Berlins Kultursenator über die Pandemie: „Coronaleugner haben zu viel Raum“
Wie kommt die Kulturszene aus der Coronakrise? Klaus Lederer (Linke) über fehlende Arbeitskräfte, soziale Sicherung, Schwurbler und den Kultursommer.
taz: Herr Lederer, wir würden gern mit Ihnen über Hoffnung reden. Woraus ziehen Sie nach zwei Jahren Pandemie gerade Ihre Hoffnung? Schließlich sind Sie auch Senator fü r Religion …
Klaus Lederer: Hoffnung ist nicht nur eine Frage des Glaubens, sondern am Ende auch eine – durchaus irdische – Frage des optimistischen Anpackens von Dingen.
In den vergangenen sechs Monaten war die Pandemie noch mal besonders anstrengend: Ständig schwankten wir zwischen Optimismus und einer neuen ernüchternden Nachricht über Mutationen und Impfdurchbrüchen. Wann wird es endlich besser?
Ich gehe davon aus, dass ab dem Frühjahr insgesamt und natürlich auch kulturell wieder mehr stattfinden kann als jetzt. Wir dürfen uns von dem Corona-Blues, den wir alle irgendwie empfinden, nicht kirre machen lassen.
Im Unterschied zu früheren Coronawellen durften die Kulturorte im Herbst und Winter überwiegend offen bleiben: Es gibt Theateraufführungen, Konzerte, Kino, diese Woche beginnt sogar die Berlinale. Angesichts vollbesetzter Theater fragen sich manche schon: Muss das alles sein bei einer Inzidenz von bis zu 3.000 in Mitte?
Erst mal freue ich mich, dass es gelungen ist, allgemein verständlich zu machen, dass Kultur nicht irgendein Freizeitvergnügen ist. Da scheint das Engagement aus der Szene und aus der Kulturministerkonferenz dann doch gewirkt zu haben.
Funktionieren die Hygiene-Maßnahmen vor Ort?
Wir haben immer im engen Kontakt mit Experten sehr genau untersucht, unter welchen Bedingungen bedenkenlos Kulturveranstaltungen stattfinden können. Es gibt kein Null-Risiko, das gibt es nirgendwo. Aber es gibt ein Risiko, das deutlich unter dem liegt, das man eingeht, wenn man sich beispielsweise in einer nicht belüfteten gastronomischen Einrichtung mit anderen Leuten trifft. Kulturangebote sind da deutlich sicherer. Und viele Menschen, für die Kultur zum Leben dazugehört, freuen sich, dass diese Angebote da sind.
47, ist seit Dezember 2016 Senator für Kultur und Europa und damit das einzige Senatsmitglied, dass auch im zweiten rot-grün-roten Senat sein Amt behält. Vor seiner Senatorenzeit war Lederer Landesvorsitzender der Linkspartei
Sie sprechen vom großen Blues in diesem Coronawinter. Wie ausgeprägt ist der unter Kulturschaffenden?
Sehr unterschiedlich. Nach zwei Jahren gibt es eine gewisse Ermüdung, sich mit der Pandemie auseinander zu setzen. Der große Wunsch, es möge jetzt einfach alles ganz schnell vorbeigehen, ist menschlich verständlich. Ich nehme auch wahr, dass nach wie vor große Sorgen in der Veranstaltungswirtschaft und im ganzen Kulturbereich, vor allem bei den Freischaffenden, existieren.
Welche denn?
Viele Menschen, die früher selbstständig oder freiberuflich tätig waren, haben sich umorientiert und sind in festangestellte Jobs gegangen. Da kommt ein Problem auf uns zu, das wir in seiner Tragweite noch gar nicht absehen können. Generell glaube ich, dass die prekären Arbeitsverhältnisse im Kulturbereich das größte Problem sind. Der Verweis, dass Künstler*innen in Not Hartz IV beantragen sollen, war falsch, ist immer noch falsch und auch die Überbrückungsgelder helfen da nur wenig.
Andererseits gibt es diese Hilfen immerhin.
Richtig. Der Kulturbereich ist von Bund und Ländern massiv unterstützt worden, manches kam spät, aber es kam. Da ist in vielen anderen europäischen Ländern gar nichts passiert. Ansonsten kann ich nur sagen, dass es unseren Institutionen wirtschaftlich weitgehend gut geht und dass wir auch bei den privaten Kulturbetrieben alles versuchen, um zumindest die Liquidität zu sichern und jetzt auch an Investitionshilfen, Programmhilfen, Kredittilgungshilfen arbeiten.
