Beziehungen Deutschland-USA: Ein Freund, ein guter Freund
Die USA waren immer der engste Partner der Bundesrepublik. Zwei Jahre nach der Wahl Donald Trumps ist alles anders – oder?
Schwartz, 28 Jahre alt, hat in Harvard studiert und in New York für ein Literaturmagazin gearbeitet. Sie kam mit einem Stipendium nach Berlin, um über europäische Politik zu schreiben. Mit dem Blick von außen machte sie sich auf die Suche nach dem deutschen Transatlantizismus – und tauchte ein in eine Welt, die ständig um das Verhältnis zwischen Europa und den USA kreist.
Es ist eine Welt, in der politische Stiftungen wöchentlich Newsletter mit „transatlantischen Must-Reads“ verschicken und sich Politiker, Diplomaten und Journalisten immer wieder bei den gleichen Konferenzen und Hintergrundrunden treffen. Bei Veranstaltungen des German Marshall Fund, der Atlantik-Brücke, der Deutschen Atlantischen Gesellschaft oder der American Academy.
Konkrete Entscheidungen werden dort nicht getroffen, aber es passiert etwas, das mindestens genau so wichtig ist: Die Transatlantiker prägen die Art und Weise, wie das politische Berlin auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen blickt.
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All diese Veranstaltungen, erzählt Schwartz, durchzieht ein düsterer Ton. „Wenn es um Außenpolitik geht, ist das zentrale Thema in Berlin die Krise des transatlantischen Verhältnisses.“
Linke wie Rechte, Grüne wie Liberale
Für viele Politiker, Diplomaten und Politikjournalisten war es jahrzehntelang selbstverständlich, Transatlantiker zu sein. Die Vorstellung, dass Europas Sicherheit und Wohlstand auf einem engen Bündnis mit den USA beruhen, hat ihre Wurzeln in der Nachkriegszeit und dem Marshallplan. Sie überdauerte den Kalten Krieg und heftige Zerwürfnisse, etwa als 2003 Deutschland und Frankreich Georg W. Bush nicht in den Irakkrieg folgen wollten. Grundsätzlich in Frage gestellt wurde sie aber nicht.
Auch wenn Linke in Deutschland oft eine Fixierung auf die Nato und das Militär kritisieren, finden sich Transatlantiker doch im gesamten politischen Spektrum. Es gibt linke genauso wie rechte, grüne oder liberale.
Seit der Wahl Donald Trumps sitzt der größte Kritiker der transatlantischen Zusammenarbeit aber im Weißen Haus. In seinem America-First-Denken ist jede internationale Kooperation nur ein Versuch, die USA über den Tisch zu ziehen. Das Pariser Klimaabkommen, der Iran-Deal, jetzt womöglich der INF-Vertrag, der atomare Mittelstreckenraketen verbietet – nach und nach kündigt er all die mühsam ausgehandelten Verträge, beginnt Handelskriege und drängt Nato-Partner zu mehr Militärausgaben.
An dieser Politik wird der Ausgang der Midterms nichts ändern. Das gemischte Ergebnis können beide Seiten als Erfolg darstellen, weshalb sich Trump danach sofort als Sieger feierte und weiter auf Konfrontation setzt. Die Außenpolitik ist sowieso Sache des Präsidenten, für die er keine Mehrheit im Repräsentantenhaus braucht.
Keine spezifisch amerikanische Malaise
Für deutsche Transatlantiker geriet mit der Wahl Trumps alles ins Wanken, was bisher als unumstößlich galt. Ratlos standen sie vor einem Amerika, das auf einmal in großen Teilen fremd und feindlich wirkte. In der Folge klang vorsichtige Selbstkritik an. Zu elitär und homogen seien die eigenen Kreise, weshalb man die Anti-Establishment-Stimmung nicht erkannt habe. Was ist nach zwei Jahren Trump-Präsidentschaft übrig vom transatlantischen Denken? Und wie soll es weitergehen?
Thomas Kleine-Brockhoff stellt sich in seinem Job diese Fragen jeden Tag. Er leitet das Berliner Büro des German Marshall Fund, einer Stiftung, die seit 1972 die Erinnerung an den Marshallplan wachhält. Sie organisiert Gesprächsrunden, Konferenzen und fördert Nachwuchspolitiker. Cem Özdemir und Niels Annen, heute Staatsminister im Auswärtigen Amt, waren als Transatlantic Fellows so eine Weile in den USA.
