Bewegungstermine in Berlin: Auf nach Essen, Faschos fressen
Was tun, wenn alle Parteien den Rechtsruck vorantreiben? Das Bündnis gegen den AfD-Bundesparteitag macht es vor: Klassenkampf und ziviler Ungehorsam.
D er Autor Leo Fischer beschrieb im „nd“ kürzlich den Zustand Deutschlands als einen der kollektiven, rassistischen Raserei. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Vergangene Woche wurde aus der Union gefordert, ukrainische Geflüchtete ohne Arbeit ins Kriegsgebiet zurückzuschicken, die Innenminister:innen diskutieren auch Abschiebungen von kriminell gewordenen Menschen nach Syrien und Afghanistan. In wahnwitziger Weise geistert man der Idee nach, nach Europa geflüchtete Menschen in Afrika zu halten. Asylknäste an den EU-Außengrenzen sind ohnehin längst beschlossen. Das BCC enthüllte, wie die griechische Küstenwache offenbar geflüchtete Menschen teils gefesselt ins Meer wirft – also ermordet. Und das Sterben im Mittelmehr geht ohnehin weiter.
Mit allen Mitteln – an den EU-Außengrenzen offenbar inklusive des Mittels des staatlichen Terrorismus – wird die Entrechtung von Geflüchteten vorangetrieben. Im Inneren setzt sich derweil ein Modus bürgerlicher Politik durch, der „die Ausländer“ zum Sündenbock für alles macht. Um einen Begriff der Theoretiker:innen Chantal Mouffe und Ernesto Laclau zweckzuentfremden: Die konstruierte Gruppe „der Ausländer“ wird zu einem „universellen Signifikanten“ gemacht, zu einer Art Prisma, durch das alle anderen sozialen Probleme gesehen werden.
Was heißt hier Antifaschismus?
Mangelnde Zahnarzttermine erscheinen so nicht mehr als Ergebnis der Zwei-Klassen-Medizin, die neofeudalen Vermögensstrukturen nicht mehr als der Grund, warum am Sozialstaat gespart werden muss. Die Wohnungskrise ist plötzlich nicht mehr auf die kapitalistische Verwertung vom Recht auf Wohnen zurückzuführen. Sogar der Antisemitismus, nun wirklich die Meisterdisziplin der Deutschen, wird zu einem importierten Problem erklärt. Alle sozialen Probleme werden rassifiziert (nicht nur für die CDU gibt es inzwischen deutsche und nicht-deutsche Deutsche) und auf „die Anderen“ geschoben.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Natürlich kann man in dieser Situation, die von allen Parteien jenseits der Linken befeuert wird, nicht „nur“ die AfD bekämpfen, wie dies im Kontext der großen Demowelle gegen rechts immer wieder gefordert wurde. Wenn alle anderen relevanten Parteien die AfD hochzüchten, ist das Problem größer als Björn Höcke. Oder, besser formuliert: Dann muss man, um Höcke zu verhindern, auch den Politikmodus der bürgerlichen Parteien bekämpfen, für die Rassismus schon immer eine Ablenkungstaktik von der sozialen Frage war.
Es war ein großes Defizit der Demowelle gegen rechts, diesen Zusammenhang oft nicht erkannt und stattdessen auf rein moralisierte Appelle des Zusammenhalts gesetzt zu haben. Verstanden hat dies dagegen das „Widersetzen“-Bündnis, das die kommenden Massenproteste gegen den AfD-Bundesparteiparteitag in Essen (28.–30. 6.) organisiert. In der Mobilisierung wurde nicht nur der Klassenkampf als antifaschistisches Motiv wiederentdeckt. Das Bündnis wird den Protest auch zu den Orten der Täter:innen tragen, das heißt zum Parteitag der Faschist:innen, der mit zivilem Ungehorsam verhindert werden soll.
Empfohlener externer Inhalt
Das ist richtig, denn nur so kann Antifaschismus funktionieren. „Egal ob wir hier seit Generationen leben, unsere Eltern oder wir selber hierher migriert sind. Wir halten den Laden gemeinsam am Laufen“, heißt es in einem Mobivideo. Ein Busfahrer, ein Mitarbeiter der BSR, eine Krankenpflegerin und eine Erzieherin machen darin deutlich: Die Sparpolitik der Regierung ist das Problem, nicht die migrantischen Kolleg:innen. Der entpolitisierte Ruf nach „Zusammenhalt“ wird so konkret: Zusammenhalt heißt, gemeinsam gegen die rassistische Spaltung zu kämpfen, die die Sparpolitik ermöglicht.