Fehlt bisher eine Aufarbeitung der Pandemie? Oder kann die erst jetzt kommen?
Wir sind noch nicht durch und wir wissen auch nicht, was die mittel- und längerfristigen Folgen sein werden, etwa was Long Covid angeht. Sicherlich wird es Formen der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Pandemie geben. Vielleicht ist es aber in der jetzigen Situation auch nicht unbedingt der Aspekt, auf den alle ganz, ganz, scharf sind. Ich würde es jedenfalls nicht besonders aufregend finden, in fünf Versionen „Die Pest“ von Camus geboten zu bekommen. Überlassen wir das einfach der Zukunft.
Apropos Zukunft: Im Koalitionsvertrag verspricht Rot-Grün-Rot den Berliner*innen einen Kultursommer 2022.
Der Kultursommer ist ein wichtiges Signal der Hoffnung, sowohl für die Kulturszene als auch für die Bevölkerung. Berlin ist eine quirlige Stadt mit einer einzigartigen Breite von kulturellen Leben – und sollte wieder zeigen, was es ausmacht.
Was planen Sie konkret?
Bis Ende März werden wir Eckpunkte konzipieren. Ziel ist, verschiedene Orte über die Stadt verteilt zu schaffen, wo dann über einen längeren Zeitraum – gerne über den ganzen Sommer hinweg – kulturelle Angebote stattfinden, wo Menschen sich begegnen können. Ich hoffe, dass sich Verbände, Kulturbetriebe, Einrichtungen andocken, so dass wir in der ganzen Stadt kostenfreie und niedrigschwellige Kulturangebote haben, durchaus auch mit ein paar Highlights.
Der letzte Kultursommer war eher lau als heiß, die Bezirke waren nicht gerade kooperativ. Wie wollen Sie diese stärker in die Pflicht nehmen?
Wir haben schon ein paar tolle Veranstaltung gemacht. Aber ja, das war manchmal ziemlich schwergängig. Ich werde bei der Senatsverwaltung für Umwelt und Mobilität, die für Fragen von Lärmschutz und Grünflächen verantwortlich ist, für den Kultursommer werben – und ebenso bei den Bezirken und den landeseigenen Unternehmen. Dann hoffe ich natürlich, dass Dinge genehmigt werden, die gar nicht unmittelbar unter Kultursommer laufen, also dass auf der Waldbühne oder in der Wuhlheide nicht nur 18 Veranstaltungen im Jahr, sondern vielleicht 25 oder 30 erlaubt werden. Viele Berlinerinnen und Berliner wünschen sich keine Stadt, die nur Stille atmet.
Vielleicht wollen manche Leute gar nicht mehr gemeinsam feiern.
Ja. Möglicherweise haben Menschen nach diesen zwei Jahren Sorge, sich unter zu viele Menschen zu mischen. Aber wir müssen uns das Leben auch wieder angenehm machen, machen dürfen. Und wir kennen doch auch den Sommer in Berlin. Die Leute sind nicht zu Hause und machen die Jalousien runter, sondern die Berlinerinnen und Berliner sind in der Stadt unterwegs.
Sie haben eben erwähnt, dass viele Menschen sich schon aus der Kultur, besonders aus der Veranstaltungsbranche, wegorientiert haben. Wird das im Sommer Probleme machen?
Es ist jetzt schon nicht mehr ganz so einfach, Mitarbeiter*innen aus dem Veranstaltungsbereich zu bekommen. Ich bin trotzdem erst mal zuversichtlich, dass wir die Dinge gestemmt bekommen – Stichwort: Hoffnung.
Diese Aussicht auf den Kultursommer klingt jetzt ein bisschen wie eine Hoffnung auf das alte Normal. Aber viele Kulturschaffende sagen, dass man vielleicht mal über ein neues Normal nach Corona nachdenken sollte. Wie sehen Sie das?
Ich bin da zu jeder Debatte bereit.