Thomas Kleine-Brockhoff,Büroleiter des German Marshall Fund
Kleine-Brockhoff bittet in sein Büro am Potsdamer Platz. Im Regal steht ein Foto von Henry Kissinger und ihm, durch die Fenster geht der Blick die Straße hinunter auf den Reichstag, man fühlt sich hier nahe der Macht.
Also, wie hat Trump das transatlantische Denken verändert? Es gebe einen grundsätzlichen Irrtum, der ihm oft begegne, sagt Kleine-Brockhoff: „Was wir sehen, ist keine spezifisch amerikanische Malaise. Trump ist das Symptom eines Risses, der durch die US-Gesellschaft genauso wie durch die europäischen verläuft.“ Dieser Riss trenne Globalisten und Nationalisten, Trumper und Never-Trumper in den USA, Orbanisten und Never-Orbanisten in Europa.
Nicht alle fremdeln mit Trump
Deshalb sei es ein Fehler, die Beziehungen nun als eine Konfrontation zwischen Europa und den USA zu verstehen: „Entweder man setzt sich aufs hohe Ross und sagt: Die verlassen uns und verabschieden sich von der liberalen Weltordnung. Oder man sucht hier wie dort nach Verbündeten.“
Es ist ein Gedanke, den man häufig in Gesprächen mit Transatlantikern hört. Der Hinweis, dass internationale Beziehungen nicht nur aus Kontakten zwischen Regierungsmitgliedern bestehen, dass die Zivilgesellschaft wichtiger denn je sei, und man beachten müsse, was alles abseits des Weißen Hauses passiere. „Trump trifft bei Menschenrechtsverletzungen auf eine voll ausgebildete, 250 Jahre alte Demokratie“, sagt Kleine-Brockhoff. Als Beispiel nennt er die Trennung von Migranten und ihren Kindern an der Grenze, die der Präsident nach heftigen Protesten aussetzte.
Aber nicht alle in Berlin fremdeln mit Trump, es gibt da auch neue Nähe. Am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, lädt die US-Botschaft in Berlin traditionell zu einem Volksfest am Rand des Tempelhofer Felds ein. Mit Dixie-Band, Donuts und Lagerbier. In diesem Jahr ist es der erste größere Auftritt von Trumps neuem Botschafter Richard Grenell, der zwei Monate zuvor sein Amt antrat.
Grenell sorgte sofort für Empörung, als er kurz nach seiner Ankunft in einem Interview mit der rechten US-Website Breitbart sagte, er wolle konservative Kräfte in Europa stärken. Ein Botschafter, der sich offensiv in die Politik einmischt, das kannte man in Berlin so noch nicht. Nach heftigem Gegenwind sagte er in einem weiteren Interview: „Ich habe nicht die Absicht, mich in politische Angelegenheiten aktiv einzumischen.“
Wir haben mächtige Freunde
Auf dem Tempelhofer Feld liest Grenell, in blauem Blazer mit Einstecktuch und weißen Chucks, ein paar kurze Sätze über Patriotismus auf der Bühne vor und schneidet einen Schokoladenkuchen an. Er steigt herunter, schüttelt Hände, lächelt mit makellosen Zähnen und bleibt, von seinen Sicherheitsleuten bewacht, am Rand des Festgeländes stehen. Amerikanische Familien, Berliner Lokalprominenz, viele wollen sich dem Neuen vorstellen.
Dann kommt Jens Spahn, Gesundheitsminister, CDU-Rechtsausleger und einer der Namen, die bereits lange vor Merkels Rückzugsankündigung immer wieder für die Nachfolge der Parteichefin genannt wurden. Wie alte Schulfreunde umarmen sich Spahn und Grenell, klopfen sich auf die Schultern, posieren Arm in Arm für die Fotografin.
Es ist ein Auftritt, der beiläufig wirken soll und doch ganz auf Beachtung abzielt. Seit Grenells Amtsantritt inszeniert Spahn mit ihm öffentlich eine große Männerfreundschaft. Beide posten Fotos von gemeinsamen Abendessen und privaten Treffen mit ihren Partnern. Die Bilder sollen zeigen: Da entsteht ein neues transatlantisches Netzwerk, ein rechtskonservatives. Spahn, der sich oft kritisch bis polemisch über Migration und Muslime äußert, macht mit seiner Nähe zu Grenell Innenpolitik. Er zielt damit auf Angela Merkel, deren Politik Trump immer wieder direkt attackiert.
Einige Monate später, Anfang Oktober, bringen Spahn die guten Kontakte zu Grenell eine Einladung ins Weiße Haus ein. Eine halbe Stunde bekommt er, um mit dem nationalen Sicherheitsberater John Bolton über den Kampf gegen Epidemien und Terrorismus mit Bio-Waffen zu sprechen. Für einen Gesundheitsminister ein ungewöhnlicher Termin. „Diese transatlantischen Beziehungen sind größer als die Frage, was getwittert wird“, sagt Spahn danach.