In Essen starten die Proteste am Freitag (28. 6.) mit einer Rave-Demo (Startpunkt Hauptbahnhof, 19 Uhr). Am Samstag (29. 6.) starten ab 6 Uhr morgens Aktionen des zivilen Ungehorsams, um die Anreise der AfD zur Grugahalle (Ort des Parteitags) zu verhindern. Um 10 Uhr startet die Großdemonstration „Gesicht zeigen: Gegen Hass und Hetze“ vom Hauptbahnhof an der Straße Freiheit. Es gibt ein Protestcamp im Löwental im Stadtteil Werden. Alleine aus Berlin fahren acht Soli-Busse, für die noch Tickets verfügbar sind. Die Busse starten zu unterschiedlichen Zeiten am Freitag vom Ostbahnhof, dem Alexanderplatz oder dem Messedamm.
Antifa-Aufwärmprogramm in Berlin
Zum Aufwärmen in Berlin findet im Vorfeld eine Demo gegen den Rechtsextremismus in Frankreich statt, wo die rechtsextreme LePen-Partei Rassemblement National droht, die Macht zu übernehmen. Gegen diese Gefahr haben die linken Parteien binnen kürzester Zeit ein breites Bündnis angekündigt, das auch einen linken Wahlsieg möglich macht. Es gilt deshalb, für die internationale Solidarität auf die Straße zu gehen (Mittwoch, 26. 6., Oranienplatz, 17 Uhr).
Wer über einzelne Demos hinaus aktiv werden möchte, sollte zum Offenen Antifa Treffen kommen, das alle 14 Tage im Bandito Rosso* stattfindet. Dieses Mal gibt es einen Input zu den Stonewall Protesten, den Riots nach einer Razzia in der queeren Bar Stonewall Inn, die auch den Geburtsmoment der CSD-Demonstrationen markieren. Das Treffen findet als Plenum statt, anschließend gibt es die Möglichkeit, sich kennenzulernen (Mittwoch, 26. 6., Lottumstr. 10a, P-Berg, 19 Uhr).
Solidarität gegen Nazis heißt auch, sich vor Gericht nicht mit Nazis alleine zu lassen. Am Freitag ist der nächste Protesttag gegen die Rechten, die am 5. Februar 2022 den damals 17-Jährigen Dilan angegriffen haben sollen. Die Unterstützung im Gerichtssaal ist wichtig, um Dilan nicht alleine zu lassen – denn auch die Faschofreunde der Angeklagten hatten in der Vergangenheit versucht, Plätze im Gerichtssaal zu besetzen. Verhandelt wird der Widerspruch von einem mutmaßlichen Mittäter gegen dessen Urteil (Freitag, 28. 6., Landgericht Berlin, Wilsnacker Straße 4, 9:20 Uhr vor dem Gericht).
Wer sich tiefergehend mit der Krise der Linken und der rechten Bedrohung auseinandersetzen will, dem seien noch zwei Veranstaltungen ans Herz gelegt. Unter dem Motto „Ist die AfD noch zu stoppen?“ organisiert der AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West und der Teilhabe e.V. eine Diskussion, in der die Ergebnisse der Europa- und Kommunalwahlen in Bezug auf AfD und BSW erörtert werden sollen. So soll das Gefühl von Hilflosigkeit durchbrochen und Wege gefunden werden, den Durchmarsch der AfD noch zu verhindern (Freitag, 28. 6., Versammlungsraum im Mehringhof, 19 Uhr).
Die IL Berlin setzt sich derweil in den dunklen Zeiten der Gegenwart mit ihren eigenen Konzepten von Theorie und Praxis auseinander. Aus dieser Selbstreflexion ist das Papier „Die IL im Umbruch. Gegenmacht aufbauen, Gelegenheiten ergreifen“ (zum Download: hier) entstanden, das mit Raul Zelik und der IL Berlin diskutiert werden soll. (Dienstag, 2. Juli, Aquarium (Südblock), Skalitzer Str. 6, 19 Uhr).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands