Bilanz Mai-Demonstration in Berlin: Rekordverdächtige Randerscheinung
Am 1. Mai war die linksradikale Demonstration in Berlin so groß und friedlich wie nie. Doch die großen Themen gingen im ganzen Gedrängel unter.
BERLIN taz | Am Ende ist sie ganz einfach verschwunden. Gerade waren die – laut Polizei 18.000, laut Veranstalter 33.000 – Teilnehmer der Revolutionären Mai-Demonstration durch kleine Straßen in Berlin-Kreuzberg gezogen. Doch kaum erreichte der an diesem 1. Mai bundesweit größte aller Aufmärsche den legendären Lausitzer Platz, an dem 1987 eine stundenlange Straßenschlacht die gewaltige Tradition der Kreuzberger Mai-Festspiele eingeleitet hatte, da war auch schon alles vorbei.
Es gab keine Abschlussreden, keine Parolen, aber auch keine nennenswerte Randale. Hier und da knallten ein paar Böller, an eine Ecke gab es Rangeleien mit der Polizei, das war alles. Die Masse der Demonstranten diffundierte schlichtweg in die noch viel größere Menge, die rundherum das vom Bezirk veranstaltete MyFest feierte und die auch die umliegenden Straßen des Kiezes in ein Volksfestareal mit Loveparadecharakter verwandelt hatte.
„Das war zahlenmäßig der friedlichste 1. Mai, den es seit 1987 gegeben hat“, sagte Innensenator Frank Henkel (CDU) am Samstag. 39 Polizisten wurden verletzt, 2009 waren es fast 500.
Die seit Jahren wachsende „revolutionäre“ Demonstration hingegen erreichte wieder eine rekordverdächtige Größe. Im Vorjahr waren erstmals 20.000 gekommen, diesmal dürften es in etwa genauso viele gewesen sein. Der Aufzug glich ein wenig einer Messe für linke und linksradikale Politikansätze. Hier wurde für den in der Türkei inhaftierten PKK-Führer Öcalan demonstriert, dort die Solidarität aller linken Gruppierungen mit den Palästinensern „bei ihrem antikolonialen Kampf“ eingefordert.
Trotzkisten schwärmten von der letzten zu gewinnenden Schlacht in Berlin, Athen und Kobani. Eine Gruppe mit grünen Haarnetzen warnte vor der Seuche des Kapitalismus, andere vor TTIP. Aber auch die Initiative für einen Berliner Mietenvolksentscheid, die eine sozialere Wohnungspolitik durchsetzen will, lief mit. Und eine kleine Gruppe von Syrern protestierte gegen Assad und IS gleichermaßen. Von einem Hausdach an der Strecke wurde ein großes Transparent mit der Aufschrift „Beamtenbeleidigung“ herabgelassen.
Nur die Flüchtlingspolitik, das große, aktuelle Thema linker Aktivisten, war kaum präsent in dem Demozug, an dessen Spitze anders als in den Vorjahren ein Lautsprecherwagen extrem orthodoxe Parolen verkündete. Aber die hat kaum jemand mitbekommen in dem ganzen Gedrängel.
Was am diesjährigen Tag der Arbeit in Berlin und in der Welt passierte, können Sie in unserem 1.-Mai-Ticker nachlesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge