Bildband „Copines“: Spuren und Schriften
Der Künstler Rolle hat einen Bildband mit Aufnahmen aus Romavierteln in Europa veröffentlicht. Sein Ansatz ist eher ethnologisch als fotografisch.
Rolle nimmt die Welt auf. Ihre Bilder und ihre Geräusche. Deshalb ist es schade, dass ein Bildband nur die Fotografien, aber nicht die Musik enthalten kann, die der Kasseler Künstler in Sofia und in Perpignan aufgezeichnet hat. Dass er sich hier fotografisch festbeißen würde, war letztlich Zufall. Zwar war Sofia zu erkunden ein Plan gewesen, von dem Romaviertel Fakulteta, das er später fotografieren sollte, wusste er aber noch nichts.
Nach Perpignan brachte ihn der Besuch bei einem Freund. So entdeckte er das Viertel Saint-Jacques und die ungewöhnlichen Graffiti, die dort die Wände der heruntergekommen Häuser zieren, nämlich Namenslisten. Nach einer dieser Listen hat Role auch seinen ersten Bildband genannt: „Copines“.
Schlägt man diesen auf, schaut man aber erst einmal auf das Panorama einer typisch osteuropäischen Plattenbausiedlung. Das Bild zeigt den westlichen Stadtrand von Sofia, wo das Stadtviertel Fakulteta liegt. Mit bis zu 45.000 Einwohnern ist es die größte Niederlassung von Roma in Südosteuropas. Hier entstanden die Straßenszenen und Porträts seiner Bewohner, die Rolle beim Wasserholen beobachtete oder beim Gewichtheben im Gym.
Sie standen auch ganz klassisch Porträt für ihn, als stolzes Paar, als einzelner Mann im Trainingsanzug, der schüchtern lächelt, oder als der kleine Junge, der sehr ernsthaft in die Kamera schaut und dabei das Foto eines Babys an seine Brust drückt – man darf vermuten, dass er selbst darauf zu sehen ist. Meine Existenz ist dokumentiert, schon als Baby, scheint die Geste und die Ernsthaftigkeit seines Gesichtsausdrucks bedeuten zu wollen.
Die Faszination der Zeichen an der Wand
Mit ihren Namen dokumentiert haben sich Kinder und Jugendliche an den Hauswänden ihres Viertels Saint-Jacques und dabei haben sie eine ganz eigene Art des Graffitischreibens entwickelt: die Auflistung. Statt des eigenen Tags oder üblicher Botschaften wie Fritz liebt Marie sind an den bröckelnden Wänden Namen aufgelistet.
Mutmaßlich werden hier Freundschaften, vielleicht auch Gangzugehörigkeiten samt dem Jahr, in dem sie zustande kamen, festgehalten. Aber das ist nur eine Vermutung. Letztlich geht es um die ästhetische Faszination dieser Zeichen an der Wand, die in ihrer Schlichtheit leicht übersehen werden, zumal sie von anderen Tags und Sprayerfiguren umgeben und überschrieben sind.
Rolle: „Copines“. Golden Press, Bremen 2018, 128 Seiten, 35 Euro
Dieser zweite Teil des Buches ist der spannendere. Zunächst antwortet das eher kontrastarme Schwarz-Weiß, das für Rolles Aufnahmen charakteristisch ist, in seinen Grauabstufungen adäquat auf all die diffizilen Überlagerungen der Spuren und Schriften an der Wand. Und dann verwirklicht sich Rolles Vorgehensweise in diesen Straßenstillleben noch in anderer Weise.
Wie Fakulteta ist auch Saint-Jacques ein Romaviertel, freilich sind seine Bewohner spanischer Herkunft. Rolle, der 1983 in Kassel geboren wurde und dort noch immer lebt (sein bürgerlicher Name bleibt unerwähnt), nähert sich fotografisch also einer ihm völlig fremden Gemeinschaft von Menschen an. Was bringt ihn dazu?
Recht besehen der Zufall und eine starke Faszination. Sofia wie Perpignan bedeutet, in der Fremde zu sein. Was legitimiert diese Annäherung? Der Fotograf Gunter Rambow, der das Vorwort schreibt, nennt Rolles Aufnahmen „soziale Fotografie“. Rolle selbst ist sich da nicht sicher, wie in einem Interview im Buch deutlich wird. Zu Recht.
Rolle macht Aufnahmen von der Welt. Ton- und Bildaufnahmen. Diese Kombination ist ein starkes Indiz dafür, dass Rolles Ansatz eher ein ethnologischer ist als ein fotografischer. Er sieht denn selbst in „Copines“ eine „Art Fototagebuch“. Das Vorläufige der Tagebuchaufzeichnung während einer Feldforschung fällt bei den Mauerbildern nicht weiter ins Gewicht – man kann warten, was weitere Recherchen zu ihrer Bedeutung erbringen.
Für die Aufnahmen aus Fakulteta gilt das nicht. Veröffentlicht werden die Szenen des sozialen Lebens und Porträts endgültig, und damit steht unweigerlich die Frage im Raum, worin begründet sich ihre Notwendigkeit? Warum kommen sie von außen, warum entstehen sie nicht in der Gemeinschaft? Statt Aufzeichnung scheinen sie Dokument, womöglich rein ästhetisches Ereignis zu sein, womit sie Rolles Anliegen delegitimierten. Es ist also mehr als bedauerlich, dass ein Fotobuch nur Bilder und keine Töne enthält. Das brauchte es, um Rolles Zugriff auf die Welt adäquat zu vermitteln.
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