Spitze vor Niedersachsen (117.000) und Berlin (98.000): Von dem Geld kaufen Eltern ihren Kindern Stifte, Blöcke und Schulbücher. Auffällig ist auch: Zwar hat eine Million Kinder BuT-Leistungen erhalten – aber rund 2,5 Millionen hätten Anspruch darauf.

„Wir haben bundesweit ein kleines Wirtschaftswunder, und gleichzeitig steigende Kinderarmut“, sagt Petra Windeck vom Deutschen Familienverband NRW. Etwa 15 Prozent der Menschen gelten hierzulande als arm. Bei den Kindern ist der Anteil höher: 19 Prozent leben in Armut, in den Neuen Bundesländern sind es 25 Prozent. In Berlin lebt ein Drittel der Kinder in einem Haushalt, der staatliche Leistungen erhält. In manchen Städten wie Gelsenkirchen sind es über 40 Prozent. Dass NRW die Statistik anführe, sei einfach zu erklären, sagt Windeck. „NRW ist das bevölkerungsreichste Land mit dem höchsten Anteil an Kindern.“

Armut ist in Deutschland extrem erblich: Das geht aus einer kürzlich erschienenen OECD-Studie hervor. Hierzulande dauere der Aufstieg von ganz unten bis in die Mitte der Gesellschaft rund 180 Jahre, etwa sechs Generationen. Im Mittel aller großen Industrie- und Schwellenländer brauche er knapp fünf Generationen. Das BuT sollte die Aufstiegschancen erhöhen.

2011 unter der damaligen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eingeführt, sieht es einen Zuschuss für Familien vor, die Sozialhilfe, Wohn- oder Arbeitslosengeld beziehen. Auf Kritik, das BuT schaffe Hürden, wandte von der Leyen ein, der Antrag sei ein „einfacher Ankreuzer“. Tatsächlich ist für jedes Kind und jede Leistung ein gesonderter Antrag erforderlich – teilweise müssen Schule und Kita den Antrag unterschreiben.

Unangenehm vor Mitschülern

„Man darf auch nicht unterschätzen, wie stigmatisierend diese Einzelbeantragung wirkt“, sagt Windeck. „In Schulen ist es häufig so, dass die anderen Kinder mitbekommen, wenn ein Kind Zuschüsse erhält.“ Um dem Gefühl des Stigmas zu entgehen, verzichteten viele Familien. Zumal die Leistung die Kosten oft nicht deckt: Die Diakonie Niedersachsen hat ermittelt, der jährliche Schulbedarf koste im Schnitt 220 Euro. Das BuT stellt 100 Euro zur Verfügung. Erhöht wurde das noch nie.

„Das BuT ist in seiner Höhe willkürlich“, sagt Frank Steger vom Berliner Arbeitslosenzentrum evangelischer Kirchenkreise e. V. „Warum der Schulbedarf nicht 99 oder 112 Euro beträgt, konnte mir niemand begründen. Das Gleiche gilt für die Teilhabeleistung von 10 Euro im Monat für Dinge wie Sport oder Musik. Wo gibt es Musikunterricht für 10 Euro?“ 2010 entschied das Bundesverfassungsgericht, das Existenzminimum müsse statistisch hergeleitet sein. „Seit 2011 werden die Bedarfe für Kinder aus einer eigenen statistischen Erhebung ermittelt“, sagt Steger. „Aber das BuT blieb außen vor.“

Ein weiterer Kritikpunkt sind die Verwaltungskosten: Das BuT ist auch für Ämter aufwendig. Ein Sprecher des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sagt der taz, für 2017 hätten die Länder Ausgaben von 645,8 Millionen Euro gemeldet. Zum Anteil der Verwaltungskosten lägen keine Erkenntnisse vor, doch das statistische Bundesamt habe den jährlichen Aufwand generell mit rund 136 Millionen beziffert. Wenn’s reicht. Für 2014 ermittelte das ZDF-Magazin Frontal 21 einen Verwaltungskostenanteil von 180 Mil­lio­nen. Bei BuT-Ausgaben von 710 Millionen Euro floss also je 3 Euro pro Kind 1 Euro in die Bürokratie.

Wo gibt es Musikunterricht für 10 Euro?

Frank Steger

Wie ließe sich die Förderung zielgenauer gestalten? Windeck sagt: „Aktuell wird Armut vererbt. Um Ausgrenzung zu vermeiden, muss Schulbildung wieder kostenlos werden, samt Schulbüchern und angegliederten Institutionen für Nachhilfe, Kultur und Sport.“ In den 70er und 80er Jahren war freie Bildung auch in Deutschland gesellschaftliches Ziel. Damals war man ihm näher, und die Zahlen waren besser: In den 70ern kamen 1,8 Bildungsaufstiege auf einen -abstieg, in den 80ern drei Aufstiege auf einen Abstieg.

