Bettwanzen in Paris: Sie ist wieder da
Sie wäre gar nicht so schlimm, wenn ihre Bisse nicht so penetrant jucken würden: die Bettwanze. Paris fürchtet nun zum Welt-Wanzen-Hub zu werden.
I mmer diese Bettgeschichten in der französischen Politik! Dabei kann man den Hauptbeteiligten in diesem Fall nun wirklich keine mangelnde Diskretion vorwerfen. Denn die Bettwanzen, um die es geht, tun alles, um nicht aufzufallen. Die als erwachsene Tiere einen halben Zentimeter großen Schnabelkerfe – klingt doch viel besser als Wanzen! – sind wahre Meister darin, sich zu verbergen.
Sie sind flach wie Papier und können sich selbst in die schmalsten Ritzen von Möbelstücken, unter Türleisten oder hinter Tapeten quetschen, was ihnen den etwas überraschenden Kosenamen „Tapetenflunder“ eingebracht hat. Sie richten kaum direkten Schaden an und übertragen keine Krankheiten, aber wir müssen über ihre Ernährung sprechen: Sie saugen Blut. Am liebsten menschliches.
Wenn der große Hunger kommt, krabbeln sie nachts aus ihren Verstecken und steigen zu uns ins Bett. Dort stechen sie dann an irgendeiner gerade nahe gelegenen Körperstelle zu, wobei ein Lokalanästhetikum in ihrem Speichel dafür sorgt, dass wir in unseren Träumen nicht gestört werden. Dann lassen sie sich bis zu zehn Minuten lang ordentlich volllaufen und sind danach wieder verschwunden.
Der Blutverlust wäre auch bei massivem Befall zu verkraften, aber blöderweise jucken die Einstichstellen zumindest bei einem Teil der Opfer meist Tage später, und je öfter wir als Wanzentankstelle herhalten, desto früher und kräftiger fällt die Reaktion aus. Oder um es mit Frankreichs Gesundheitsminister Aurélien Rousseau zu sagen: „Wenn Sie Bettwanzen haben, ist das die Hölle.“
Klickmonster im TGV
In Paris haben gerade sehr viele Menschen Bettwanzen, weshalb die Tierchen nun zum Politikum geworden sind. Es herrscht Aufregung in den sozialen Medien, seit dort Videos von über TGV-Sitze krabbelnden und in Kinosesseln lauernden Kerfen die Runde machen und Klickzahlen generieren wie sonst höchstens ASMR-Influencerinnen oder Unboxing-Kinder.
So wurden die Bettwanzen Gegenstand der Debatte der Nationalversammlung, bei der die linkspopulistische Abgeordnete Mathilde Panot im Plenarsaal nicht nur mit einer Kiste der Plagegeister herumwedelte, sondern auch freie Desinfektionen für alle forderte, während die Regierung versprach, die Tiere im Dezember mit einer Gesetzesvorlage zur Strecke zu bringen. Alle eint die Sorge davor, dass die nächstes Jahr in Frankreich stattfindenden Olympischen Spiele blutig enden könnten und Paris zum weltgrößten Wanzen-Hub wird.
Dabei galten Bettwanzen in Europa eigentlich längst als mehr oder weniger erledigt. Seit einigen Jahren legen sie aber ein furioses Comeback hin. Die üblichen Verdächtigen machen natürlich wieder die Migration dafür verantwortlich, aber tatsächlich verbreiten die Tiere sich über die Betten von Luxus-Hotels genauso effizient wie über die in Sammelunterkünften. Mit mangelnder Hygiene hat ihre Ausbreitung nichts zu tun, dafür aber mit Mobilität und auch mit Ebay und „Zu verschenken“-Kisten, denn der Trend zum Secondhand kommt ihnen als praktische Mitfahrgelegenheit sehr entgegen.
Aber letztlich sind all das nur Symptome, die Wanzen fänden so oder so ihren Weg, auch wenn die Leute nur noch im Weserbergland wanderten und ausschließlich farbrikneue Billy-Regale aufstellten. Ihr zwischenzeitlicher Rückgang nach dem Zweiten Weltkrieg verdankte sich der flächendeckenden Anwendung von DDT und anderen Insektiziden. Und ehe jetzt jemand deren Wiederausbringung fordert: Die eigentliche Ursache ihres neuerlichen Siegeszugs ist, dass die Wanzen inzwischen resistent gegen allerlei Wirkstoffe geworden sind. Je mehr wir sinnlos sprühen, desto zäher werden die Blutsauger.
Das freut Kammerjäger wie Kammerjägerin, denn eine Bekämpfung der Plagegeister auf eigene Faust ist sinnlos und im Zweifel sogar gesundheitsgefährdend durch unsachgemäßen Einsatz von Giften. Da müssen Profis ran, was nicht nur zeitaufwendig ist und Nerven, sondern auch viel Geld kostet. Am Ende bleibt es wohl ein steter Wettlauf zwischen Mensch und Wanze, und es nicht schwer zu prognostizieren, wer am Ende eben doch immer eine Stechrüssellänge vorne liegen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?