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Bewegungsforscher über Klimaprotest„Gandhi war auch im Hungerstreik“

Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen hungern seit drei Wochen. Protestforscher Dieter Rucht findet die Aktion trotz historischer Vorbilder nicht aussichtsreich.

Ak­ti­vis­t:in­nen Henning Jeschke, Jacob Heinze und Lena Bonasera im Regierungsviertel am Montag Foto: Wolfgang Borrs
Susanne Schwarz
Interview von Susanne Schwarz

taz: Herr Rucht, die Hungerstreikenden im Berliner Regierungsviertel fordern ein Gespräch mit den Kanz­ler­kan­di­da­t:in­nen und deren Versprechen, im Falle ihrer Wahl einen Klimabürgerrat einzurichten. Überrascht Sie die Diskrepanz zwischen der extremen Protestform und den gemäßigten Forderungen?

Dieter Rucht: Ja, die überrascht mich. Wenn man glaubt, man müsse in den Hungerstreik gehen, dann muss man doch auch substanzielle Forderungen stellen. Hier sind die Forderungen aber nur formaler Art.

Immerhin führt man damit den Vorwurf ad absurdum, die eigenen Vorstellungen durch den Hungerstreik moralisch erpressen zu wollen, also undemokratisch zu sein.

Im Interview: Dieter Rucht

wurde 1946 geboren und ist Soziologe und Protest­forscher.

Von Erpressung würde ich sowieso nicht sprechen. Dafür müsste ein nennenswerter Schaden auf der gegnerischen Seite eintreten, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden. Das halte ich hier nicht für gegeben. Aber so ein Bürgerrat bleibt ein Beteiligungsformat – das macht die Idee nicht schlecht, aber diese Gremien haben keine Entscheidungsmacht.

Halten Sie es für aussichtsreich, dass der Hungerstreik sein Ziel erreicht?

Jetzt im Vorfeld der Wahl den Kanz­ler­kan­di­da­t:in­nen die äußeren Bedingungen des Gesprächs zu diktieren und dabei auf Zugeständnisse zu hoffen, halte ich eher für naiv.

Kann man aus sozialwissenschaftlicher Sicht Kriterien ausmachen, wann Hungerstreiks erfolgreich sind?

Die Aktion

Was? Seit dem 30. August befindet sich eine Gruppe von Klimaaktivist:innen im Berliner Regierungsviertel im Hungerstreik. Die Initiative nennt sich „Hungerstreik der letzten Generation“.

Wozu? Die Protestierenden fordern ein öffentliches Gespräch mit den Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) sowie Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Grüne) am Donnerstag um 19 Uhr, also noch vor der Bundestagswahl. Zudem verlangen sie einen Klimabürgerrat, der Empfehlungen für ein Sofortprogramm ausarbeiten soll.

Reaktion? Baerbock, Scholz und Laschet haben den Streikenden vergangene Woche gemeinsam übermitteln lassen, sie wären „einzeln, persönlich und nicht öffentlich – nach der Wahl“ zu einem Gespräch bereit. Sie, die Bundesregierung, aber auch Greenpeace und der DNR appellierten an die Ak­ti­vist:in­nen, den Streik aufzugeben.

Und nun? Wenn der Donnerstagtermin verstreicht, wollen einige der Hungerstreikenden auch keine Flüssigkeit mehr zu sich nehmen, die anderen den Streik beenden.

Eindeutige Kriterien gibt es aus meiner Sicht nicht. Aber natürlich gab es schon erfolgreiche Hungerstreiks. Der größte, der mir einfällt, ist der Hungerstreik kalifornischer Gefängnisinsassen gegen Isolationshaft im Jahr 2013. Daran beteiligten sich über einen Zeitraum von zwei Monaten 30.000 Menschen. Die Behörden reagierten.

Und bei komplexen gesellschaftlichen Fragen wie der Klimakrise?

Gandhi war mehrfach im Hungerstreik. Aber er hat eben auch andere Aktionen genutzt, vor allem Aktionen des zivilen Ungehorsams. Da einen konkreten Anteil des Hungerstreiks am Ende der britischen Kolonialherrschaft in Indien auszumachen, ist schwierig.

Aber können Sie denn auch die Verzweiflung einer Generation verstehen, die im Klimawandel aufgewachsen ist und in ihrer Lebenszeit extreme Einschränkungen von Freiheit und Sicherheit durch diese Krise zu befürchten hat?

