: „Beunruhigt, erstaunt, fremd“
Bundesinnenminister Otto Schily diskutiert mit Schülern eines Berliner Gymnasiums über den Rechtsextremismus – und glaubt sich lediglich mit „Pauschalurteilen“ konfrontiert
BERLIN taz ■ Lugt da aus der Aula Johannes Pfeiffer alias Heinz Rühmann nach der verlorenen Wette bei der Feuerzangenbowle hervor? In diesen ehrwürdig-alten Gängen des Berliner Schiller-Gymnasiums wäre man nicht überrascht. Denn alles passte hier noch dazu: das Parkett auf dem Boden, die neoklassizistischen Fresken an der Wand, die Bühne an der Stirnseite der Aula – und irgendwie auch Otto Schily, der dort oben davon spricht, dass die Erziehung der Jugend in der Schule einen fast künstlerischen Charakter habe. Aber haben die Pauker von heute versagt?
Denn darum geht es an diesem Diskussionsabend des Bundesinnenministers mit etwa 400 Schülern der höheren Klassen: um den „Rechtsextremismus in Deutschland“: Warum junge Schläger, gerade der Schule entwachsen, im Lande Goethes und Schillers Ausländer zu Tode prügeln. Das Unterthema, die „Auswirkungen“ dieses Rechtsextremismus auf „die Beziehungen zu Israel“, interessieren dagegen außer einem Mitorganisator von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und einem älteren Frager im Saal („Ich bin Herr Maier. Ich bin Berliner“) niemanden.
Ganz anders die Rechten und die anscheinende Hilf- und Tatenlosigkeit des Staates: Die jungen Staatsbürger greifen ihren Minister massiv an. Der holzt zurück und versteht das alles nicht. Warum denn kein Mitglied der Bundesregierung in ein Asylbewerberwohnheim gehe, fragt ein Moritz mit Rastalocken. Er kriegt Beifall – was Schily „beunruhigt“, wie der Minister sagt, denn er selber sei doch in einem Heim gewesen: Was für ein Bild hätten sie von Politikern?!
Jemand fragt, warum Schuldige an der Gubener Hetzjagd nur Bewährungsstrafen bekommen hätten. Das „erstaunt“ den SPD-Politiker, denn das lerne man doch im „Grundkurs Rechtsstaat“, dass die Gewalten in Deutschland getrennt seien und er nicht verantwortlich. „Sehr fremd“ ist ihm auch die Frage, warum die rot-grüne Bundesregierung im Kosovo mit aller Staatsmacht vorgegangen sei, der Gewalt im Land aber so hilflos gegenüberstehe. „In einem Schiller-Gymnasium“ dürfe es doch nicht solche „Pauschalurteile“ geben, mahnt Schily.
Es hilft nichts: Eine Pauline greift erneut an, bemängelt unter Jubel, er habe bisher noch keine Frage richtig beantwortet – Schily fordert wieder, er wolle eben selbst nicht pauschal urteilen: „Einfache Antworten werden Sie von mir nicht bekommen.“ Und als Pauline noch mal nachsetzt, er antworte zu langatmig, weist er die „verehrte Zuhörerin“ zurecht: Wer von ihm differenzierte Antworten erwarte, müsse ihm Zeit geben.
Ein letztes Mal warnt der Minister vor Pauschalurteilen, dann ist es geschafft. Er erhält etwas Beifall, Harmonie scheint sich auszubreiten – aber es ist nicht Schilys Tag: Dass er eine Flasche Sekt auf offener Bühne mit Dank annimmt, aber gleich dem Schulbazar weiterverschenkt, wird nur mit Murren quittiert. Und klar wird: Eine Obrigkeit, die die Streiche eines Pfeiffer mit drei f erst möglich macht, gibt es in deutschen Schulen nicht mehr.
PHILIPP GESSLER
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