Den neuen Zeitgeist zeigt auch ein Foto, das am Morgen nach dem 4. Juli auf Twitter kursiert. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Udo Hemmelgarn steht dort auf dem Fest lächelnd neben dem US-Botschafter. Grenell sei ein lockerer Typ, der keine Berührungsängste gegenüber seiner Partei habe, schreibt Hemmelgarn. Für die AfD ist das Bild ein symbolischer Erfolg: Seht her, wir haben mächtige Freunde, sagt es.
Liebich und die Atlantik-Brücke
Auf dem Tempelhofer Feld ist am 4. Juli auch Stefan Liebich von der Linkspartei, er macht kein Foto mit Grenell. Auf Twitter postet er stattdessen Bilder von Bernie Sanders, dem Women’s March und den Teenagern, die für schärfere Waffengesetze demonstrieren. Dazu schreibt er: „Die Vereinigten Staaten von Amerika sind mehr als Donald Trump. Alles Gute zum Independence Day!“
Liebich ist außenpolitischer Sprecher der Linkspartei. In seinem Abgeordnetenbüro hängt ein Bild von Berlin, auf dem der Fernsehturm rot blinkt und die Stadt ein bisschen wie New York wirkt. „Sie haben den einzigen Transatlantiker in der Linken gefunden“, sagt er zur Begrüßung mit ironischem Ton. Liebich hat einen Außenseiter-Status – bei den Transatlantikern und mit seinem USA-Interesse auch in der eigenen Partei. Die Linkspartei will die Nato auflösen, antiamerikanische Reflexe werden in ihr immer wieder gepflegt.
Liebich kennt das aus der eigenen Biografie: „Ich bin in der DDR groß geworden, in einem SED-Elternhaus, deshalb habe ich kritisch und ablehnend auf die USA geschaut“, erzählt er. 2002 macht er das erste Mal Urlaub in den Vereinigten Staaten, kurz nach den Anschlägen von 9/11. Er steht am Krater von Ground Zero, der noch frisch und tief ist. Er spürt die Verletzlichkeit des Landes und kehrt mit einem veränderten Blick zurück. Hinzu komme aber auch eine politische Überlegung: „Man kann schwer mit einer Partei Mitte-links-Regierungen anstreben, die den wichtigsten Partner Deutschlands grundsätzlich ablehnt.“
2009 wird er in den Bundestag gewählt, er macht Außenpolitik und geht in die deutsch-amerikanische Parlamentariergruppe. 2013 wird er Mitglied der Atlantik-Brücke, des bekanntesten Elite-Netzwerks der Transatlantiker. Dort wird man nur auf Einladung aufgenommen, die Veranstaltungen finden hinter verschlossenen Türen statt. Vorsitzender ist seit vielen Jahren ein gewisser Friedrich Merz, Spitzenmanager sitzen im Vorstand, genauso Ex-Bild-Chef Kai Diekmann, aber auch der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Angela Merkel zählt zu den Mitgliedern, genauso Jens Spahn.
In der Linkspartei gilt die Organisation vielen als Werkzeug des US-Imperialismus. Auf einem Parteitag 2015 gibt es einen Antrag, Liebich wegen seiner Mitgliedschaft aus der Partei zu schmeißen. Das wird abgelehnt.
Kalter Krieg noch sehr präsent
„Es gibt eine krass entwickelte Verschwörungstheorie zur Atlantik-Brücke“, sagt Liebich. Ihre Bedeutung werde überschätzt. Früher, in der alten Bundesrepublik und bis in die 2000er Jahre hinein, habe sie einen gewissen Einfluss auf die öffentliche Meinung genommen, das sei aber Vergangenheit. „Ich habe diese Organisation in den letzten Jahren wie so viele andere erlebt. Man trifft sich zu Vereinssitzungen, es gibt Newsletter und Veranstaltungen – und die sind mal interessant, mal langweilig.“ Die internen Debatten seien dort viel kontroverser als oft von außen angenommen: „Es gibt da natürlich einen Mainstream. Ich setzte mich mit dem Abschied von der Nato dort nicht durch, aber die Anwesenden müssen sich mit meinen Argumenten auseinandersetzen. In der Gesellschaft setzen wir uns als Linke mit unseren 8 bis 10 Prozent auch oft nicht durch, aber man hört uns.“
ErgebnisseBei den Halbzeit-Wahlen in den USA am Dienstag konnten beide politischen Lager Erfolge feiern. Die Demokraten gewannen die Mehrheit bei der Wahl zum Repräsentantenhaus, die Republikaner konnten im Senat zulegen. Traditionell legt die Opposition bei den Midterm Elections zu.
