Bibliothekare in der Zwickmühle: Rechte drängen ins Regal
Die öffentlichen Bibliotheken haben ein Problem: Wie sollen sie mit der wachsenden Zahl von rechten Büchern umgehen?
Bibliotheken gehören zu den wichtigsten Bildungseinrichtungen. In der Präambel zum Bibliotheksgesetz von Schleswig-Holstein, das seit 2016 in Kraft ist, heißt es: „Die Bibliotheken sind für alle Menschen frei zugänglich und gewährleisten damit das Grundrecht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu können.“ Das gilt auch, wenn das Geld für neue Bücher nicht reicht – Bibliotheken agieren im Kernbereich der Aufklärung.
Doch was, wenn diese selbst in Gefahr gerät? Rechtextreme Ressentiments sind eben nicht bloß eine Meinung. Sie sind ein gesellschaftlicher Gegenentwurf zu einer plural-liberalen Gesellschaft. Ideologie, das wissen wir, kann tödlich sein.
Lesen hilft, wird angenommen. Hätten mehr Leute Hitlers „Mein Kampf“ gelesen, so wird manchmal argumentiert, wären sie nicht auf ihn hereingefallen. Doch wie viel mehr Menschen hätten ihn lesen sollen? Bis 1933 wurden fast 250.000 der Bücher verkauft, die Auflage stieg bis 1944 auf über zwölf Millionen gedruckte Exemplare.
Aufklärung nicht garantiert
Auch heute können völkisch-nationalistischen Publikationen die Leserschaft begeistern, sie vielleicht sogar erst für diese Positionen gewinnen. Grundsätzlich kann man sich nicht darauf verlassen, dass der Zugang zu Informationen eine aufklärerische Wirkung hat. Die Alliierten haben das so gesehen: Unter dem Eindruck der Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus, die sie gerade erst mit beendet hatte, gab etwa die Militärregierung 1946 in Bremen den Befehl, aus die NS-Literatur aus den Bibliotheken zu entfernen.
In der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen finden sich heute noch die Karteikarten mit den damaligen Stempeln: „verboten“ – die eine Ausleihe verhinderten. Die alte Ausgabe von „Mein Kampf“ steht heute in der wissenschaftlichen Bibliothek der Uni fürs Quellenstudium im Magazin – und ist nur einzusehen und nicht auszuleihen, anders als die editierte kritische Ausgabe von 2016.
In öffentlichen (Stadtteil-)Bibliotheken sind Werke von Nationalsozialisten fürs Quellenstudium meistens ohnehin nicht im Bestand. Die Frage, welche Grenzen der Diskurs womöglich hat, muss aber auch hier täglich gestellt werden: Mit dem Aufwind rechter Kräfte steigen sowohl Angebot wie Nachfrage nach entsprechender Literatur und Medien. Werke, die nicht als volksverhetzend eingestuft und dennoch manipulative Propaganda sind – nicht an Fakten orientiert, sondern an Stimmungsmache.
Einfallstor Bestsellerliste
Weil es Bücher voller Hetze heute in die Bestsellerlisten schaffen, landen sie über Daueraufträge auch automatisch in den Bibliotheken, die dann damit umgehen müssen: Thilo Sarrazin wäre so ein Kandidat. Einer der führenden Neuen Rechten, der Verleger Götz Kubitschek, meinte: Sarrazin sei ein „Rammbock“ gewesen: „Das war eine Resonanzbodenerweiterung für uns, Begriffe wurden ventiliert, die wir seit Jahren zuspitzen, aber nicht im Mindesten so durchstrecken können, wie Sarrazin das konnte.“ 2010 verlegte die Deutsche Verlags-Anstalt Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“, Vorabdrucke erschienen im Spiegel und in Bild.
Und was ist von einem Zitat wie dem folgenden zu halten? „Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘ herumkommen.“ Der Autor ist Björn Höcke, der an anderer Stelle schreibt: „Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen“, so würden „am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein“.
Da ist die Frage: Kommt man hier mit einer offenen Debatte noch weiter?
Manche Bibliotheken schicken unsachliche Werke zurück und meiden rechte Medien, andere schaffen sie extra an. Manche geben Hinweise auf kritische Rezensionen oder legen Faktenprüfungen bei. Manche flankieren diese Schriften mit seriöseren Werken, andere veranstalten Podiumsdiskussionen.
Es gibt aber auch Bibliotheken, die klare Grenzen ziehen, denen bestimmte Bücher nicht in die Regale kommen. Auch das ist im Sinne eines demokratischen Diskurses.
Mehr zur Diskussion um rechte Literatur in den Bibliotheken erfahren sie in der gedruckten taz am Wochenende oder hier.
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