Bildband über HSV-Legende Uwe Seeler: Uns Uwe und vieles mehr
Der Fotoband über den herausragenden Hamburger Fußballer Uwe Seeler ist zugleich eine formidable Chronik Nachnazideutschlands.

Möglicherweise erschließt sich nicht allen Besuchern von Heimspielen des HSV, warum so viele besonders warm applaudieren, wenn der HSV-Kaderangehörige Levin Öztunali eingewechselt wird. Mit diesem Spieler verbindet sich jedoch immer auch der Name „Uwe Seeler“, denn Öztunali ist der über alles geliebte Enkel des im vorigen Jahr verstorbenen Fußballhelden aus Hamburg.
In der gewissen Liebe zum 27-Jährigen verbirgt sich immer auch die mehr oder weniger stille Ultraverehrung zu Seeler, „Uns Uwe“ genannt. „Uns“ als Beifügung zum Namen des Stürmers des HSV verdankt sich natürlich einer Erfindung von Hamburger Boulevardmedien, weil Seeler völlig zurecht als seine wichtigste Lebensleistung einmal bezeichnete, „immer normal“ geblieben zu sein. Aber das „Uns“ ist insofern immer auch wahrhaftig.
Immer beim HSV unter Vertrag, nie seine Wurzeln im Arbeitersport verleugnend und stets darauf bedacht, keine Capricen oder Allüren zu kultivieren, was er sich allerdings nicht vornehmen musste, denn er war einfach charakterlich unbegabt, seinen Sport nach Marketinggesichtspunkten auszurichten.
Seeler, der nie Weltmeister wurde, 1966 mit seinem Team im Wembleystadion der gastgebenden Mannschaft unterlag und 1974 beim WM-Turnier in der Bundesrepublik nicht mehr im Nationalteam spielte, war immer populärer als singuläre Figur wie alle weltmeisterlichen Spieler: weil er wie kein anderer seines Berufs verehrt wurde – weil er so wirkte (und Fußball spielte), als sei er kein Abgehobener, kein Arroganzling, kein, was bei ihm für ein Missverständnis, Star.
Aufnahmen in sozialen Rahmungen
Gut ein Jahr nach seinem Tod ist der prächtiger kaum zu denkenden Bildband mit, so auch der Untertitel, „ikonischen Bildern“ Uwe Seelers erschienen. Der schmucke Band ist allerdings viel mehr als ein aufgeföntes Stück Bilderbuch zu einem weit über Norderstedt (Städtchen bei Hamburg in dessen Speckgürtel) hinaus legendären Fußballspielers.
Die Fotos, überwiegend vom in der Nachkriegszeit berühmten Fotografen Otto Metelmann, arrangiert mit eigenen Aufnahmen von dessen Sohn Thomas, geschossen, zeigen nicht allein einen Sportler in der Rolle des kämpfenden und erfolgsgierigen Künstlers, sondern sie sind zugleich auch eine Chronik des Nachnazideutschlands, des bundesdeutschen „Wirtschaftswunders“, der ökonomischen Aufstiegsversprechen (die im Proletariat besonders intensiv verstanden wurde, Uwe Seeler wusste was davon) und der kriegsversehrten Orte (und Stadien).
Man sieht Menschen, die nicht, wie heutzutage, makellose Zahnreihen aufweisen, die nicht vor Interviews abgepudert wurden und sich selbst als singuläre Existenzen inszenieren. Ähnlich wie die Fotografien Josef Darchingers knipste Otto Metelmann selten das Antlitz, die Körperlichkeit Seelers allein, er setzt ihn in soziale Rahmungen, ohne dass die Aufnahmen stilisiert wirken.
Die Vermutung liegt nicht so fern, dass dieses Fotobuch bestens geeignet ist, aus der Perspektive heutiger Fußballinteressierter, besonders Kinder, mit den Mythen bundesdeutscher Friedlichkeit und also „Normalisierung“ (auf europäisches Maß) vertraut zu machen. Uwe Seeler war der letzte Spieler des HSV, quasi vor der Professionalisierung aller Aspekte im Fußball schlechthin, der seinen Verein, von 1946 bis 2022, nie verließ.
Man traut sich kaum, diese kitschigen Attribute mit ihm in Verbindung zu bringen, aber er war: leutselig, authentisch und bodenständig. Seine Fans liebten all dies mehr als den allerletzten sportlichen Erfolg. Das zeigt dieses Fotobuch, nicht mehr, nicht weniger.
Otto und Thomas Metelmann: Uwe Seeler. Ikonische Bilder eines Idols. 256 Seiten, 160 Fotos, Verlag Die Werkstatt, Bielefeld 2023, 68 Euro.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade