Berlins Regierende in der Krise: Der Glanz ist dahin
Von wegen strahlende Macherin: Nach einer desolaten Woche muss sich Franziska Giffey um ihren Stand in Partei und Koalition sorgen.
Z wei Tage reichten, um SPD-Glamour-Girl Franziska Giffey auf den Boden der Berliner Landespolitik aufschlagen zu lassen. Beim Landesparteitag am Sonntag erhielt die Landeschefin bei ihrer erstmaligen Wiederwahl lediglich 58,9 Prozent; ein Absturz von 30 Prozentpunkten im Vergleich zu 2020. Das ist selbst für die als selbstzerstörerisch bekannten Berliner Sozialdemokraten ein Rekord.
Dazu stimmten die Delegierten mit großer Mehrheit für zwei Anträge, die inhaltlich weit von Giffeys politischer Linie liegen: Ein klare Distanzierung von der Verlängerung der Stadtautobahn 100, die die FDP im Bund forciert und Teile der SPD nicht ausschließen wollten, und ein deutlicher Schritt zu auf die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen. Zu beiden Punkten äußerte sich Giffey auf dem Parteitag nicht: Als die Debatten begannen, war sie schon gegangen.
Trotzdem dirigierte die Regierende Bürgermeisterin am Montag die Abgesandten aus Politik, Verbänden und Immobilienwirtschaft mit einem Dauerlächeln durch die feierliche Unterzeichnung des Wohnungsbündnisses des Senats. Selbst die verlief aber weniger glänzend als erhofft: Der berüchtigte schwedische Großvermieter Heimstaden war nicht zur Unterschrift bereit, obwohl ihm der Senat extra eine verlängere Frist dafür eingeräumt hatte.
Auch die Koalitionspartner Grüne und Linke hielten ihre Bedenken nicht hinterm Berg. Giffeys Stellvertreter Klaus Lederer (Linke) räumte gar Giffeys jüngstes mietenpolitisches Rettungsangebot – eine Begrenzung bei Mieterhöhungen auf 30 Prozent des Haushaltseinkommens – öffentlich als bloße „Härtefallregelung“ ab, die kaum zum Einsatz kommen werde. Und in den Fraktionen von Grünen und Linken lächeln sie abschätzig über Giffeys Bündnis.
Der Lack ist also ab. Fast genau ein halbes Jahr nach Amtsantritt als Regierende Bürgermeisterin und neun Monate nach ihrem Wahlsieg ist Giffey nicht mehr die Leuchtgestalt, die der SPD den lange für unmöglich gehaltenen erneuten Einzugs ins Rote Rathaus bescherte. Für sie steht nun an, was gewöhnlich vor einem solchen Sieg steht: die Tour durch die Kreisverbände, Unterstützung sichern an der Basis, inhaltliche Positionen entwickeln und verteidigen können.
Schon während ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin war gerätselt worden, wofür Giffey eigentlich inhaltlich steht. Im Wahlkampf im Sommer 2021 hatte sie diese Leerstellen mit Phrasen wie „SPD pur“ plus autofreundlicher Verkehrspolitik überdeckt.
Auch beim Landesparteitag am Sonntag hat sie bei ihrer Bewerbungsrede für die Wiederwahl – Gegenkandidat*innen gab es nicht – Inhalte weitgehend ausgeklammert: kein Wort zum Wohnungsbündnis, zur Enteignungsdebatte, zum Klimaschutz. Der Applaus fiel denn auch mäßig aus, zumal die Parteitagsregie die Delegierten bereits zwei Stunden lang mit Formalia gequält hatte, statt – beim ersten echten Treffen seit zwei Jahren – Debatten früh anzusetzen.
Das waren dann zu viele Worthülsen: Die Klatsche in Form des miesen Wahlergebnisses folgte, ohne dass es dafür Absprachen der innerparteilichen Gegner*innen bedurft hätte.
Was nicht heißt, dass Giffeys Position derzeit ernsthaft in Gefahr wäre: Ihr Co-Landeschef Raed Saleh – der genauso schlecht abschnitt wie Giffey, was für ihn wiederum eher ein Erfolg ist – hat die wichtigsten Positionen in der Partei strategisch klug besetzt. Auch ein*e Gegenkandidat*in ist nicht in Sicht. Aber es war ein – vielleicht genau zur richtigen Zeit abgefeuerter – Warnschuss. Die Arbeitsteilung, dass Giffey glänzt und Saleh die Strippen zieht, reicht der Partei nicht mehr aus.
Giffey muss mit dieser inhaltlichen Profilierung zudem schnell anfangen, hat sie doch auf dem Parteitag angekündigt, den Grünen die Innenstadt wieder streitig machen zu wollen. Mit Blick auf die Abstimmungen heißt das, dass sie sich dafür eher den Grünen annähern als von ihnen stärker abgrenzen müsste.
Und so hat Giffeys Klatsche auch Folgen für die Koalition. Grüne und Linke dürften die Vorlagen vom SPD-Parteitag nutzen, um auf Kurskorrekturen in der Verkehrs- und Enteignungspolitik zu drängen mit dem Argument, dass Grüne, Linke und SPD mehr Übereinstimmungen in diesen Punkten haben, als im Koalitionsvertrag steht und als es der Regierenden lieb ist.
Nun hat derzeit keiner der drei Partner Interesse an Neuwahlen: Die SPD würde wohl Stimmen verlieren, die Linke muss angesichts des bundespolitischen Debakels auf Sicherheit spielen, die Grünen würden wohl gewinnen, könnten aber ihre Koalitionspartner verlieren. Aber das Bündnis ist instabiler geworden, Konflikte werden schneller eskalieren. Und dabei hat die Legislatur erst begonnen.
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