Besuch im Luxuskaufhaus Alsterhaus: Ein Montag vor dem Sturm
Die Eigentümer des Hamburger Luxuskaufhauses Alsterhaus sind pleite und die Zukunft ist ungewiss. Zu Besuch im Haus, das nicht weiß, wohin.
Das Alsterhaus ist pleite, genauer seine Eigentümerin, die KaDeWe-Gruppe, und die Gewerkschaft Verdi bangt um die Arbeitsplätze der Angestellten und versichert, dass das Alsterhaus ein Stück Hamburg sei. Die Verkäufer:innen in den Luxusboutiquen im Erdgeschoss tragen Hemd und dunkle Anzüge und viele sind so jung, als gehöre Jugend zum Einkaufserlebnis wie der Raumduft.
Es riecht teuer und aus einem der Shops, der keine Preisschilder kennt, weil Geld keine Rolle spielt, hört man Fetzen eines Gesprächs zwischen drei Angestellten. „Like a telenovela“, sagt eine Frau, „you don’t get this month“, „so traurig“. „Du bist vom sinkenden Schiff abgesprungen“, sagt ein Mann und dann erklärt der Abgesprungene, dass es unsicher sei mit seiner Provision für den nächsten Monat.
Im Alsterhaus sind die Verkäufer:innen eleganter als die Kundschaft, die Kassiererin im ersten Stock könnte auch Professorin an der Sorbonne sein. Aber wie soll man den Leuten auch ansehen, ob sie Geld haben oder nicht, wenn die Turnschuhe für 490 Euro im zweiten Stock, Marke Golden Goose, unfassbar überzeugend ausgelatscht und verblichen aussehen.
Leere Etagen trotz Sale
Trotz 60-Prozent-Sale ist es eher leer auf den Etagen und die Kundschaft uneindeutig. Ein paar Exzentriker in teurem Bunten, ein paar Daunenjackenträger, ein paar osteuropäische und ein paar asiatische Tourist:innen. Ein paar solide Ehepaare, ein paar Teenager in der Boss-Ecke, die sich über Klamotten für 300 Euro unterhalten, aber es wird nicht klar, ob sie in ihr Budget fallen oder nicht.
Das immerhin fällt auf: Das Alsterhaus besuchen auch die Jungen und man könnte sagen, dass entweder das Alsterhaus etwas richtig oder die Jungen etwas falsch machen. Aber trotz der Jugend und der öden Lautsprechermusik, etwas Elektrobeatartigem, ist es still. Es ist eine matte Stille, als sei das Alsterhaus erschöpft vom bloßen Überleben.
Ende der 90er haben die Eigentümer einmal auf ein günstigeres Sortiment gesetzt, aber mit wenig Erfolg. Nun soll es wieder teuer sein, mit BHs für 450 Euro, die ganz vorne hängen, grau-grüne Spitze namens Agent Provocateur, als solle sich niemand einbilden, hier auch welche für 60 Euro zu bekommen. Aber die gibt es auch und wer ein Stock höher den Burberry-Kinderschneeanzug für 520 Euro hinter sich gelassen hat, stößt auf eine Lego-Abteilung, die auch bei Karstadt stehen könnte. Überhaupt: Was ist ein Luxuskaufhaus, das im ersten Stock einen Übergang zu H&M erlaubt?
Wirklich Betrieb ist nur in der Damen-Schuhabteilung, wo auf dem Sessel am Eingang ein Mann mit grauen Locken im blauen Wollmantel sitzt. Ein paar Meter weiter sagt eine Verkäuferin zu einer Putzkraft: „No, wir sind nicht Karstadt“, und das soll Hoffnung machen. Und noch ein paar Schritte weiter hält ein sehr großer Mann einer sehr kleinen Verkäuferin eine Papiertüte hin: „Käse-Spinat“ und später, in einem Hinterzimmer, wird sie ihn umarmen.
Ein Potemkinsches Dorf
Vielleicht ist das Alsterhaus ein Potemkinsches Dorf, mit Pappwänden voller Luxusklimbim, hinter dem sie das gehobene Mittelschichtssortiment aufgebaut haben, weil sie weder an das eine noch an das andere glauben.
Ganz oben, hinter einer Sektbar, an der niemand sitzt, gibt es ein Restaurant unter einem bunten Glasdach, das die Sternzeichen zeigt. Dort sitzt an diesem Montagnachmittag eine Mutter mit einem Burberry-Kind und daneben ein alter Mann in Hemd und Pullunder, der eine Suppe löffelt. Und ein Stück weiter der lockige Mann aus der Schuhabteilung, der vielleicht im Alsterhaus einen Unterschlupf gefunden hat, dem letzten Ort, dem man das zutrauen würde.
Und der Rastamann? Hat eine Badehose gesucht. Und dann gemerkt: „Das ist hier nichts für mich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen