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Bildung und KlasseQual der Lücke

Selbstbewusst zu Bildungslücken zu stehen mag klassismuskritisch gesehen progressiv sein. Das Problem dabei ist, dass Wissen unglaublich toll ist.

Der Barbier von Sevilla gehört bei den Universalinformierten zum Bildungskanon Foto: Photoshot/picture alliance

Z ahnlücken sind cool und sexy. Dafür stehen die französische Schauspielerin Brigitte Bardot und der Werder-Stürmer Niclas Füllkrug. Auch Bildungslücken können das sein. Zumindest gehört das Wort Klassismus mittlerweile fest zum Repertoire des aufgeklärten linksakademischen Milieus – und seine Mitglieder besinnen sich immer mehr auf das berühmte „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ des großen Philosophen Sokrates. Zu Recht.

Denn wir Arbeiterkinder haben eben nicht schon mit 12 Jahren Goethe, Hesse und Kafka gelesen. Mit klassischer Musik und mit bildender Kunst braucht ihr uns gar nicht zu kommen. Dafür haben unsere Leute HipHop groß gemacht. Wir kennen den literarischen Kanon nicht so gut. Dafür können wir oft mehr als eine Sprache. Wir haben beim Abendbrot nicht mit unseren Eltern über das Weltgeschehen diskutiert. Aber wir haben gelernt, uns auch zu behaupten, wenn es hart auf hart kommt. Unser Wissen im klassischen Sinne ist im Vergleich zu Gleichaltrigen aus anderen Elternhäusern beschränkt, aber mit den Worten des großen Rappers Kool Savas gefragt: Wo ist jetzt der Diss?

Es wäre schön, wenn sich das Problem mit diesem alten Trick der Aneignung und positiven Umdeutung einer negativen Zuschreibung, hier Unwissenheit, erledigt hätte. Aber so einfach ist es nicht. Weil es natürlich toll ist, Dinge zu wissen.

Denn Wissen ist sinnstiftend, erfüllend, ermächtigend. Wer Wissen hat, kann es mit anderen teilen. Wer was weiß, hat etwas zu erzählen. Wer nichts Neues lernt, erzählt immer das Gleiche. Deswegen will ich heute alles wissen und kann in meiner kompensatorischen Wissbegierde manchmal Wissenswertes von Wissensunwertem nicht unterscheiden. Aber ich möchte halt gut vorbereitet sein. Schließlich lauert überall potenzielle Konfrontation mit der eigenen Bildungslücke. Deshalb gilt für Wissen dasselbe wie für Essen: lieber zu viel als zu wenig!

Alles lesen, alles merken

Zum Beispiel mache ich gerade einen Sprachkurs an der Volkshochschule. Als bei einer der Übungen der „Barbier von Sevilla“ auftaucht, irritiert es mich, dass wir ausgerechnet in einem Italienischkurs über Friseure in Spanien reden – bis mich meine Sitznachbarin halb entsetzt, halb besorgt aufklärt, dass es sich hierbei um eine Oper von Gioachino Rossini handelt. „Figaro! Figaro!“ werde da gesungen, das kenne man doch! Ja, ich hab das auch schon mal gehört, aber halt mit Autotune beim Wiener Cloudrapper Yung Hurn.

Heute, wo ich fast zu den Universalinformierten des Bildungsbürgertums aufgeschlossen habe, quäle ich deshalb unfreiwillig Freunde, die mit mir in ein Museum gehen. Während sie sich die Ausstellung so anschauen wie das normale Menschen eben tun, laufe ich durch mit dem Anspruch, alles zu lesen und mir alles zu merken.

Deshalb stehe ich auch mal länger vor einer Informationstafel oder laufe zurück, wenn der Text doch noch nicht ganz sitzt. Aus geplanten zwei oder drei Stunden Museum wird ein ganzer Tag – wenn ein Tag überhaupt reicht und ich am nächsten Tag nicht wiederkommen muss.

Wenn man Bücher mit anderen Menschen lesen würde, dann hätte ich heute vielleicht keine Freunde mehr, weil ich sehr gerne zurückblättere, wenn ich mich an ein Detail nicht mehr erinnere. Gemeinsames Netflixen käme meinem sozialen Tod gleich. Fußball schaue ich aber sehr gerne mit anderen. Zum Glück kann man weder im Stadion noch bei Liveübertragungen zurückspulen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

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Volkan Agar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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4 Kommentare

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  • Ok Ok - nochens

    Dess. Wider die Einengungen der Klasse



    Sicher “Wissen ist Macht.“



    Wilhelm Liebknecht griff Francis Bacons auf:„Wissen ist Macht – Macht ist Wissen“ - populär in der Arbeiterbewegung als & solange sie noch ein Bewegung war! Woll



    de.wikipedia.org/wiki/Wissen_ist_Macht

    But. “Qual der Lücke“?? Nö! Ab in die Tonne! MUT ZUR LÜCKE • That’s it.