FolgenDie Demokraten können im Repräsentantenhaus nun Gesetzesvorhaben von Trump blockieren und verzögern. Auf das transatlantische Verhältnis hat die Wahl keinen direkten Einfluss, weil der Präsident für seine Außenpolitik keine parlamentarische Mehrheit braucht. Beobachter erwarten sogar, dass Trump gegenüber anderen Ländern noch schärfer auftreten könnte, wenn seine innenpolitischen Vorhaben auf Widerstand treffen.
ReaktionenBundesaußenminister Heiko Maas warnte davor, jetzt eine kooperativere US-Regierung zu erwarten. "Auf diese Devise 'America First' müssen wir auf dieser Seite des Atlantiks eine Antwort finden. Für mich und für uns ist klar, die kann nur 'Europe United' heißen", sagte er in Berlin. Trotzdem blieben die USA der wichtigste Partner außerhalb Europas. Auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte, man müsse sich darauf einstellen, "dass die Politik, die Präsident Trump fährt, fortgesetzt wird".
Und trotzdem: Auf Druck aus der eigenen Partei hat er im Sommer seinen Abschied aus der Atlantik-Brücke angekündigt, gegen Ende des Jahres wird er seine Mitgliedschaft auslaufen lassen. Als er im Januar zum außenpolitischen Sprecher der Fraktion gewählt wurde, gab es dort Vorbehalte, dass er mit dieser Mitgliedschaft voreingenommen wirken könnte.
Es ist ein bisschen absurd: In dem Moment, in dem Konservative wie Spahn und sogar Rechtspopulisten engere transatlantische Kontakte knüpfen, wird Liebich von seinen Parteifreunden gedrängt, seine zu beschneiden.
Trump attackiert die Nato, das Freihandelsabkommen TTIP ist seit seiner Wahl quasi tot – beides hat auch die Linkspartei immer strikt abgelehnt. „Die Freude darüber bleibt einem angesichts von Trumps unberechenbarer Politik im Hals stecken“, sagt Liebich. „Aber richtig ist auch: Die aktuelle Debatte um die Zukunft der Nato wurde nicht durch die Ostermärsche angestoßen.“ Mit der neuen Dynamik könne man arbeiten.
Sowohl bei den Transatlantikern als auch in der Linken sei der Kalte Krieg noch sehr präsent, sagt Liebich. „Jede Kritik an amerikanischer Politik bedeutet da gleich eine Annäherung an Russland. Aber das ist kein Automatismus.“ Den Jüngeren aus den urbanen Milieus, die zunehmend in die Linkspartei eintreten und sie verändern, liege dieses Blockdenken auch fern. „Die lehnen Putins Homophobie ebenso strikt ab wie Trumps Sexismus.“
Es gibt Transatlantiker, die sich so lang eingraben wollen, bis Trump nicht mehr Präsident ist – und solche, bei denen langsam ankommt, dass sich grundsätzlich etwas verschiebt, sagt Liebich. „Man merkt aber, dass es vielen noch schwerfällt zu sagen: So geht das nicht weiter.“ Bei manchen Transatlantikern fühle er sich an Menschen in der DDR erinnert, die sich nach dem Mauerfall auf ein neues System einstellen sollten. „Die hatten es auch schwer, sich umzugewöhnen.“
Weg von Teheran nach Washington
Im Abgeordnetengebäude Unter den Linden muss man von Liebichs Büro nur einmal um die Ecke laufen, um mit einem weiteren Politiker zu sprechen, dessen Weg zu den Transatlantikern eher ungewöhnlich war. Einem, der trotz Trump am besonderen Verhältnis zu Amerika festhalten will. Das Büro von Omid Nouripour ist an diesem Herbstmorgen nach dem Wochenende noch ausgekühlt. Er springt von seinem Stuhl auf und dreht erst mal die Heizung hoch. Dann beginnt der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion zu erzählen, von seinem Weg von Teheran nach Washington.
Bis er 13 Jahre alt war, lebte Nouripour mit seinen Eltern in Iran. Mit 14 Jahren drohte ihm der Militärdienst, der Erste Golfkrieg ging da gerade zu Ende. Die Familie floh nach Frankfurt am Main. „Die Amerikaner waren damals unter denjenigen, die Saddam Hussein im Golfkrieg die Waffen geliefert hatten“, sagt Nouripour. Sympathien hatte er für sie keine.
