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Besetzte Schule in KreuzbergFlüchtlinge akzeptieren Kompromiss

Die Besetzer können in einem Bereich der Schule bleiben, weitere dürfen nicht nachkommen. Dieser Lösung des Bezirks haben die Flüchtlinge zugestimmt.

Nun können alle etwas entspannen. Bild: dpa

BERLIN taz/dpa | Im Streit über die Besetzung der Schule in Berlin-Kreuzberg durch Flüchtlinge ist laut Polizei und Bezirksamt eine Lösung erreicht worden. Stadtrat Hans Panhoff (Grüne) sagte am Mittwoch, die Flüchtlinge dürften in einem abgegrenzten Bereich der Schule bleiben. Weitere Flüchtlinge dürften nicht kommen. Das Gebäude soll vom Bezirk zu einem Flüchtlingszentrum mit 70 Wohnplätzen umgebaut werden.

Die Flüchtlinge unterschrieben am Mittwochabend eine Vereinbarung mit dem Bezirk. Das teilte der Sprecher des Bezirksamtes, Sascha Langenbach, am Abend mit.

Polizeisprecher Stefan Redlich sagte, der Bezirk habe die Räumungsaufforderung am Mittwochabend um 21.30 Uhr zurückgenommen. Am Donnerstagmorgen hat die Polizei die Absperrgitter rund um die Ohlauer Straße dann auch abgebaut. „Einige Beamte bleiben aber noch weiter an Ort und Stelle“, sagte eine Polizeisprecherin. Seit mehr als einer Woche harrte eine Gruppe von rund 40 Flüchtlingen in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule aus.

Kaum Chancen auf Asyl

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Canan Bayram, weist darauf hin, dass die Einigung auch die Vereinbarung von Straffreiheit für die Flüchtlinge enthalte sowie die Zusicherung, dass die Polizei abziehen werde. Die hatte den Kiez rund um die Schule seit vergangenen Dienstag weiträumig abgeriegelt und war dort zeitweise mit über 1.000 PolizistInnen auch aus anderen Bundesländern im Einsatz. Bayram hatte zwischen den Flüchtlingen und dem Bezirk vermittelt.

Die in der Schule verbliebenen Flüchtlinge wollten der Einigung mit dem Senat nicht zustimmen, die Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) im März mit einem Teil der Protestierenden ausgehandelt hatte: der Senat habe sich an die wichtigsten Inhalte – etwa die Verfügung von Abschiebestopps – nicht gehalten. Andere Schulbewohner, die dem Papier zugestimmt hatten, waren letzte Woche in Flüchtlingsheime gebracht worden.

Die 40 in der Schule verbliebenen Flüchtlinge fordern ein Bleiberecht nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes, das auch von einer Landesbehörde erteilt werden kann. Denn viele der in der Schule verbliebenen Flüchtlinge hätten von dem Einigungspapier mit dem Senat, das unter anderem eine Prüfung der Asylverfahren vorsieht, nicht profitiert: Die größte Gruppe, etwa 15 Personen, stamme wie sie aus dem Sudan, sagt Mae, eine der BesetzerInnen – und habe damit kaum Chancen, als Asylberechtigte anerkannt zu werden. „Die Mehrheit wird abgelehnt, weil Deutschland ihre Fluchtgründe anzweifelt oder ihnen unterstellt, gar nicht aus dem Sudan zu kommen.“

Auch andere Flüchtlinge in der Schule hätten von dem Einigungspapier mit dem Senat nicht profitiert, sagt Hakan Tas, flüchtlingspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Denn auch Marokkaner, die zweitgrößte Gruppe im Haus, haben in Deutschland kaum Chancen auf Asyl: 2013 betrug die Anerkennungsquote bei MarrokanerInnen 1,2 Prozent, bei SudanesInnen sank sie von über 20 Prozent 2012 auf etwa 7 Prozent 2013.

Erschüttertes Vertrauen und neuer Vorschlag

Tas gehört zu den PolitikerInnen, die Zugang zu den Flüchtlingen haben. Außer ihm sind das die Grünen Canan Bayram und der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele. Sie haben in den Verhandlungen zwischen Flüchtlingen und Bezirk vermittelt, um die gewaltsame Räumung der Schule doch noch zu verhindern, die nach einem entsprechenden Ersuchen von Bezirksbaustadtrat Hans Panhoff (Grüne) an die Polizei seit Dienstag drohte. Panhoff hatte sich zu diesem Schritt nach eigener Aussage „im Alleingang“ entschieden. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) hatte eine Räumung tags zuvor noch ausgeschlossen.

