Bevölkerungsrückgang in Japan: Weniger Menschen sind nicht automatisch gut für die Natur
Mehr Menschen sind schlecht für die Artenvielfalt. Also erholt sich die Natur wieder, wenn die Bevölkerung schrumpft? Japan zeigt: nicht unbedingt.

Die Forscher haben sich damit die Umkehrung eines weltweiten Trends angeschaut. Denn Studien haben vielfach gezeigt, dass Ökosysteme unter steigenden Bevölkerungszahlen leiden. Erholt sich die Natur also wieder, wenn die Bevölkerungszahl weltweit schrumpft? Das Beispiel Japan zeigt: Das muss nicht stimmen.
Die japanische Bevölkerung nimmt seit 2010 ab, in vielen Regionen ging die Zahl der Bewohner*innen schon in den 1990ern zurück. Um herauszufinden, welchen Effekt das auf die Biodiversität hat, nutzten die Studienautoren Daten, die Freiwillige seit 2004 gesammelt hatten. Darin enthalten waren 464 Vogel-, Insekten- und Froscharten sowie 2.922 Pflanzenarten.
Sie konzentrierten sich dabei auf 158 Orte in ländlichen Gegenden, in denen landwirtschaftliche Flächen, Wälder, Flüsse und Grasland neben Dörfern und Kleinstädten das Landschaftsbild prägen – genau die Regionen, in denen die Bevölkerungszahl am drastischsten sank.
Das menschliche Durcheinander ist wichtig für viele Arten
Es zeigte sich: Wo immer mehr oder immer weniger Menschen leben, leidet die Artenvielfalt. Die Zahl der Tiere und Pflanzen blieb nur dort stabil, wo auch die Zahl der Menschen etwa gleich blieb.
„Wahrscheinlich liegt das daran, dass Bauern in diesen Regionen das Land auf die gleiche Weise beackern wie frühere Generationen“, erklärt der britische Forscher Peter Matanle, der die Studie mit vier Kollegen aus Japan geschrieben hat.
Wird ein Reisfeld zum Beispiel nicht mehr wie üblich im Frühjahr geflutet, sondern liegt brach, können Frösche oder Insekten dort nicht ihre Eier ablegen. Diese Eier oder die Larven fehlen dann den Vögeln als Futter. Auch kleine Gärten oder Obsthaine verfallen, die im ländlichen Japan traditionell gepflegt werden und Nahrung und Lebensräume für viele Arten bereitstellen.
„Diese Nischen schrumpfen, obwohl es weniger Menschen gibt, weil sich die Art und Weise der Nutzung des Landes dann verändert“, sagt Matanle. „Überraschend viele Arten gedeihen in dem regelmäßigen Durcheinander, das Menschen durch Ackerbau je nach Jahreszeit zum Beispiel durch das Fluten von Reisfeldern verursachen, durch die Saat und durch die Ernte.“
Abwarten ist keine gute Idee
Häufig seien die neuerdings brachliegenden Flächen zudem isoliert zwischen Feldern, die noch gepflegt werden. „Dann ist die natürliche Nachfolge schwierig, sodass andere Arten in das Gebiet vordringen, die mehr mit den verlassenen Flächen anfangen können“, sagt Matanle.
Daher sei es keine gute Idee, auf die natürliche Nachfolge zu warten und nicht einzugreifen. „Dafür haben wir nicht mehr die Zeit“, sagt Matanle, Erderhitzung und Artensterben seien schon zu weit fortgeschritten. „Stattdessen sollten wir uns überlegen, wie eine Zukunft aussehen sollte, in der wir die Artenvielfalt wiederherstellen, den Verbliebenen in den Regionen mit geringem Bevölkerungswachstum ein würdevolles Leben ermöglichen und die sich auftuenden Gelegenheiten ergreifen, den Klimawandel zu bekämpfen.“
Dabei könne es zum Beispiel helfen, Gebiete wieder zu bewalden, die jahrhundertelang landwirtschaftlich genutzt wurden, aber vor der Besiedlung durch den Menschen Wald waren. „Einige dieser Flächen könnten sogar in die öffentliche Hand übergehen und zu Schutzgebieten werden“, schlägt Matanle vor.
Was sie für Japan herausgefunden haben, sei für Deutschland und Europa nicht direkt anwendbar, sagt Matanle, auch wenn ähnliche Prozesse stattfinden könnten. Die Reisfelder und die privaten Obsthaine zum Beispiel seien eine asiatische Besonderheit. Für den Nordosten Chinas, Taiwan und Südkorea können die Ergebnisse der Studie aber durchaus nützlich werden.
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