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Bernie Sanders schmeißt Kandidatur hinEin winziger Trost

Dorothea Hahn
Kommentar von Dorothea Hahn

Sanders hat es nicht vermocht, die AfroamerikanerInnen zu gewinnen. Aber er hat die Debatten verändert.

Obwohl es ein paar Vorwahlen lang tatsächlich so aussah, als wäre er Favorit, ist Sanders nun raus Foto: ap

B ernie Sanders ist einfach zu gut für das Weiße Haus. Er war der ehrlichste, der unabhängigste, der mutigste Kandidat. Er war der einzige, der mit einem Programm antrat, an dem er sein ganzes Leben gearbeitet hat und dem er immer treu geblieben ist.

Der demokratische Sozialist war wie geschaffen für diesen Moment in der Geschichte des Imperiums. Er hat den Finger in die Wunden eines tief gespaltenen Landes voller Ungerechtigkeiten und Gewalt im Inneren und Äußeren gehalten. Und er hat realistische Auswege angeboten.

Neben Sanders wirken alle anderen PolitikerInnen der USA gleich. Während DemokratInnen und RepublikanerInnen immer weiter am Mythos arbeiten, die USA seien das beste aller Länder, ein Vorbild für den Rest des Planeten und ein Paradies des vertikalen Aufstiegs, in dem jedeR Teil der Middle Class werden könne, hält Sanders seinen Landsleuten den Spiegel vor.

Im scharfen Kontrast zu den jahrzehntelangen ideologischen Verblendungen hat Sanders die extremen Klassengegensätze in den USA zurück auf die Tagesordnung gebracht. Er hat eine Realität beschrieben, die das Leben der Mehrheit der US-AmerikanerInnen bestimmt und behindert: von stagnierenden Reallöhnen über Obdachlosigkeit, mangelnde medizinische Versorgung und unbezahlbar teuren Universitäten bis hin zu erdrückenden privaten Schuldenlasten. Und er hat die Ungerechtigkeit angeprangert, wonach eine winzige Gruppe von Reichen nicht nur ihre eigenen Geschäfte, sondern auch die politischen Geschicke des Landes bestimmen. Für die große Menge hat Sanders den Begriff der „99 Prozent“ geprägt. Die Minderheit der Mächtigen hat er „die Ein-Prozenter“ und „die Milliardärsklasse“ genannt.

Sanders Vorschläge stammen aus dem Arsenal der Sozialdemokratie. Dazu gehören Rechte am Arbeitsplatz, soziale Absicherungen und Krankenversicherungen für alle

Auch in der Außenpolitik, der Verortung der USA im internationalen Vergleich, ist Sanders anders. Er hat sich gegen die nationale Borniertheit und das Einheitsdenken von Jahrzehnten gestemmt und hat Fenster geöffnet. Er wagte es, die Sozialpolitik des kleinen Dänemark zu loben, an die von Washington organisierten militärischen Umstürze und Einmischungen zu erinnern und eine Stärkung der Diplomatie zu verlangen. Er war auch der einzige Kandidat, der von Israel Respekt für die Rechte der Palästinenser als Gegenleistung für die US-amerikanische Militärhilfe verlangte.

Sanders Sprache ist auf eine typisch US-amerikanische Art populistisch. Aber seine Politikvorschläge stammen aus dem Arsenal der Sozialdemokratie. Dazu gehören Löhne, von denen Beschäftigte leben können, Rechte am Arbeitsplatz, soziale Absicherungen und Krankenversicherungen für alle und ein Infrastrukturprogramm für eine neue Klimapolitik. Und natürlich forderte er auch eine Rückkehr der USA in internationale Verträge und Organisationen und eine Stärkung der UNO.

Mit einem Präsidenten Sanders hätte es Hoffnung auf Veränderung in den USA gegeben. Und ein paar Vorwahlen lang sah es tatsächlich so als, als wäre er der Favorit der Basis. Die Wende kam, als sich Anfang März das Establishment der Demokratischen Partei zusammenschloss, um den demokratischen Sozialisten zu verhindern. In einer Hauruckaktion Anfang März setzte die Partei Joe Biden als Kandidaten durch – einen Mann des Apparats, der alle Fehler der US-Politik der vergangenen Jahrzehnte mitgetragen hat.