Heute zeigt sich ein neuer Trend. Nach einer Untersuchung des amerikanischen Pew Research Center schrumpft die Mittelschicht stetig, und jeder Prozentpunkt Schwund bedeute: Die Hälfte steigt auf, die andere ab. Eine bessere Quote als ganz unten. Da bewegt sich wenig: bis zu 180 Jahre lang.

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2 Kommentare

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  • Der Aufwand ist ja auch Wahnsinn! Für alle Beteiligten - nur dass die in den Jobcenter und Sozialämtern dafür bezahlt werden.

    Gerade, wenn man nicht "im laufenden Bezug" von Sozialleistungen ist und dennoch Anspruch auf die Kostenerstattung einer oder mehrer längerer Klassenfahrten für die Kinder hat, MUSS man erst einen kompletten ALG II-Antrag stellen und PARALLEL auch rechtzeitig noch einen Antrag an anderer Stelle (bei der Kommune) auf Übernahme der Kosten für die mehrtägigen Klassenfahrten, damit überhaupt geprüft werden kann, ob und in welcher Höhe die Familie (ab dem Zeitpunkt dann "Bedarfsgemeinschaft") Erstattungen bewilligt werden können. Das kann mitunter Monate dauern, bedeutet einen riesigen bürokratischen Aufwand (und Schikane), ggf. muss noch wegen Falschberechnung Widerspruch eingelegt werden etc. pp. Und wenn das Jobcenter dann tatsächlich einen Bescheid erlassen hat, dann wie gesagt, kann erst das Amt im Nachgang den rechtzeitig gestellten Antrag auf Übernahme der Klassenfahrtkosten bearbeiten! Rechtzeitig bedeutet: Vor der ersten Zahlung!

    Da ist das Ausfüllen und bescheinigen lassen durch die Schule noch das geringere Problem, wenn auch tatsächlich auch anzugehendes, weil a) die Schulen das kaum auf dem Schirm haben und entsprechend keine Informationen bis kurz vor der Fahrt verbindlich rausrückenm, geschweige denn was unterschreiben wollen und b) es für die Kinder tatsächlich sehr unangenehm ist.

    Eine Lösung in der Form, dass solche finanziellen Hilfen abgeschafft werden, kann aber bedeuten, dass diese mit kostenfreien Kindergartenplätzen kompensiert werden. Das fordern leider auch oder gerade viele links-grüne Politiker. Hier sollten Äpfel nicht mit Birnen verglichen werden. Klassenfahrten, Musikunterricht und Sportvereine sind wichtige Erlebnisse für Kinder und Jugendliche und die werden mit Sicherheit nicht für alle kostenfrei werden. Daher sollte am Procedere für die finanzielle Unterstützung gearbeitet werden, nicht an deren Abschaffung.

  • Armut ist in Deutschland auch deswegen “erblich“, weil Unterstützung hierzulande keiner Bringe- sondern eine Holpflicht unterliegt.

    Das Prinzip dahinter lautet: Wer etwas will, muss es sich nehmen. Der Staat will offenbar nicht, dass Leute aufsteigen, die seit 180 Jahren „unten“ sind. Das ist auch völlig logisch und erklärlich. Der Staat sind nämlich die Privilegierten. Und die würden ihren eigenen Kindern eine zusätzliche Konkurrenz schaffen, wenn sie der Unterschicht den Aufstieg möglichen machen würden. Wo schon ein Absteiger auf jeden Aufsteiger kommt, wären sie ziemlich dumm, wenn sie das täten.

    Die Lösung für das Konkurrenzproblem ist einfach: Stelle Förderprogramme auf, die keiner haben will. Dann ist die Schuldfrage geklärt. Ich selbst bin großzügig und die anderen sind dumm und/oder nicht Willens.

    Nur: Familien müssen in diesem Land einen großen Teil der Bildungsarbeit leisten. Die Väter müssen Geld verdienen, die Mütter "das Soziale" leisten (manchmal auch umgekehrt oder auch Halbe/Halbe) und beide müssen "Druck" erzeugen. Sind Eltern dazu nicht imstande – zum Beispiel, weil sie selber aus einer „bildungsfernen“ Familie stammen – „vererben“ sie den Kindern ihr Problem.

    Es sind die Privilegierten, die gut Ausgebildeten und Intelligenten, die Leute mit Einfluss, Beziehungen und Geld, die hierzulande die Entscheidungen treffen. Sie entscheiden nicht nur über die Höhe der Fördermittel, sondern auch über die Art und Weise ihrer Bereitstellung. Und diese Leute sind ganz offensichtlich entweder zu dumm und/oder nicht Willens, sich die Bedürfnisse ihrer Klientel auch nur ansatzweise vorzustellen.

    Vermutlich kommt das daher, dass auch die sogenannte „Herzensbildung“ eine Art Bildung ist, die man erst mal erhalten haben muss, bevor sie jemandem was nutzen kann. Und wo seit 180 Jahren keine Empathie gewachsen ist, ist es halt sehr schwer, welche zu lernen. Da wird sich einfach nur sehr selten was aufwärts bewegen...