Man kö nnte zum Beispiel sagen, das neue Normal wäre, dass es für die prekären Kulturschaffenden endlich so etwas wie eine Grundsicherung geben sollte. Denn: War Corona nicht auch so eine Art Brennglas, unter dem zutage trat, wie die Weichen für die Kultur vorher gestellt waren?
Die Frage der sozialen Absicherung von Menschen in prekären Lebenssituationen stellt sich nicht nur für Kulturschaffende. Wir befinden uns in der Inflation, und Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind, kriegen gerade mal 3 Euro mehr. Es hat Millionen gekostet, diesen Menschen kostenlose Masken zur Verfügung zu stellen. Warum wurde nicht einfach die Grundsicherung oder Hartz IV um einen adäquaten Betrag aufgestockt? Abgesehen davon habe ich immer gesagt: Ich wünsche mir andere, bessere, solidarischere Formen sozialer Absicherung. Dafür werde ich weiter kämpfen.
Das klingt eher nach einem Langzeitprojekt.
Der Paradigmenwechsel der sozialen Absicherung ist tatsächlich kein Thema, das wir hier in Berlin lösen können. Allerdings muss ich auch sagen: Christian Lindner, Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Robert Habeck scheinen sich diesen Bereich nicht mit besonderer Kraft widmen zu wollen.
Bei der Frage der immer teurer werdenden Stadt ist Berlin allerdings sehr wohl zuständig. Es ist ja nicht nur die Inflation; die Mieten steigen, es verschwinden Räume, auch die Gemengelage für Kultur wird immer schwieriger.
Wir tun, was wir können: Wir haben unsere Förderprogramme in der Pandemie flexibilisiert, Ausfallhonorare bezahlt, im Kulturbereich Tariffragen und Mindeststandards immer als gesetzt festgelegt. Wir werden die Zahl von Arbeitsräumen weiter vergrößern, städtische Immobilien nutzen, gegebenenfalls durch Ankauf den Bestand erweitern. Aber auch in fünf Jahren werden diese Fragen nicht abgehakt sein; es gibt nicht den einen Schalter, den man umlegen muss, sondern eine Vielzahl von Problemen.
Wie sieht die Berliner Kulturlandschaft in vier, fünf Jahren aus?
Wir müssen alles tun, dass diese Kulturszene in ihrer Buntheit weiter existieren kann. In der Vergangenheit war Berlin immer für innovative Ideen gut, auch durchaus für eine Kunst, die sich an gesellschaftlichen Zuständen reibt. Es wäre toll, wenn wir in fünf Jahren sagen können, dass Berlin immer noch ein Labor ist.
Dann machen wir mal einen kleinen Sprung. Sie sind der Einzige im Senat, der sein Ressort behalten durfte. Und mit Bausenator Andreas Geisel einer von nur zweien, die überhaupt bleiben durften. Wie fühlt sich das an?
(überlegt) Einerseits habe ich den Vorteil, dass ich nicht alles neu lernen muss. Andererseits ist es schon ein bisschen seltsam. Schließlich war die Kooperation der letzten fünf – und vor allem in den letzten eineinhalb – Jahren während der Pandemie sehr eng. Ich würde sogar sagen: So eng hat noch nie ein Senat zusammengearbeitet. Aber jetzt kommen neue Impulse von neuen Senatorinnen und Senatoren, die die eingefahrenen Gleise so nicht mehr befahren, vielleicht auch andere Erwartungen haben und andere Vorstellungen einbringen.
Wie macht sich das bemerkbar?
Ich merke erstmals eine große Verbindlichkeit im Umgang miteinander. Das ist wohltuend, auch im Vergleich zu davor. Einige kenne ich auch gut. Stephan Schwarz …
… der neue Wirtschaftssenator…
… ist kunstaffin. Ich freue mich hier auf andere Möglichkeiten der Kooperation mit der Wirtschaftsverwaltung. Also ich bin neugierig und freue mich. Ich freue mich überhaupt, dass ich die Möglichkeit habe, jetzt noch mal die nächsten fünf Jahre hier auf meinem Feld weiterzumachen. Manche Dinge brauchen ja auch einen längeren Vorlauf. Wenn ich irgendwas gelernt habe in den vergangenen fünf Jahren, dann das: So schnell, wie ich es mir wünsche, gehen die Dinge nie voran.
Apropos Schnelligkeit: Was sagen Sie zum weiteren Umgang mit dem Enteignen-Volksentscheid?