Der Kurswechsel hatte das Vertrauen der Flüchtlinge in die Bezirkspolitiker erschüttert: Die Verhandlungen seien „konfus“, klagte Mae: „Wir Flüchtlinge sind uns einig, unsere Forderungen sind klar, aber wir wissen nie, was in den nächsten Stunden passiert. Das macht uns Angst.“

Nun dürfen die Flüchtlinge im dritten Obergeschoss der Schule bleiben. Voraussetzung sei, dass sie gemeinsam mit dem Bezirk den Nachzug von Flüchtlingen verhindern, sagte Bezirkssprecher Sascha Langenbach. Dazu sollten Spezialverriegelungen in Türen und Fenster eingebaut werden.

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23 Kommentare

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  • Es gibt einen Zusammenhang zwischen politscher Unfreiheit und wirtschaftlicher Not. Den hat Dubios weiter unten schon gut erklärt. Ich empfehle die Lektüre!

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    "Nun dürfen die Flüchtlinge im dritten Obergeschoss der Schule bleiben. Voraussetzung sei, dass sie gemeinsam mit dem Bezirk den Nachzug von Flüchtlingen verhindern, sagte Bezirkssprecher Sascha Langenbach."

     

    Teile und herrsche. Es funktioniert immer wieder.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Lächerlicher Kompromiss. Haben es die Großkopfeten doch wieder mal geschafft, die kleinen Demonstranten zu verarschen. Tja, da zeigt sich halt wieder mal, wer mehr Erfahrung hat, wie man Leute über den Tisch zieht.

  • Warum sollte man das tun? Weil sie von den üblichen Verdächtigen dazu ermuntert wurden, auf dem Dach eines öffentlichen Gebäudes Rabatz zu machen? Wohl eher nicht.

    • @frodo911:

      Wie meinen?

  • 8G
    8545 (Profil gelöscht)

    An Alle die hier immer wieder von Erpressung schreiben:

    1992 hat sich Kohl ohne erkennbare Gegenwehr von brandstiftenden Nazis erpressen lassen.

    Die Antwort auf brennende Asylantenheime war nicht die konsequente Bestrafung der Brandstifter. Als Antwort wurde das Asylgesetz ausgehebelt!

    Aus diesem große Erfolg der Nazis heraus ist höchstwahrscheinlich der NSU entstanden.

     

    Der Kahlschlag unseres Asylrechts von 1992 muss rückgängig gemacht werden!

    Da werden mir jetzt sicher alle Gegner von Erpressungen zustimmen, oder?

    • @8545 (Profil gelöscht):

      Der Kabarettist Matthias Deutschmann hat damals gesagt, die Politik hat sich die Asyldebatte anheizen lassen.

      "VEB Fernwärme aus Mölln".

  • Was sich in dieser Stadt abspielt spottet jeder Beschreibung. Handlungsunwillige laissez faire Mandatsträger eskalieren die Situation um sie auf Staatskosten wieder zu deeskalieren und dieses Vorgehen als Erfolg zu kommunizieren. Aber Berlin ist ja soooooo tolerant und sexy und ja überhaupt soooo ganz anders als der spießige Rest der Repubklik... Sorry Berlin, du bist und bleibst eine stinkende, alte Hure.

    • @dede:

      Dafür nimmt Berlin seit mehr als 40 Jahren die Dropouts der BRD, damit im Ländle das Schaffen besser funktioniert.

    • @dede:

      Nope, da würde man fürs dauernde Geldreinschaufeln wenigstens eine Gegenleistung bekommen. Und wenns ums Nehmen geht ist der böse Kapitalismus dann plötzlich nicht mehr so schlimm...

  • Diese Regelung bedeutet den Beginn des Unterganges des Rechtsstaates in Deutschland. Eine Bürgermeisterin des Stadtbezirkes Kreuzberg hebelt damit Bundesrecht aus. Diese Personen haben laut Gesetz kein Bleiberecht in Deutschland und müssen abgeschoben werden. Dieser Sachverhalt wird durch den Bezirk Kreuzberg quasi ausgehebelt. Total enttäuscht bin ich von der Bundesregierung welche hier nicht eingreift sondern total untertaucht. Leider haben wir keinen Bundeskanzler Schmidt mehr welcher in Mogadischu Rückgrat bewiesen hat und sich nicht einschüchtern ließ.

    • @Karl Martell:

      Leider beweisen Sie schlechte Rechtskenntnisse. Diese Personen müssen keineswegs abgeschoben werden, momentan haben Sie eine Duldung (eine Aussetzung der Abschiebung), diese kann auch beliebig verlängert werden, wenn der Staat dies möchte. Auch könnte man den Leuten ein humanitäres Bleiberecht geben laut Ausländerrecht, auch bei abgelehnte Asylanträgen.

       

      Mit so schlecht im Recht bewanderten Staatsbürgern droht hier ja vielleicht tatsächlich der Untergang des Abendlandes...

      • @Dubiosos:

        "kann" und "könnte" sind die entscheidenden Wörter in Ihrem Kommentar. Der Staat kann, muss nach Rechtslage aber nicht. Punkt.

