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Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe„Wenn ich meinen Job gut mache, gehören Konflikte dazu“

Zu wenig Ausbildungsplätze, Kürzungen im Haushalt, Krach mit der CDU: Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) im Interview über ihre vielen Baustellen.

„Wir könnten 2028 mit der Ausbildungsumlage starten“: Berlins Arbeits- und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) Foto: Katharina Kausche/dpa
Marie Frank
Rainer Rutz
Interview von Marie Frank und Rainer Rutz

taz: Frau Kiziltepe, an diesem Montag beginnt das neue Ausbildungsjahr. Wieder werden tausende junge Menschen ohne Ausbildung dastehen. Ist das vor genau zwei Jahren gegründete Bündnis für Ausbildung gescheitert?

Cansel Kiziltepe: Jeder Akteur im Bündnis arbeitet intensiv daran, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Alle strengen sich an. Wir schauen uns die Ausbildungszahlen zum Jahresende an und werten sie aus. Nach diesem Ergebnis handeln wir dann. Die aktuellen Zahlen bereiten mir jedenfalls große Sorge.

taz: Werden bis Jahresende keine 2.000 zusätzlichen Verträge abgeschlossen, soll die Ausbildungsplatzumlage kommen. Nach am Freitag veröffentlichten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit gibt es aktuell aber sogar rund 2.100 Ausbildungsplätze weniger als im Vorjahr. Das Ziel „2.000 mehr“ ist doch realistisch nicht zu erreichen.

Kiziltepe: Schaffen wir es nicht, die Zielmarke zu erreichen, sage ich klar: Die Ausbildungsplatzumlage kommt. Das ist unsere Vereinbarung im Koalitionsvertrag. Denn in Berlin liegt die Ausbildungsquote im Vergleich zu anderen Bundesländern unter dem Durchschnitt. Deshalb wollen wir Betriebe, die ausbilden, mit einem solidarischen Umlagesystem finanziell unterstützen.

Im Interview: Cansel Kiziltepe

Cansel Kiziltepe ist seit April 2023 Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung im schwarz-roten Berliner Senat Wegner. Davor war die gebürtige Kreuzbergerin fast zehn Jahre für die SPD Abgeordnete des Bundestages. In der SPD wird die 49-Jährige dem linken Parteiflügel zugerechnet.

taz: Sie gehen auch davon aus, dass es keine 2.000 zusätzlichen Verträge geben wird?

Kiziltepe: Wir warten es ab.

taz: Der Gesetzentwurf dafür ist derzeit in der Abstimmung. Wann könnte er in Kraft treten?

Kiziltepe: Bremen hat bereits so eine Umlage. Dort gab es eine Übergangszeit von zwei Jahren, das wird auch in Berlin so sein. Wir müssen erst mal alle Daten sammeln und eine Ausbildungskasse einrichten. Wir könnten voraussichtlich 2028 mit der Umlage starten.

taz: Damit junge Menschen in Berlin eine Ausbildung machen können, brauchen sie bezahlbaren Wohnraum. Schon im März forderten Azubis von Ihnen mehr Unterstützung bei der Wohnungssuche. Wie ist der aktuelle Stand beim Azubiwerk, das die Wohnungen organisieren soll?

Kiziltepe: Berlin braucht ein Azubiwerk nach dem Vorbild von München und Hamburg. Das Studierendenwerk gibt es seit über 100 Jahren, aber keines für Auszubildende. Wir haben eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben und werden bis Jahresende wissen, wie hoch der Bedarf ist.

taz: Erklärtes Ziel des Senats ist es auch, Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 abzuschaffen. Tatsächlich aber steigen die Zahlen. Nun soll laut Haushaltsentwurf 2026 auch noch fast eine Million Euro bei Projekten für Wohnungslose wie Housing First gekürzt werden. Wie passt das zusammen?

Kiziltepe: Unsere Housing-First-Projekte werden nicht gekürzt. Es ist ein wichtiges Ziel, Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu überwinden. Wir haben viele Maßnahmen, Housing First gehört dazu, die Hitze- und Kältehilfe und die gesamte Unterbringung, für die die Bezirke zuständig sind. Wir planen gerade die gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung von geflüchteten und obdachlosen Menschen. Wir wollen das bisherige Verfahren digitalisieren. Das Gesetz dafür kommt bald in den Senat.

taz: Was genau soll jetzt dadurch besser werden?

Kiziltepe: Wir erhoffen uns eine bessere Koordinierung. Die Unterkünfte des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten erfüllen Qualitätsstandards. Wenn die Ankunftszahlen bei den Geflüchteten weiter sinken, möchten wir deshalb den Bezirken unsere qualitätsgesicherten Unterkünfte zur Verfügung stellen. Die Unterkünfte dort sind eben nicht qualitätsgesichert und trotzdem sehr teuer. Berlin zahlt dafür jedes Jahr etwa 360 Millionen Euro.

taz: Und deswegen streichen Sie jetzt Gelder? Die Bezirke haben ja auch nicht mehr Mittel.

Kiziltepe: Wir haben eine angespannte Haushaltslage. Auch in meinem Haus wird es Kürzungen geben. Aber ich habe immer gesagt, ich will keinen sozialen Kahlschlag. Wir wollen die Strukturen erhalten, die in den vergangenen Jahren aufgebaut wurden, auch bei den Wohnungs- und Obdachlosenprojekten. Und das tun wir auch.

taz: Aber wenn die Abschaffung der Wohnungs- und Obdachlosigkeit so ein wichtiges Ziel ist, noch mal: Warum wird dann bei Housing First gekürzt?

