Big Brother Awards in Bielefeld: Große Brüder ausgezeichnet
Datenschützer vergeben sechs Preise für Überwachung. Die Bundesregierung kommt schlecht weg. Einen Positivpreis gibt es auch.
BERLIN taz | Auf diesen Preis würden die Preisträger wohl gerne verzichten. Datenschutzaktivisten und Bürgerrechtsorganisationen vergeben am Freitagabend den Big Brother Award für besonders perfide Formen von Überwachung und Datenklau. Eine Jury mit Vertretern von Digitalcourage, dem Chaos Computer Club, der Internationalen Liga für Menschenrechte und der //www.datenschutzverein.de/:Deutschen Vereinigung für Datenschutz verleiht in Bielefeld die Preise in sechs Kategorien.
Den Big Brother Award Politik erhält das Bundeskanzleramt. Die Jury tadelt in ihrer Begründung die „geheimdienstlichen Verstrickungen“ sowie „unterlassene Schutzmaßnahmen“ der alten und neuen Bundesregierung im Zusammenhang mit der Überwachung durch den amerikanischen Geheimdienst NSA.
Die deutschen Regierungsverantwortlichen hätten „mit Massenausforschung und Digitalspionage verbundene Straftaten und Bürgerrechtsverstöße nicht abgewehrt“ und ihre Bürger nicht ausreichend geschützt, sagt Laudator Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.
In direkter Beziehung zur Bundesregierung steht auch der Preisträger in der Kategorie Wirtschaft, die amerikanische Firma Computer Sciences Corporation (CSC) mit Ableger in Wiesbaden. Die CSC sei als die „outgesourcte EDV-Abteilung der amerikanischen Geheimdienste CIA und NSA“ zu betrachten, heißt es in der Beurteilung der Preisverleiher.
Für Aufträge in Deutschland soll das Unternehmen seit der Wiedervereinigung offenbar rund 180 Millionen Euro erhalten haben. Den Datenschützern zufolge ging es dabei unter anderem um Projekte zur sicheren Kommunikation von Behörden oder um das bundesweite Waffenregister. CSC soll zudem mit der Organisation von Flügen für CIA-Entführungen betraut gewesen sein. Eigentlich sei auch in diesem Fall die Bundesregierung zu kritisieren, sagt Rena Tangens von Digitalcourage. Mit dem Preis wollen die Veranstalter die Firma nun aus der „organisierten Verantwortungslosigkeit“ herausholen.
Unverständnis für den Preis
Bei der CSC stößt die Verleihung des Big Brother Awards hingegen auf Unverständnis. In Wiesbaden verweist man auf ein Statement der Bundesregierung vom 22. Januar. Dort hatte die Regierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion geantwortet, man sehe „keine Anhaltspunkte“ für Verstöße von CSC gegen „Sicherheits- oder Vertraulichkeitsauflagen“. Das Unternehmen betont zudem, man halte sich „jederzeit an die Gesetze der Länder, in denen wir tätig sind“ und hoffe auf einen „konstruktiven Diskurs, wie Sicherheit in unserer digital-vernetzten Welt bereitgestellt“ werden könne.
Auch das Reiseunternehmen MeinFernbus ist seit Freitagabend Träger des Big Brother Awards in der Kategorie Verkehr. Durch eine Ausweispflicht bei Online-Buchungen hätte das Unternehmen anonyme Busfahrten praktisch unmöglich gemacht, begründet Laudator Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft in Frankfurt, die Entscheidung der Jury. Das Unternehmen hält die Vorwürfe für eine unzutreffende „Fehleinschätzung“.
Weitere Awards gehen an die RWE AG, LG-Electronics und verschiedene „Auto-Spione“, allesamt für ihren zweifelhaften Umgang mit Kunden- und Mitarbeiterdaten. Die Unternehmen waren am Freitag nicht erreichbar oder nicht zu einer Stellungnahme bereit. Lediglich die RWE AG betonte, fragwürdige Aufzeichnungen in den Call-Centern dienten „ausschließlich der Qualitätskontrolle“ und unterlägen „klaren Regeln“.
Eine Million Aufkleber
Zum ersten Mal vergeben die Veranstalter in diesem Jahr auch einen Positivpreis. Der Julia und Winston Award, benannt nach den Widerständlern in George Orwell's Roman „1984“, geht an Edward Snowden. Seine Enthüllungen hätten eine Diskussion über das Verhältnis von Rechtsstaat und Geheimdiensten in Gang gesetzt. Dotiert ist der Preis mit einer Million Aufkleber. Sie tragen das Konterfei Snowdens und sollen nun bundesweit kostenlos verteilt werden.
Viel Zeit zum Feiern gönnen sich die Veranstalter des Big Brother Awards nicht. Für den Samstag haben die Datenschützer und Bürgerrechtler in Köln eine Demonstration gegen Massenüberwachung angekündigt.
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