    Jedenfalls im Alltag sinse alle - ob mit oder ohne Durchblickerbrille - ob Lehrer Journaillisten Medienhengste - in Wahrheit der eine mehr der andere was weniger - lausige Pointilisten - Wissenslücken wohin du schaust! Gelle •



    Wie auch anders? Ollen Erwin Chargaff hat das mal so in etwa formuliert: das Wissensgebirge hat unbekanntes Ausmaß & wächst dazu vermutlich noch permanent. Wir haben bisher einige wenige Splitter angekratzt und schließen tollkühn auf das Ganze!



    Und das verschlägt solange nicht - wie sich nicht über gesellschaftlichen Druck&Orgs unlegitimiert Übermacht installiert! Woll. - 🙀🥳😡 -



    Mal Pointilismus & Mut zur Lücke: taz-Kongress & was zu Reformpädagogik. Herrliche Diskussion & ☕️ ☕️-Pause:



    “Und wo praktizieren Sie in unserem Bereich?“ Reinhard Kahl.



    “Ich? Um Gottes Willen. Nein. Mach doch nicht mein Hobby zum Beruf. Ich bin ein lausiger Pointilist!“



    Und wieso wissen Sie so viel darüber?“



    “Weil‘s mich interessiert!“ Get it? Fein.



    Anders aber a professione! Aber Hallo.



    zB biste als Richter - insbesondere als Verwaltungsrichter gern mit UmweltR ImmissionsSchutzR Planfeststellungen etc - qua Recht&Gesetz verpflichtet - die Tatsachenseite - einschließlich der wissenschaftlichen -aufzuklären und! nicht verifizierbares kenntlich zu machen. Wie das geht mußte dir draufschaffen - wissenschaftlichen Sachstand & Sachverstand dir gutachtlich versichern! Woll



    (Immer gern & jederzeit wieder;)



    & John Lennon - aus der! Klassengesellschaft Europas bis heute!



    Hat et al. - kluges nach vorn weisendes in Wort&Ton gefaßt



    🎶Working Class Hero🎶



    www.youtube.com/wa...6c&pp=ygUed29ya2lu

  • Geschätzter Volkan Agar. Danke & Gemach Gemach.



    “Wieso muß ich denn wissen - wo der Niger liegt.



    Das kann ich doch googeln!“ lässig meine große Enkelin zu ihrer Mutter!“



    & Däh - mittags zu Tisch unter Richtern —



    “Na sicher. Sie wissen schon. Das ist doch von …(selbst einsetzen;)!“



    “Nö. Aber kennen Sie das dazu! Nich? Ich erklär‘s!“

    Sie merkens sicherlich: Ein Kanoniker & ein lausiger Pointilist!



    Dieses gut zehn Jahre gepflegte Stereotyp erklomm ein Niveau.



    Daß selbst gut belesene ehemalige Kammermitglieder meinten:



    “Da fliegen teilweise die Brocken - wagste ja gar nicht sich dazuzusetzen!“



    (Was ich albern fand!)



    & Wissen is ja ok & nützlich! But.



    Interesse & Zusammenhänge bilden - anreichern usw



    („Erkenntnis und Interesse“ - Jürgen Habermas;)



    Das erst - macht Bildung aus & fett - 🙀🥳 •



    Und da - bewundere ich meinen gelegentlichen Sidekick! Woll



    Kein Buch in der Familie & er blättert hier immer passend!



    Und eben nicht nur den deutschen Bildungskanon gekonnt runter!



    Wie anders icke - wa. Die BücherReste von zwei Privatgelehrten - dabei Kosmos-Hefte ab Band 1. Herrlich. Das wunderbare Meyers Konservenlexikon & a lot of! But.



    Entscheidend - remember Zusammenhänge - die hochkarätig besetzten Tischrunden:



    Heldentenor HH-Staatsoper - Koofmichs - die die Welt gesehen - die Sprachen sprachen - Procurator von Mitteldeutschland (mit dem ins Museum aber Hallo!;)



    Und Eltern - denen du mit jedem Scheiß kommen konntest!



    (Zum Studium “Jung - da kann ich dir nix zu sagen! Ich hab nicht studiert!;)

    kurz - mehr Bildung konnteste gar nicht saufen!



    (Lehrer?! - eher meist peinlich.



    & Zusammenhänge nochens =>



    Ab 14/15 - bis ins Studium - Montag Spiegeltag -



    Donnerstag - ZEIT - Tag. => Gitterwerk



    (Bekanntlich sind 90% im Spiegel gut abgehangene Informationen!;)

    Anyway. So - nahm das Unglück seinen Lauf!;))

    Na Mahlzeit - soll als Skizze mal reichen! Gelle

  • "Ja, ich hab das auch schon mal gehört, aber halt mit Autotune beim Wiener Cloudrapper Yung Hurn."

    DANKE.

    Ich fuhr mal eines schönen Sommertags nach Oldenburg, mit einem Kommilitonen, der sehr auf Klassik stand. Er ließ das "Largo al factotum" auf Anschlag aus den Lautsprechern dröhnen, ich hatte den Ellbogen aus dem Beifahrerfenster hängen, alles war easy und entspannt.

    Wir schauten uns an und sagten spontan:

    "Shit, Alder. Das ist *Rap*."



    "Yeah. Das ist eindeutig Rap, Mann."

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Ajuga:

      Bravo Bravissimo!