Natürlich, aber das Repertoire an anderen Protest- und Widerstandsmöglichkeiten ist bei Weitem noch nicht ausgereizt. Damit meine ich nicht nur fröhlich-freundliche Straßenproteste, sondern auch zivilen Ungehorsam. Sowohl in Qualität als auch in Quantität ist das Spektrum da noch nicht ausgeschöpft.

Sollte die Klimabewegung von symbolischen Aktionen des zivilen Ungehorsams – etwa der Besetzung eines Kohletagebaus – zu solchen Protesten übergehen, die praktische Auswirkungen haben?

Ja, es gibt Protestformen, mit denen man die Routinen des Alltags stört. Und wenn man sagt: Wir haben das versucht, da kommen nicht genug Leute – dann muss man es erst mal anders versuchen.

Das heißt im Prinzip, dass am besten Fridays for Future als große Bewegung mit riesigem Rückhalt die Autobahnen blockieren sollte?

Fridays for Future ist diesen Schritt des zivilen Ungehorsams über den Schulstreik hinaus bisher nicht gegangen. Das könnte sich allmählich ändern. Man muss dabei aber sehr darauf achten, dass man das Gros der Bevölkerung nicht gegen sich aufbringt, sondern vielmehr Verständnis weckt. Es kommt auf die Kommunikation mit der Öffentlichkeit an.

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13 Kommentare

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  • Die Preise für Energie steigen derzeit mit und ohne CO2-Steuer rasch und spürbar, dabei hat der Winter noch gar nicht begonnen. Die Menschen werden demnächst eher um als gegen Brennstoffe kämpfen. Da hilft auch ein Hunger- oder Kältestreit nicht.

  • Ehrlich gesagt habe ich null Verständnis für die Aktion. Ein Hungerstreik ist das letztmögliche Mittel seine existentielle Interessen durchsetzten, falls keine Möglichkeiten anderer Art bestehen.



    Ich verstehe die Verzweiflung angesichts der schon vorhandenen Klimakatastrophe und der weitverbreiteten Ignoranz und der Verdrängung dessen was der Welt noch bevorsteht.



    Aber noch haben wir unsere Handlungsmöglichkeiten noch .



    Stellen wir die Räder still leisten wir zivielen Ungehorsam

    • @Irmi63:

      Das Fortbestehen der menschlichen Zivilisation würde ich durchaus für ein "existenzielles Interesse" halten.



      "Aber noch haben wir unsere Handlungsmöglichkeiten noch."



      Eben. Wenn wir noch ein paar weitere Jahre mit Nichtstun verschwenden ist das aber nicht mehr der Fall und dann bringt es auch nichts mehr zu protestieren weil der point of no return dann endgültig überschritten ist.

  • "Und bei komplexen gesellschaftlichen Fragen wie der Klimakrise?

    Gandhi war mehrfach im Hungerstreik. Aber er hat eben auch andere Aktionen genutzt, vor allem Aktionen des zivilen Ungehorsams."

    Aber Ghandi hatte nun mal ziemlich klare Forderungen, das System "Klimabürgerrat" erschließt sich mir überhaupt nicht. Setzt der sich aus den aktuellen gesellschaftlichen Gruppen zusammen, was soll der dann ändern und wenn er sich, nur mal als Beispiel aus Vertretern von FFF, XR, NABU und Greenpeace zusammensetzt, dann ist er undemokratisch, weil die keine gewählten Mehrheiten repräsentieren.

    Und wie der junge Mann von FFF die Tage Annalena darauf hinwies, das auch das Programm der Grünen nicht ausreichend sei, mag ja sein, aber schon dafür stimmen aktuell keine 20% auch wenn ganz viele Leute in allen möglichen Umfragen immer erzählen, wie wichtig das Thema Klimawandel sei.

    Meine Freundin erklärt solches Verhalten immer folgendermaßen, darum mach ich das jetzt hier auch. Ungefähr 70% der Bevölkerung will die Massentierhaltung abschaffen, der Anteil an Fleisch in Bioqualität schwankt zwischen 2,5-3,5%, dass der guten konventionellen Haltung ebenfall im einstelligen Prozentbereich.. Die Leute handeln also größtenteils konträr ihrer Aussage. Was ist also für die Supermärkte relevant, was die Leute sagen oder kaufen?