In Frankfurt verbringt er seine Freizeit dann auch mit Kindern von US-Soldaten. Er lernt die Soft Power kennen, die Anziehungskraft der amerikanischen Popkultur: die Turnschuhe von Nike, das Basketballspiel von Michael Jordan, den Hip-Hop von Public Enemy. Als grüner Nachwuchspolitiker wird er 2002 vom State Department zu einer Reise in die USA eingeladen, es geht um Diversity. Er ist beeindruckt, wie viel weiter die USA da sind: „Das waren die ersten drei Wochen meines Lebens, seit wir 1988 nach Deutschland gekommen waren, in denen mich die Leute zwar permanent gefragt haben: ‚Was machst du?‘ Aber niemand hat mich gefragt: ‚Wo kommst du her?‘“
Er wird zum Transatlantiker, und er kämpft gegen den Ruf an, dass man damit zu einer abgehobenen Klasse gehört, die sich nur zwischen Regierungsgebäuden und Kaminzimmern hin- und herbewegt. „Ich bin in 40 US-Staaten gewesen, nicht immer nur in Washington.“ Er besucht in West Virginia den Wahlbezirk mit der höchsten Trump-Wählerrate in den USA. Er sieht, wie Armut, Drogen, Perspektivlosigkeit die ehemalige Bergbaugegend zerfressen. „Kaum jemand glaubte dort 2016 Trumps Versprechen, aber einer sagte zu mir: ,Wir hatten die Wahl zwischen einem Mann, der uns das Blaue vom Himmel herunter versprach – und einer Frau, die nicht mal Mitgefühl für unsere Situation zeigte.'“ Und klar, sagt Nouripour, Teil des Problems sei es, dass viele seiner Kollegen in Washington sich zu wenig für diese Menschen interessierten.
Nouripour sitzt im Vorstand der Atlantik-Brücke. „Die ist schon lange kein CDU-Blockverein mehr.“ Aber ja, die Geschlossenheit sei nicht immer schlau. Am Anfang sei er kaum zu den Sitzungen gegangen, jetzt sei das anders. „Man muss permanent miteinander reden, um zu checken, was als Nächstes passiert.“
„Das ist mega-absurd“
Bei Diskussionen mit Bürgern hört er jetzt manchmal den Ratschlag, Deutschland solle nun gleichen Abstand zu Washington und Moskau halten. „Das ist mega-absurd“, sagt er und hebt die Stimme. „Wir kommen da nie auf denselben Nenner, wie wir ihn mit den USA haben, Trump hin oder her.“
Und wie soll es nun weitergehen? Europa zusammenhalten, sagt er. Und: „Hinfahren, reden, reden, reden.“ Es klingt nach: nicht die Hoffnung aufgeben. Selbst wenn Trump morgen abtrete, werde es keine einfache Rückkehr zum Davor mehr geben, sagt Nouripour. „Es ist noch zu früh, den Schaden zu bemessen.“
Noch einmal zurück zu Madeleine Schwartz. Sie war überrascht, wie intensiv jede Drehung der amerikanischen Politik in Deutschland verfolgt wird, erzählt sie im Café in Prenzlauer Berg. „In den USA gibt es auch Zeitungsartikel über die Zukunft der Nato, aber das ist nicht vergleichbar mit der Debatte hier.“
Für den britischen Guardian schrieb Schwartz einen großen Essay darüber, wie sich das deutsch-amerikanische Verhältnis in der Geschichte verändert hat. „Was über die Jahre auffällt: Der Begriff des Transatlantischen ist sehr schwammig, je nach Interesse wird er anders gefüllt.“
Eine Konstante gibt es aber, seit mehr als 50 Jahren: die Rede von der existenziellen Krise. Schwartz zieht ein Buch aus ihrer Handtasche, die Seiten sind bräunlich-vergilbt. 1965 schrieb Henry Kissinger über „The Troubled Partnership“. Den apokalyptischen Sätzen begegne man heute fast eins zu eins wieder, sagt Schwartz. Sie liest laut: „Die Geschichte des Westens ist voll von Tragödien, die sich abspielten, weil die im Grunde allen gemeinsamen Interessen das Opfer kleinlicher Rivalitäten geworden waren.“
Die Warnung verklang weitgehend ungehört, Kissingers Buch interessierte kaum jemanden. Nur in einem einzigen Buchladen habe es sich gut verkauft, erzählte er einmal. Der Buchhändler dort hatte es bei den Beziehungsratgebern einsortiert.
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