Betriebsrat-Kündigung vor Gericht: Ein bizarres Verfahren
Die Residenz-Gruppe will eine Bremer Betriebsratsvorsitzende los werden. Bei der Güteverhandlung kritisiert die Richterin die Argumentation.
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Rechtskräftig ist all das nicht: Der Kündigung eines Betriebsratsmitglieds hätte der Betriebsrat zustimmen müssen; vor dem Arbeitsgericht soll mit einem Verfahren entschieden werden, ob diese Zustimmung ausnahmsweise ersetzt werden kann. Am Dienstag fand die vorgeschaltete Güteverhandlung statt.
Hoffnungen auf Erfolg dürfte sich der Arbeitgeber dabei nicht machen. Denn eine fristlose Kündigung darf nur aus einem wichtigen Grund erfolgen: Diebstahl wäre ein klassischer Fall. Der Arbeitgeber wirft den Vieren aber im Wesentlichen Protokollfehler und Lügen vor: Eine protokollierte Sitzung habe in Wahrheit gar nicht stattgefunden, mutmaßt die Geschäftsführung; schließlich habe eines der Mitglieder später keine Reisekostenabrechnung dazu vorgelegt.
Vor allem aber, so der Anwalt der Arbeitgeberseite, Franz Michael Koch, habe der Betriebsrat „fast schon inflationär“ Betriebsratsmitglieder bei Sitzungen als unentschuldigt fehlend gemeldet, obwohl diese nur verhindert gewesen seien. Das sei „unkollegial“ und ein „völliger Vertrauensbruch“. „So ein Verhalten ist nicht tolerierbar.“
Kündigung als Zermürbetaktik
„Es ist bizarr, dass Sie sich hier zum Anwalt der Betriebsratskollegen machen wollen“, meint Anwalt Michael Nacken als Vertreter des Betriebsrats dazu. Tatsächlich sei das Protokoll korrekt geführt worden: Fehle ein Betriebsratsmitglied bei einer Sitzung, ohne zuvor Bescheid gesagt zu haben, werde das Mitglied standardmäßig als „unentschuldigt fehlend“ eingetragen. „Das ist sogar dann der Fall, wenn jemand ins Koma gefallen ist und nicht absagen konnte“, erklärt Nacken.
Auch Richterin Sarah Bogner kritisierte während der Verhandlung die Argumentation. „Wenn überhaupt, haben wir hier einen Anfangsverdacht“, so Bogner. „Für eine Kündigung bräuchten wir aber einen dringenden Tatverdacht. Das wird hier nicht ganz leicht.“ Ihr werde nicht ganz klar, was der Arbeitgeber mit dem Verfahren eigentlich bezwecke.
Eine mögliche Erklärung liefert Elmar Wigand vom Verein „Arbeitsunrecht in Deutschland“: „Es geht dem Betrieb nicht darum, ein Verfahren zu gewinnen“, so der Sprecher des Vereins. „Die Strategie solcher Unternehmen ist es stattdessen, Betriebsräte durch im Kern unsinnige Verfahren zu zermürben und von anderen wichtigen Aufgaben abzulenken.“
Die Betriebsratsmitglieder seien sozial von den Unternehmen und der Stimmung in der Belegschaft abhängig. Die Drohungen und langwierigen Prozesse könnten sie in die Aufgabe treiben. „Dass die Arbeitsgerichte dieses Spiel mitspielen, ärgert uns seit Jahren“, so Wigand. Verhandlungen dauerten viel zu lang, Güteverhandlungen dürfe es laut Wigand in diesen Fällen gar nicht geben.
Im Bremer Fall folgt im April der eigentliche Prozessauftakt. Den Vorschlag des Betriebsrats zur Einigung über eine Mediation hat der Arbeitgeber im Güteverfahren am Dienstag abgelehnt. Nicht ohne eine eigene Idee zu unterbreiten – das Verfahren könne ganz einfach beendet werden, so Koch: durch die Entlassung der vier Gesamtbetriebsratsvorsitzenden.
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