Die Diskussion um die Vergesellschaftung größerer Wohnungskonzerne wird weitergehen. Das ist aber eher Langstrecke als Sprint, weil dieses Instrument ja noch nie angewendet wurde. Da geht Gründlichkeit vor.
Ein weiteres aktuelles Thema ist der Streit um die Kunsthalle Tempelhof, finanziert von einem prominenten Immobilienentwickler und dem Senat. Der Berliner Verband Bildender Künste äußert grundsätzliche Kritik daran. Braucht Berlin diese Art von Kunsthalle?
Aufgabe der Tempelhof-Projekt-GmbH ist es, die sonst leerstehenden maroden Hangars zu vermieten, vorrangig für kulturelle Veranstaltungen. Mietfreiheit ist bei solchen Vermietungen die Regel. Aufgrund des maroden Zustandes der Hangars, fehlender Einbauten, mangelnder Sicherheitsvorkehrungen und schlechten sanitären Bedingungen muss dies alles vom jeweiligen Veranstalter organisiert und finanziert werden – eine anteilige Übernahme der Betriebskosten ist daher nicht unüblich. Über das Guerilla-Marketing und den Namen „Kunsthalle Berlin“ ist dabei nie gesprochen worden, ich finde es daneben, vermittelt der Name doch eine Nähe zur Berliner Kunstszene, die schlicht nicht gegeben ist. Und natürlich betrachte ich mit Skepsis diese Vermischung von wirtschaftlichen Kalkülen, Politik und Kunst, die zulasten Letzterer geht. Andererseits wird in den Hangars 2+3 durchaus großartige Kunst gezeigt, die hier Berliner*innen zugänglich gemacht wird.
Zum Schluss würden wir gerne über die Gräben reden, die Corona aufgerissen hat. Sie waren zuletzt mehrfach montags vor der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg, wo Kritiker und Beführworter der Coronapolitik aufeinander trafen. Wie werden wir in Zukunft mit diesen Gräben in der Berliner Stadtgesellschaft umgehen?
Das selbstbewusste Vertreten der eigenen Position wird da notwendig, wo ganz offen Grundlagen eines demokratischen Gemeinwesens in Frage gestellt und denunziert werden. Und ich glaube, dass sich die Grenze sehr scharf ziehen lässt.
Wie denn?
Es gibt Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht den Zugang zu bestimmten Informationen haben, die vielleicht Ängste und Sorgen haben. Um deren Belange muss sich gekümmert werden. Da muss es auch die Möglichkeit des Zuhörens geben – so schwer einem das nach zwei Jahren auch fällt, wenn man immer dieselben Stereotypen und Vorurteile ertragen muss. Aber auf der anderen Seite erleben wir auch, dass eine kleine, aber sehr laute Minderheit versucht, eine gesellschaftliche Agenda zu dominieren und Vielfalt, Freiheit und öffentlichen Diskurs zu bedrängen.
Das besondere an der Gethsemane-Kirche ist ja, dass das Bündnis dort sehr breit ist, von kirchlichen Gruppen über die CDU bis zur Linke und Antifas. Ist das nicht auch ein Grund zu Hoffnung?
Ich glaube, das es das vielfach gibt – und ich empfinde das unbedingt als ein Zeichen der Hoffnung und deswegen bin ich da auch dabei. Ich möchte aber mal grundsätzlich sagen: ich glaube, die Coronaleugner bekommen in der Öffentlichkeit und in den Medien viel zu viel Raum, da sind die Verhältnisse ein bisschen durcheinandergeraten.
Wie meinen Sie das?
Wir erfahren jeden Tag, jede Woche seit Monaten in den Nachrichten mindestens an erster oder zweiter Stelle, dass Menschen sich irgendwo hingestellt und gegen Corona-Maßnahmen protestiert haben. Täglich lässt sich die vielfache Menge von Menschen impfen! Ich frage mich, ob die Spaltung der Gesellschaft wirklich hier zu verorten ist. Ich sehe die Spaltung der Gesellschaft vor allem im sozialen Bereich, bei der Ungleichverteilung von Lebenschancen. Und das schon lange vor, aber natürlich massiv verschärft in der Pandemie. Ich wünschte mir, dass diese soziale Frage mal in grundsätzlich anderer Art und Weise thematisiert werden würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei