Beschuss eines türkischen Frachtschiffs: Droht eine neue Eskalation?
Griechische Küstenschutzschiffe sollen in der Ägäis auf einen Frachter geschossen haben. Athen spricht von Warnschüssen.
Nach der griechischen Version befand sich das Schiff in griechischen Hoheitsgewässern bei Lesbos und hätte auf Anfragen nicht reagiert. Die Küstenwache hätte daraufhin einige Warnschüsse abgegeben, worauf das Schiff in türkische Hoheitsgewässer gefahren sei. Nach türkischen Angaben befand sich das Schiff in internationalen Gewässern elf Meilen südlich der türkischen Insel Bozcaada. Die griechische Küstenwache hätte das Schiff beschossen und sei erst abgedreht, als die türkische Küstenwache herbeieilte und das Schiff in sichere Gewässer eskortierte.
Tatsächlich werden in sozialen Medien in der Türkei mehrere von Besatzungsmitgliedern des Schiffes aufgenommene Videos gezeigt, auf denen zu sehen ist, wie die griechische Küstenwache nahe an das Schiff heranfährt. Dann sind Schüsse zu hören und man sieht ein Fenster auf der Brücke, das von einer Kugel durchschlagen wurde. Personen wurden nicht verletzt. Die Besatzung besteht aus Seeleuten aus Somalia, Ägypten, Aserbaidschan und der Türkei. Die Türkei hat von Griechenland eine Erklärung gefordert, die griechische Botschaft in Ankara reagierte auf Anfragen nicht.
Griechenland und Türkei im Dauerkonflikt
Die Anatolian ist ein uraltes, völlig heruntergekommenes Schiff, das von Somalia kommend durch die Dardanellen und den Bosporus ins Schwarze Meer fahren sollte, um dort in einer Werft wieder aufgepäppelt zu werden. Dem Äußeren nach zu urteilen könnte es von der griechischen Küstenwache für eines der Schrott-Schiffe gehalten worden sein, mit denen manchmal Flüchtlinge transportiert werden. Allerdings war es nicht in Richtung Griechenland oder Italien unterwegs, sondern eindeutig in Richtung türkischer Küste und den Dardanellen.
Griechenland ist in den letzten Monaten immer wieder nachgewiesen worden, dass es Flüchtlinge durch illegale Pushbacks zurückdrängt und dabei durchaus deren Tod in Kauf nimmt. Zur Verteidigung behauptet die griechische Regierung, die türkische Gendarmerie und Polizei würde Flüchtlinge gewaltsam über die griechische Grenze drängen.
Hinzu kommt, dass sich Griechenland und die Türkei seit Monaten gegenseitig die Verletzung ihrer Hoheitsgewässer oder ihres Luftraumes vorwerfen. Zuletzt waren türkische Jets während eines von der Nato erbetenen Fluges über offenem Meer westlich von Rhodos von einem griechischen Raketenabwehrsystem erfasst worden, das auf Kreta stationiert ist. Das gilt international als kriegerischer Akt. Die türkische Regierung hatte der Nato diesen Vorfall gemeldet.
Der Streit hatte sich zuletzt am Status der Inselgruppe Dodekanes vor der türkischen Küste entzündet. Diese Inseln gehörten, als sie 1912 von Italien besetzt wurden, zum Osmanischen Reich. Als die Inseln nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 von Italien an Griechenland abgegeben wurden, wurde vertraglich vereinbart, dass sie demilitarisiert sein müssten. Die Türkei beklagt, dass Griechenland immer mehr Militär auf die Inseln verlegt.
Athen behauptet, man tue dies, weil die Türkei die Inseln vom Festland aus durch Landungsboote bedrohe. Die türkische Regierung hatte später sogar mit einem Militäreinsatz gedroht. In einer Rede hatte Präsident Erdoğan gesagt, die Griechen sollten sich in Acht nehmen, sonst „wären wir eines Nachts plötzlich da“. Nach dem letzten Zwischenfall am Samstag droht nun eine weitere Eskalation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel