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Bewegungstermine in BerlinOhne Gerechtigkeit kein Frieden

Der Bundeskanzler freut sich: Die Pali-Demos sollen nun vorbei sein. Doch die Bewegung, ihre Probleme und der lange Schatten der Repression bleiben.

Dass mit dem Waffenstillstand in Gaza die Palästina-Bewegung verstummt, darf bezweifelt werden Foto: IMAGO / IPON

E Es gibt keinen Grund mehr, jetzt für Palästinenser in Deutschland zu demonstrieren“, sagt der Bundeskanzler Friedrich Merz. Der Grund dafür sei der Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas, in dem sich Israel bereit erklärt hat – wie es das Satiremedium The Onion zynisch formuliert – wieder zum selteneren Töten von Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen überzugehen: als Teil der regulären Besatzungs- und Kontrollpolitik.

Dass die israelischen Massaker in Gaza aufgehört haben und die Menschen dort endlich in Frieden schlafen können, ist ein Grund zu feiern, wie jeder Tag, an dem das Morden nicht stattfindet. Aber die meisten Be­ob­ach­te­r:in­nen sind sich einig: die Ursachen des Konflikts wurden mit dem Waffenstillstand nicht gelöst. Denn die liegen vor allem in Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser:innen. Es sind diese Gewaltverhältnisse, die wohl auch zur Entstehung der Hamas und dessen unentschuldbaren Terror am 7. Oktober, sowie dem anschließenden möglichen Völkermord Israels in Gaza beigetragen haben.

Ein echter „Frieden“ ist so nicht möglich. Martin Luther King hat einmal gesagt: „Wahrer Friede ist nicht nur die Abwesenheit von Spannungen; er ist die Anwesenheit von Gerechtigkeit.“ Solange es einen solchen Frieden aber nicht im Nahen Osten gibt, ist es fraglich, ob sich die klammheimlichen Hoffnungen im Kanzleramt, bei der Polizei und in den Springer-Redaktionen erfüllen, dass sich mit dem Waffenstillstand auch die „Pali-Proteste“ erledigt haben könnten.

Denn was im Nahen Osten gilt, gilt auch hierzulande, wenn auch nachgelagert: Die Probleme, die den Grund und das Futter für die Bewegung darstellen, bestehen fort. Soziale Bewegungen verschwinden nicht, weil Regierungen es sich wünschen, sondern weil die Realität, die sie hervorbringt, sich verändert. Davon ist Deutschland aber weit entfernt. Das anzuerkennen, ist unabhängig davon möglich, dass man sich von den ideologischen Verirrungen von einigen Akteuren der Bewegung abzugrenzen muss, die zuweilen bis zum offenen Jubel über die Verbrechen der Hamas reichen.

was macht die bewegung?

Gegen sozialdarwinistische Zustände

Immer wieder werden wohnungs- und obdachlose Menschen getötet – doch die rechten Motive solcher Taten werden oft nicht anerkannt. Die Marginalisierung wohnungsloser Menschen setzt sich auch nach ihrem Tod fort. Die Antifaschistische Vernetzung Lichtenberg lädt zu einem Vortrag von Merle Stöver, in dem über die Hintergründe aufgeklärt wird.

Freitag, 17. Oktober, Plattenkosmos, Magdalenenstr. 19, 19 Uhr

Kiezfest in Steglitz

Die fortwährende Kürzungspolitik des Berliner Senats bedrohen Jugendklubs, Hilfsangebote für Menschen mit psychischen Problemen, Bildungsangebote und kulturelle Orte. Auch im bürgerlichen Steglitz – und das, obwohl es gerade hier viel Leerstand gibt. Beim Kiezfest gegen Leerstand gibt es Musik, Essen, Siebdruck und mehr.

Samstag, 18. Oktober, Schloßstraße 10, 11-17 Uhr

A100 wegbassen

Am Samstag ist auch feierliche Eröffnung der A100 für alle. Das Bündnis „A100 wegbassen“ ruft dazu auf, sich den 16. Bauabschnitt zurückzuholen, ob mit Rad, auf Skates oder zu Fuß, von der Anschlussstelle Sonnenallee bis zum Treptower Park. Gefordert wird, die Autobahn „gemäß der tatsächlichen Bedürfnisse der Berliner*innen“ umzunutzen.