    Darum bewerten die allermeisten ethischen Theorien Handlungen und nicht Aussagen...

    Wenn du Themen in Demokratien durchsetzen willst, brauchst du eben eine Mehrheit und das nicht bei der nächsten civey Umfrage, sondern im Parlament.

  • "und deren Versprechen, im Falle ihrer Wahl einen Klimabürgerrat einzurichten"

    Kein Kanzlerkandidat kann das versprechen. Zum keinen gibt es solche Räte in unserer Verfassung nicht und kein Kanzler könnte diese alleine umsetzen. Was braucht man da? eine 2/3 Mehrheit im Parlament? Ganz tolle Idee!

    Diese jungen Leute haben leider in der Schule mal so gar nicht aufgepasst!

  • Gandi hat gegen das britische Empire protestiert, diecwaren zu 100% in Indien an der Macht und verantwortlich.



    Aber gegen wen protestiert man hier ?



    Wenn die deutsche Regierung ab morgen super Radikale Maßnahmen verkündet, sich völlig undemokratisch gegen die große Mehrheit der Bürger stellt (Autos, Flugreisen etc. verbietet) und per staatlichem Zwang den Co2 Austoß Deutschlands um 2/3 senken würde.



    Dann wäre das, global, bestenfalls eine Minderung um 2%, hätte Gandi dafür Hunger gestreikt ?



    Ich glaube es nicht.

    • @Paul Rabe:

      Es geht nicht um die deutschen 2%, sondern um den deutschen Beitrag, wie er im weltweiten Abkommen vereinbart wurde.

      Alle haben ihren Beitrag zu leisten, auch Deutschland.

      • @R R:

        Dann sollte man aber zunächst einmal prüfen wie realistisch es ist das andere "ihren Beitrag" leisten.

        Denn was bringt es, wenn man zwar "moralisch" oder "vertragstreu" handelt, aber das Handeln praktisch folgenlos bleibt, weil andere es nicht tun ?



        Im Moment sehe ich nicht, daß z.B. die USA oder China ihren CO2 Ausstoß wirklich verringern würden.

  • Was mich ja immer mehr irritiert: Seit drei Wochen sind die da nun im Hungerstreik, weil sie wollen, dass sich die Kanzleraspiranten mit ihnen unterhalten.

    Ist es nicht erstaunlich, dass nicht einmal Frau Baerbock es geschafft hat, sich dazu herabzulassen?

    Ich meine: Die würden damit aufhören, ihr Leben zu gefährden, wenn sich eine/r von den drei Herrschaften mal ein Herz fassen und sagen würde: "Ach, what the heck, let's talk with them. Vielleicht lerne ich ja was daraus."

    Aber das ist vielleicht mein Fehler, denen zu unterstellen, es gäbe da ein Herz zum Anfassen. Ich nehme an, Frau Baerbock möchte in Wirklichkeit nicht Kanzlerin, sondern Kommissionspräsidentin werden.

    Stehen tät's ihr.

    • @Birne Helene:

      Die würden auch damit aufhören, ihr Leben zu gefährden, wenn sie einfach damit aufhören würden, ihr Leben zu gefährden.



      Niemand zwingt sie.

    • @Birne Helene:

      Annalena Baerbock hat mit ihnen schon gesprochen.

      "Das Telefonat mit Baerbock wurde von den Presseverantwortlichen der Aktion bestätigt. Die Grünen-Politikerin habe etwa eine Viertelstunde mit mehreren aus der Gruppe gesprochen. Auf Baerbocks Bitte, wieder zu essen, hätten die Hungerstreikenden jedoch klargemacht, dass sie das nur tun wollten, wenn auf ihre Forderungen eingegangen werde."

      www.klimareporter....-des-hungerstreiks

      Das Annalena eigentlich gar nicht Kanzlerin werden will, befürchte ich auch, aber das ist ein anderes Thema.

      • @Sven Günther:

        Danke für die Korrektur Eine Viertelstunde ist allerdings ... wow!

    • @Birne Helene:

      Warum sollte man ihren Irrsinn auch noch unterstützen und darauf eingehen ? Dann wird in Zukunft jeder Wirrkopf so seine Vorstellungen durchsetzen wollen.