        Die Vereinbarung ist bestenfalls ein Anreiz für andere Flüchtlinge ähnliche Proteste zu wiederholen. Schließlich wissen jetzt ja alle, wer nur laut genug schreit bekommt Recht. Es wird sicher nicht lange dauern und wir werden über die nächsten Protescamps/Besetzungen in Kreuzberg lesen. Aber glücklicherweise ist dies nur ein kreuzberger Problem.

        • @MRO:

          Ich habe nichts anderes behauptet. Bodensee aber behauptete "und müssen abgeschoben werden". Dies ist sachlich und faktisch falsch. Dies habe ich festgestellt.

           

          Wie man das jetzt bewertet und OB man eine Aufenthaltsgenehmigung ausspricht steht auf einem ganz anderen Blatt und dazu habe ich mich nicht geäußert.

        • @MRO:

          Nicht die Vereinbarung ist Anreiz zu weiteren Protesten, das menschenverachtende europäische Asyl- und Einwanderungssystem ist Anreiz zu weiteren Protesten!

    • @Karl Martell:

      Jaja, der Untergang des Abendlandes...er kommt unaufhaltsam näher. Schon mal ans Auswandern gedacht, Bodensee? Wie wärs mit Syrien, zum Beispiel? Die dortige Regierung beweist "Rückgrat", dass es nur so scheppert!

  • Wer kam eigentlich darauf, ständig zwischen "Politischen" und "Wirtschaftsflüchtlingen" zu unterscheiden? Das ist doch völlig weltfremd.

    • @Ralf Krämer:

      Der Unterschied zwischen "mir droht Gefahr" und "mir gehts schlecht".

      Und drauf kamm unter anderem die Genfer Flüchtlingskonvention.

      • 9G
        90191 (Profil gelöscht)
        @DasNiveau:

        Da ist kein nennenswerter Unterschied, der eine fremdenfeindliche Politik plausibilisieren würde.

  • Das Grundprobleme ist doch schon mal, dass die Anerkennungsquoten von Sudanes_Innen so gering sind. Im Sudan/Südsudan herrscht momentan Bürgerkrieg und es ist mir völlig unklar, wie man da auch nur einen Einzigen ablehnen kann. Krieg betrifft jedem, der in einem Land lebt und stellt einen definitiven Fluchtgrund dar.

     

    Anerkennungsquoten von 1,2% bei Marrokaner_Innen sind auch ein Witz, wenn man bedenkt, dass Marroko eine Diktatur ist, in der massenweise Menschenrechtsverletzungen dokumentiert werden. Aber ja, erst lehnt man die Leute mit absurden Argumenten ab und dann behauptet man, sie wären sog. "Wirtschaftsflüchtlinge".

    • @Dubiosos:

      Vermutlich wurden die Anträge auch abgelehnt weil man annimmt das die Antragsteller nicht aus dem Sudan stammen. Könnte eine Erklärung sein.

    • @Dubiosos:

      Der überwiegende Teil der Welt besteht aus irgendwelchen Diktaturen, wo Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. All diesen Leuten Asyl gewähren zu wollen, wird die Probleme nicht lösen, sondern massiv verschärfen. Und ja,selbstverständlich kommt der überwiegende Teil auch aus diesen Regionen aus wirtschaftlichen Gründen zu uns. Die Annahme hier gäbe es vor allem politische Anliegen (die auch nur ansatzweise zu unserem politischen System kompatibel wären) ist ein gefährlicher Irrglaube.

      • @frodo911:

        Wir müssen ja auch nicht allen Menschen aus allen Diktaturen Asyl gewähren, sondern nur denen, die es bis hierhin schaffen. Weil (zur totalen Verwunderung aller Konservativen, die Deutschland als Traumland für jeden Einwanderer sehen) die meisten bleiben nämlich in ihrem Land, fast alle anderen bleiben in Nachbarländern. Hier nach Deutschland kommen gerade mal ein paar Promille der weltweiten Flüchtlinge.

         

        Im Übrigen gibt es auch WSK-Rechte (Wirtschaftliche, Soziale, Kulturelle) und deren Einschränkung kann auch zur Anerkennung als Flüchtling führen. In einer Diktatur ist man meist nun einmal wirtschaftlicu auch massiv behindert und ich kann es verstehen, wenn man deshalb flieht. Was ist denn das für eine Argumentation, zu sagen jemand ist nicht verfolgt, nur weil man ihn nicht politisch verfolgt, sondern ihn langsam aushungern lässt, da er sich kein Essen leisten kann? Ist das nicht auch tödliche Gefahr?

         

        Wir reden hier ja nicht von einer Binnenmigration wie innerhalb der EU, wo bspws. Deutsche in die Schweiz gehen, um noch mehr zu verdienen, obwohl ein Lohn in Deutschland auch zum Leben reicht - Wir reden hier häufig von Ländern, in denen Schlicht Mangelernährung und totale Armut herrschen.