Samstag, 18. Oktober, Hatun-Sürücü-Brücke, 14 Uhr

Internationale Antifa-Solidarität

In der JVA Moabit sitzen zwei Gefangene mit politischen Bezug: Der Antifaschist Thomas J. – Szenename Nanuk -, der im Antifa-Ost-Komplex beschuldigt wird, sowie Mehmet Karaca, dem PKK-Unterstützung vorgeworfen wird. Antifas wolllen beiden solidarische Grüße senden – mit einer lauten Kundgebung vor dem Knast.

Samstag, 18. Oktober, JVA Moabit, Ecke Rathenower Str./ Alt-Moabit, 14 Uhr

Antifaschismus wird siegen

Eine Gesprächsreihe zu antifaschistischer Praxis bringt scheinbar in gänzlich unterschiedliche Menschen zusammen: aus der sexuellen Bildung, aus Jugendclubs, Migrationsräten und der DDR-Opposition. Am letzten Abend kommt Conny zu Wort, die miterlebt hat, wie 1989 ein besseres Morgen möglich schien – aber dann alles anders kam.

Mittwoch, 22. Oktober, Aktionshaus Berlin, Gottlieb-Dunkel-Straße 44, 19:30 Uhr

Hat Rojava die Wahl?

Wie geht es eigentlich den Menschen in Rojava? In Syrien haben zuletzt Massaker an alawitischen Menschen im Westen und Druzen im südlichen Suweida für Angst gesorgt. Eine Veranstaltung der Kampagne „Solardarity“ mit Anita Starosta von medico international gibt Einblicke – auch mit Blick auf die angekündigten Wahlen im Land.

Donnerstag, 23. Oktober, Aquarium (Südblock), Skalitzer Straße 6, 19 Uhr

Behinderung von palästinasolidarischen Events

Denn der zentrale Grund für die Palästina-Bewegung bleibt, neben der Situation vor Ort, die materielle und ideologische Unterstützung für die israelischen Kriegsverbrechen, die dieses Land in den vergangenen zwei Jahren geleistet hat. Im Inneren wurde diese Linie mit Gewalt durchgesetzt: Demos wurden verboten, behindert und zusammengeschlagen, das Aufenthaltsrecht missbraucht, um unliebsame Ak­ti­vis­t:in­nen loszuwerden, Events mit Palästina-Bezug verhindert, wobei der Antisemitismusvorwurf teils entwertet wurde, um Israelkritik zum Schweigen zu bringen.

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Es dürfte auch an der gesellschaftlichen Stimmung des Generalverdachts gelegen haben, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft und breite Teile der undogmatischen Linken sehr lange zu Gaza geschwiegen haben. Nur deshalb aber konnten sich ideologisch verborte Antiimps überhaupt an die Spitze der Bewegung setzen und sich als Kopf der Vielen inszenieren, die von dem Gefühl getrieben waren, angesichts der live-gestreamten Verbrechen nicht nichts tun zu können. Und ihr Protest war – trotz allem – nicht wirkungslos: Der Druck, den die weitweite Bewegung für Palästinasolidarität aufgebaut hat, dürfte bei der Entscheidung für einen Waffenstillstand wohl eine Rolle gespielt haben.

Die Publizistin Charlotte Wiedemann schreibt in der taz, es müsse gefragt werden, ob deutsche Po­li­ti­ke­r:in­nen mitschuldig an den zehntausenden Getöteten in Gaza sind. Und sie fordert als Einsicht eine andere Israelpolitik, die Deutschlands historische Verantwortung als Land des Holocausts mit dem Völkerrecht in Einklang bringt. Mit Blick auf den Umgang mit der Palästina-Bewegung ließe sich ergänzen: Einsicht hieße auch, das eigene Demokratieverständnis zu prüfen – und zu begreifen, dass Grundrechte wenig wert sind, wenn sie nur für politisch erwünschte Stimmen gelten.

Dass es aber bei irgendeiner Partei in diesem Konflikt – ob im Nahen Osten, oder hierzulande bei Politik, Polizei oder Bewegungsakteuren – wirklich zu einer Einsicht kommt, darf bezweifelt werden. Und so kann der Satz von Merz auch als Drohung verstanden werden: Dass nun, wo die Waffen schweigen, die Repression sogar noch zunimmt, weil es nun ja wirklich keinen Grund mehr für Proteste gebe, womit Merz allerdings nachträglich eine Anerkennung ihrer bisherigen Berechtigung einschmuggelt. Solange sich an dieser Einstellung nichts ändert, mag sich die Situation auf den Straßen zunächst beruhigen. Der Konflikt wird fortschwelen – in Berlin wie im Nahen Osten.

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Timm Kühn
Redakteur
Textplaner taz Berlin. Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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