Sanders hat es nicht geschafft, die afroamerikanische Basis zu gewinnen. Und er ist auch daran gescheitert, den älteren DemokratInnen die Angst vor einem demokratischen Sozialismus zu nehmen. Aber er hat es geschafft, die politische Debatte nachhaltig zu verändern und Joe Biden zu zwingen, zumindest Teile seines Programms zu übernehmen. Sanders hat zudem mehrere Gruppen von jungen Leuten, von Latinos und von GroßstädterInnen in die Politik geholt. Seine Präsidentschaftskandidatur ist gescheitert. Aber seine Bewegung lebt und wird weiter versuchen, die Politik zu verändern. Angesichts einer verpassten historischen Chance ist das ist immerhin ein kleiner Trost.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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12 Kommentare

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  • Schade, Bernie. Nur Mut. Du wirst noch gebraucht.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wie das Gros der Schreiber so das Gros der Foristen.

    Von anderen Beteiligten ganz zu schweigen.

  • Ein Typ, der ein Regierungssystem, daß in der Vergangenheit immer versagte, propagiert, versagt. Bereits zum 2. Mal. Die pure Ironie..................

    "In einer Hauruckaktion Anfang März setzte die Partei Joe Biden als Kandidaten durch – einen Mann des Apparats, der alle Fehler der US-Politik der vergangenen Jahrzehnte mitgetragen hat."

    Das ist ja richtig. Biden hat in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Aber wenigstens hat er etwas gemacht. Im Gegensatz zu Sanders. Sanders ist ebenso lange in der Politik wie Biden und tat in all den Jahrzehnten einfach gar nichts. Sanders ist einfach faul.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Tobias Schmidt:

      Ein Post, dessen Intention sich selbst entlarvt. Sie braucht noch nicht mal angedeutet oder gar ausgesprochen zu werden.

      Wer sich Personen und Funktionen anschaut, der versteht auch, dass Biden "etwas gemacht" hat - und Sanders nicht. Sanders wurde vom Apparat der Dems auf Distanz gehalten. Der Zweck heiligte die Mittel.

      Wer dies nicht sieht oder sehen kann, dem ist auch mit Widerspruch nicht beizukommen.

      Glückauf!

      • @76530 (Profil gelöscht):

        "Sanders wurde vom Apparat der Dems auf Distanz gehalten."

        Wie? Zum einen gibt es in den USA keinen Fraktionszwang und zum anderen war Sanders eh länger "independent" als "democrat". Ferner hat die Überparteilichkeit in den USA eine ganz andere Bedeutung als z.B. in Deutschland. Beispiel: Die einzige Gemeinsamkeit zwischen "Red" Cortez (D) und Ted Cruz (R) besteht wohl darin, daß sie den gleichen Planeten bewohnen. Dennoch haben beide, über alle ideologischen Unterschiede hinweg, gemeinsame Gesetzvorhaben auf den Weg gebracht.

        Das hätte auch Sanders in all den Jahren tun können. Er warb z.B. für den Erlass von Studiengebühren. Er hätte einfach ein entsprechendes Gesetzesvorhaben formulieren müssen und anschließend versuchen müssen Mehrheiten dafür zu organisieren - genau dafür sind Politiker doch da.

        Möglich, daß dieses Vorhaben gescheitert wäre. Dann hätte ich Sanders aber auch keine Faulheit vorgeworfen.

        Faulheit werfe ich ihm ausdrücklich vor, da er eben in beinahe 4 Jahrzehnten 3 (!!!) Gesetze auf den Weg brachte, und eines davon war eine Namensänderung für ein Postamt in Vermont !

        Guter Freund, mir ist ja klar, daß sie ein Sandersunterstützer sind. Ist ja auch nicht verwunderlich oder gar verwerflich; Sanders verspricht eine bessere und gerechtere Welt, wer würde ihm hier auch widersprechen wollen?

        Dennoch: bei Versprechungen bleibt es dann auch. Sanders ist ein Blender, der sie und sehr viele andere getäuscht hat.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Tobias Schmidt:

          Ihre Interpretation weist Schwächen auf - wie auch Ihre Ansprache zum Schluss. Dass ich bekennender Fan von Bernie Sanders bin, habe ich in zahlreichen Posts der letzten Monate deutlich gemacht.