Kiziltepe: Noch mal: Unsere Housing-First-Projekte werden nicht gekürzt und das Ziel haben wir nicht aufgegeben. Wir tun alles, was mit den vorhandenen Mitteln getan werden kann. Die Aufstellung des neuen Haushalts war wirklich nicht einfach. Aber auch mein Haus muss die Sparvorgaben einhalten.

taz: Wohnungslosigkeit bei Frauen liegt häufig an gewalttätigen Partnern. In Berlin gibt es aber immer noch zu wenig Frauenhausplätze. Wann wird das versprochene neunte Frauenhaus eröffnet? Berlin erfüllt bei weitem nicht die Vorgaben der Istanbul-Konvention.

Kiziltepe: Das stimmt. Wir sind noch nicht so weit, dass wir die Vorgaben der Istanbul-Konvention erfüllen. Dabei ist das ein so drängendes Thema, denn Fälle von häuslicher Gewalt und Femizide steigen. Wir haben zugleich wesentliche Fortschritte in den vergangenen Jahren gemacht, etwa bei der Forderung nach einer elektronischen Fußfessel und anderen Maßnahmen zum Schutz der Frauen. Das neunte Frauenhaus ist auch in der Planung.

taz: Das ist schon seit 2020 in Planung. Gibt es einen Zeitplan, wann es auch öffnet?

Kiziltepe: Das neunte Frauenhaus ist fest eingeplant und die Finanzierung steht. Wir kommen voran. Aber das Haus muss zunächst umfassend saniert werden.

taz: Eigentlich bräuchte es noch ein zehntes Frauenhaus.

Kiziltepe: Nun müssen wir erst mal das neunte fertigstellen.

taz: Bleiben wir beim Haushalt, der noch andere Zumutungen in Ihrem Bereich enthält, etwa beim Sozialticket. Der Zuschuss an die BVG soll erneut um 10 Millionen auf jetzt 51 Millionen Euro gesenkt werden. Das Ticket wird also noch teurer?

Ich habe verhindert, dass das Sozialticket künftig noch teurer wird

Cansel Kiziltepe, SPD

Kiziltepe: Das Sozialticket hat anfangs 27,50 Euro gekostet, dann wurde es auf 9 Euro abgesenkt und im vergangenen Jahr wegen der Einsparungen auf 19 Euro angehoben. Jetzt kann es eine Rückkehr auf den Ausgangswert geben. Was ich sagen will: 9 Euro würde ich mir auch wünschen, aber ich muss sparen und schauen, was vertretbar ist. Ich habe verhindert, dass das Sozialticket künftig noch teurer wird. Wir wollen das Sozialticket als freiwillige soziale Leistung im Land Berlin erhalten, damit auch Menschen mit wenig Geld weiterhin Bus und Bahnen fahren können. Mein Entwurf wird jetzt im Abgeordnetenhaus beraten.

taz: Sollen Ihnen nun die Abgeordneten das Geld für das Ticket wieder in Ihren Haushalt schreiben?

Kiziltepe: Nicht wir im Senat sind der Haushaltsgesetzgeber, sondern die Abgeordneten. Und, na klar: Ich würde es mir wünschen. Aber es ist eben auch viel Geld.

taz: Ganz anderes Thema. Anfang Juli knallte es im Senat, als Sie eine Ansprechperson für antimuslimischen Rassismus einsetzen wollten. Das scheiterte. Sie erklärten, es gebe noch Abstimmungsbedarf. Haben Sie sich inzwischen abgestimmt?

Kiziltepe: Wir brauchen in Berlin eine Ansprechperson für alle Menschen, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind. Und die gibt es jetzt seit dem 1. Juli in meinem Haus.

taz: Aber eben nur in Ihrem Haus, nicht, wie ursprünglich geplant, als offizielle Ansprechperson des Landes.

Kiziltepe: Ich glaube, niemand bezweifelt, wie notwendig eine Ansprechperson für antimuslimischen Rassismus ist. Die zunehmende Zahl der Angriffe ist besorgniserregend. Muslime und Menschen, die als Muslime wahrgenommen werden, werden bespuckt, beschimpft, attackiert. Diese Menschen müssen geschützt werden, auch politisch, und dafür sorge ich.

taz: Kommt das Thema im Senat erneut auf den Tisch? Nach unseren Informationen soll das noch im September der Fall sein.

Kiziltepe: Wir werden Gespräche führen, ob die Ansprechperson auch eine Ansprechperson des Landes werden kann.

taz: Sie sagen, niemand bezweifle die Notwendigkeit. Da hören wir anderes aus der CDU. Dort wird darauf verwiesen, dass es weit mehr antisemitische als antimuslimische Vorfälle gibt.

Kiziltepe: Natürlich ist Antisemitismus ein großes Problem, die Zahl antisemitischer Verfälle ist gestiegen. Wir erleben auch Antiziganismus und eben antimuslimischen Rassismus in unserer Stadt. Da gilt es für den gesamten Senat, eine klare Haltung zu zeigen. Wir dulden keine der genannten Angriffe und Diskriminierungen, und da mache ich keine Unterschiede.

taz: Nicht nur beim Thema antimuslimischer Rassismus, bei unzähligen Debatten gibt es Krach mit Ihren Senatskolleg:innen. Würden Sie noch mal Senatorin in einem schwarz-roten Senat werden wollen?

Kiziltepe: Ich freue mich, dass ich Senatorin dieses Hauses bin, dass Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Inklusion, Antidiskriminierung und Vielfalt meine Arbeitsgebiete sind. Das ist für mich der schönste Job. Und wenn ich meinen Job als Senatorin gut machen und vorankommen will, gehören eben auch Konflikte dazu.

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