          Ihre Bewertung von Sanders teile ich nicht, obwohl ich das doch eigentlich als "Getäuschter" müsste.

          Warum? Mir geht es primär um Inhalte. Sekundär natürlich auch um Personen - und deren Stärken und Schwächen.

          Wenn "Blenden" ein Bernie Sanders eigenes Alleinstellungsmerkmal wäre, wäre es der Rede wert. So nicht. Kandidaten müssen blenden und bluffen. Andernfalls werden sie nicht gewählt. Siehe Obama. Siehe Trump.

          Und noch eines: Sanders wäre ohnehin nur Übergangspräsident geworden, bis aus den Reihen der verheißungsvollen jungen Wilden eine 'nachwachsende' Kandidatin die Altersvoraussetzungen für eine Präsidentschaft erfüllt hätte.

          Aber was nicht ist, wird noch. Sofern bis dahin Wahlen nicht abgeschafft worden sind. Leider dann wohl ohne Bernie Sanders.

          Das mit dem "guten Freund" vergessen wir beide mal ganz schnell. Vom hohen Ross ist die Fallhöhe beträchtlich ...

  • "Schmeißt hin", "versagt", und das auch noch "stimmlich" - klanglich ziemlich glimpflich.

  • Ich moechte mich bei Frau Hahn fuer die klare und kritische Berichterstattung und Kommentierung ueber die Situation in den USA bedanken.







    Seit ich 1982 die USA besucht hatte, war ich immer wieder erstaunt, wenn JournalistInnen, auch in der TAZ, die USA als Vorbild fuer den Rest der Welt beschrieben haben. Es ist ein Land, wo der Geldadel regiert und dieser sich wenig oder gar nicht fuer die soziale Situation der Armen interessiert. Deshalb kann die USA kein Vorbild fuer Demokratie (und Menschenrechte) sein , wenn wir darunter die Herrschaft und Kontrolle aller BuergerInnen ueber den Staat verstehen. Natuerlich koennen die BuergerInnen zwischen verschiedenen Gruppen des Geldadels auswaehlen. Einige davon sind schlimmer als andere, wie Herr Trump und seine Gruppe gerade beweisen. Aber jeder ernsthafte Versuch, das System durch Wahlen zu aendern, wird durch den Geldadel in beiden Parteien verhindert. Das ist durch das politische Ausbooten von Herrn Sanders bei diesem und beim letzten Vorwahlkampf klar demonstriert worden.

    Leider gilt bei diesem System in den USA auch: Schlimmer geht Immer! Herr Trump und seine Gruppe haetten sich auch erfolgreich bei der Mafia auf eine Fuehrungsrolle bewerben koennen.

    • 9G
      91491 (Profil gelöscht)
      @Reinhard Huss:

      Kann mich dem nur anschließen.



      Sehr gut.

  • Ein guter Kommentar - aber was soll dann die Aussage 'Sanders hat versagt" ?? Die Borniertheit All der Anderen kann man Sanders ja schlecht anlasten, oder?



    Gleichzeitig sollten wir Alle dieses Resumee der gescheiterten Veränderungsmöglichkeit in den USA zum Anlass nehmen, das Verhältnis Deutschlands gegenüber der USA kritisch zu überdenken. Müssen wir über jedes Stöckchen springen, welches uns USA und NATO hinhalten? 2% des Bruttosozialprodukts für Rüstung? Vorbereitung eines Krieges gegen Russland?



    Die derzeitige Corona-Pandemie kann da zusätzlich helfen, darüber nachzudenken, mit welchem Geld wir was erreichen wollen.

    • @dodolino:

      zustimm...

      Ist es nicht auch so, dass das gesamte demokratische Establishment wieder einmal ziemlich offen und unfair gegen Sanders (und für Biden) gekämpft hat?

      Ich habe es bisher außerdem so verstanden, dass die zornigen Jungen eher von Obama (und Trump :-( ) zumindest "aktiviert" wurden, auch wenn deren Vorstellungen von Veränderungen oft gut zum Programm von Sanders passen.



      Oder sehe ich das falsch?